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Foto: Jan Ehlers

Wie, womit und wie schnell man in Darmstadt unterwegs sein kann, fragte sich eine mobile Truppe unserer Redaktion und versuchte sich dreimal am „Hase & Igel“-Vergleich: Verteilt auf Fahrrad, Auto und Darmstadts öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) wurden drei unterschiedlich lange Teststrecken bewältigt – unter Wettbewerbsbedingungen. Ausgelotet wurden die Tücken, Ticks und Tugenden der einzelnen Fortbewegungsmittel.

 

Teststrecke 1: kurze Distanz (zirka 1,5 Kilometer)

Viele Heiner bewegen sich ausschließlich zwischen diesen Koordinaten: In der Rush Hour starten die Wettbewerber vor der Centralstation und beenden ihre Fahrt am Riegerplatz im Martinsviertel.

 

Simone mit dem Auto:

Eine echte Schnapsidee, mit dem Auto diese Strecke zu fahren, ist mein erster Gedanke. Ein paar Überlegungen später habe ich für 17 Parkminuten 1,50 Euro bezahlt. Das macht die Idee nicht besser. Die Fahrt ist ebenso kurz wie unspektakulär: Ausfahrt Wilhelminenstraße, Citytunnel, Cityring, Alexanderstraße, Heinheimer Straße – am Ziel. Schwierig wird wohl die Parkplatz-Suche. Doch wie durch ein Wunder klappt sie auf Anhieb – und ist kostenlos!

Kostet: Spritgeld geschätzte 1,50 Euro plus Parkticket 1,50 Euro
Nervliche Belastung: mittelmäßig
Körperliche Belastung: gar keine
Spaßfaktor: unbedeutend
Mein Fazit: Bescheuert, eine solche Kurzstrecke mit dem Auto zu fahren. Noch bescheuerter, 1,50 Euro für 17 Minuten Parken zu zahlen. Dafür lieber anderthalb Eiskugeln lecken!

 

Liz mit dem ÖPNV:

Meine wohl härteste „Tour“ – mit dem Bus von der Innenstadt zum Riegerplatz! Geht das zu Fuß nicht schneller?! Erfreulicherweise fängt es kurz vor dem Startsignal an zu regnen. Da die Autofahrerin vom Parkhaus verschluckt wird, versuche ich, mich der Radfahrerin in den Weg zu stellen. Doch dann sehe ich, dass mein auserwählter H-Bus erst in acht Minuten fährt. Da laufe ich lieber doch: quer durch den Herrngarten, am Restaurant „Baobab“ vorbei, dann Richtung Riegerplatz. Ich bin sieben Minuten nach der Radfahrerin da. Mit dem Bus wäre ich 15 Minuten später gewesen.

Kostet: ein wenig Beinarbeit und Hüftschwung, ansonsten 1,60 Euro
Nervliche Belastung: eher nervliche Entlastung
Körperliche Belastung: unbedeutend gering
Spaßfaktor: Kommt drauf an, was man draus macht.
Mein Fazit: Diese Strecke ist einfach zu kurz für die Öffentlichen. Beim Laufen sieht und erlebt man wesentlich mehr – sei es die wunderbar verbeulte Litfaßsäule an der TU oder ein Schwätzchen mit Bekannten.

 

Meike mit dem Fahrrad:

Ich strample mit meinem Hollandrad durch einen ungemütlichen Nieselregen. An einer Fußgängerampel holt mich ein Kollege auf dem Rennrad ein. Er lächelt mich an. „Ganz schön schwer, so ein Hollandrad, was? Aber: Wenn‘s erst mal rollt, dann rollt‘s!“ Dann zischt er von dannen. Unbeirrt radle ich gemütlich durch den Herrngarten und habe fünf Minuten später schon mein Getränk im Café „3klang“ am Riegerplatz bestellt. Die anderen sind noch längst nicht da! Eine Regenjacke könnte ich mir ja vom Geld kaufen, das ich spare, wenn ich jetzt öfter mit dem Rad fahre …

Kostet: einige ungeliebte Fettzellen
Nervliche Belastung: nur bei mangelndem Selbstbewusstsein
Körperliche Belastung: wetterabhängig
Spaßfaktor: Groß genug, um ihn zu haben.
Mein Fazit: Ich werde für längere Strecken trainieren und nur bedingt in Funktionskleidung schlüpfen.

 

Teststrecke 2: mittlere Distanz (zirka 4,5 Kilometer)

Kurz vor 13 Uhr ist Abfahrt – vom Hauptbahnhof zum Böllenfalltor-Stadion, wo die „Lilien“ gegen Hessen Kassel um den Aufstieg kicken. Spielbeginn in einer Stunde, die Hessen-Kassel-Fans nahen bereits …

 

Meike mit dem Auto:

Hätte Darmstadts Hauptbahnhof auf seiner attraktiven Eingangsseite so viele Parkplätze wie an diesem Tag Polizisten und Kassel-Fans, wäre das ein Pluspunkt fürs Autofahren. Ich fahre los, komme gut voran und wähne mich bereits als klare Siegerin. Das hält bis zum Donnersbergring. Dann: Stau! Doch wozu bin ich in Bessungen aufgewachsen, denke ich, und biege in Richtung der Sträßchen des Steinbergviertels ab. Am Fuße der steilen Jahnstraße überholt mich die radelnde P-Fraktion schadenfroh, Autos mit Lilienaufklebern hupen nervös, es herrscht akute Spiegel-Abbruch-Gefahr: nächster Stau! Der Parkplatz des Stadions ist überfüllt, als ich im Schritttempo endlich daran vorbei zuckele. Fast die halbe Strecke zurückgefahren, nehme ich genervt das Halteverbot in Kauf. Die anderen trinken schon das erste Bier an der Tanke.

Kostet: 22 wertvolle Lebensminuten und beinahe den Autospiegel
Nervliche Belastung: zu hoch
Körperliche Belastung: allerhöchstens für die Ohren, wenn man gute Musik dabei hat
Spaßfaktor: null
Mein Fazit: Mit dem Auto zu einer Massenveranstaltung zu fahren, ist totaler Blödsinn!

 

Simone mit dem ÖPNV:

Meine nächste Schnapsidee: vor dem „Lilien“-Spiel mit dem ÖPNV vom Bahnhof zum Böllenfalltor fahren. Die Polizei ist mit geschätzten 800 Einsatzkräften bereits am Bahnhof und erwartet Dose und alle Sardinen schwimmen los. Nach kurzem Sortieren bin ich als Zweite am Ziel angekommen.

Kosten: einfache Fahrt, Erwachsene, 1,60 Euro
Nervliche Belastung: schön aufregend
Körperliche Belastung: kontaktfreudig
Spaßfaktor: eng, aber lustig
Mein Fazit: Auch ohne Fanbeteiligung eine schöne Strecke!

 

Alexander und Valentin mit dem Rad:

Entspannt mit dem Hollandrad zum Kick des Jahres, so ist der Plan. Als verkehrsmoralisches Gewissen nehme ich meinen Sohn mit, damit ich keine roten Ampeln missachte oder andere illegale Vorteile des Radfahrens ausnutze. Es soll ja gerecht zugehen. Die Reise geht vom Bahnhof zur Rheinstraße, übern Lui, an der Kuppelkirche vorbei, dann die Jahnstraße hoch. Die Dichte der Fans nimmt zu, die meisten sitzen nervös im Auto, der Verkehr stockt. Wir überholen an dieser Stelle tiefenentspannt die Konkurrenz im Auto und ich bereite mich auf meine Bergankunft an der „Aral d’Huez“ vor, wo mich eine jubelnde Menge dichter Fans in Empfang nimmt. So fühlt es sich wenigstens an.

Kostet: nix
Nervliche Belastung: entspannend wie Yoga
Körperliche Belastung: kann durch Bier und Worscht ausgeglichen werden
Spaßfaktor: unendlich
Fazit: Wer nicht mit dem Rad fährt, ist Offenbacher!

 

Teststrecke 3: lange Distanz (11 Kilometer)

Nach einem Espresso im „Kaffeehaus“ des südlichen Darmstadt-Zipfels Eberstadt wird die Innenstadt an einem verkaufsoffenen Sonntag durchquert. Ziel ist der Bootsanleger am Steinbrücker Teich (Oberwaldhaus). Sonderaufgabe dieser Teilstrecke: Besorge unterwegs drei Dinge, deren Bezeichnung mit „P“ anfängt!

 

Liz (am Steuer), Alex und dessen Kinder mit dem Auto:

Start: 14.26 Uhr. Die Familienkutsche schnell, ohne jeden Lackkratzer ausgeparkt. Schon nach wenigen Minuten überholen wir unsere Mitstreiterinnen. Nicht ganz ohne vorweggenommenen Siegesstolz winken wir der tapfer lächelnden Radfahrerin zu. Auch die gelangweilt aussehende dritte Teilnehmerin wird in der Bahn gesichtet. Im nur von roten Ampeln unterbrochenen 40-bis-50-km/h-Tempo rasen wir die Heidelberger Straße entlang. Nur nebenbei erfahre ich durch die Mitreisenden auf den Rücksitzen vom gesichteten Fahnenmann und der Radrennbahn. Denn die Konzentration auf den Verkehr schränkt meine Wahrnehmung der Umgebung ein. Zum Glück sind wir zu viert, denn wir haben einen Auftrag zu erfüllen: P-rodukte einsammeln. Das erste ist ein P-Magazin. Mit laufendem Motor wartet der Rest im Auto, während der Beifahrer hinausspringt und sich ein P in einem der zahlreichen Cafés auf unserem Weg schnappt. Mit sicherer Überlegenheit besorgen wir im Martinsviertel noch P-ommes und P-ils. Am Ziel erfahren wir allerdings, dass wir die Letzten sind. Da sind wir alle p-aff!

Kostet: den üblichen Spritpreis und Kohlendioxidausstoß
Nervliche Belastung: die Enttäuschung über den unerwarteten letzten Platz
Spaßfaktor: eine unterhaltsame Ausnahme für die überzeugte Radfahrerin am Steuer
Fazit: Mit dem Auto ist man nicht unbedingt schneller. Man fühlt sich aber so.

 

Meike mit dem ÖPNV:

Bahnfahren ist wie der Blick in einen gesellschaftlichen Spiegel, in dem man einen eher traurigen Querschnitt erblickt. Und Sitzplätze gibt es auch keine. Am Luisenplatz, nach etwa der Hälfte der Strecke, muss ich umsteigen. Doch zuerst ergattere ich hier – dank des verkaufsoffenen Sonntags – Dinge mit dem Anfangsbuchstaben „P“: Popcorn an einem öden Jahrmarktstand, ein paar „Piccolos“ und „Pringles“ im überfüllten Supermarkt. Der nächste Bus fährt in vier Minuten. Hätte doch lieber „P-ils“ holen sollen. Der F-Bus fährt nur geradeaus, etwas langweilig das alles. Einziger Lichtblick: Der Biergarten in der Dieburger hat schon geöffnet! Leider kostet die Strecke, die ich dann von der Haltestelle zum eigentlichen Ziel zurücklegen muss, zusätzliche Zeit und Nerven. Die Radlerin ist längst am Ziel. Zum Glück hat sie Pils dabei!

Kostet: 2 x 2 Euro wegen Einkaufs außerhalb der Bahnanlagen!
Nervliche Belastung: abhängig von den Mitreisenden
Körperliche Belastung: rentnertauglich
Spaßfaktor: negativ, wegen viel zu hoher RMV-Kosten
Mein Fazit: Das nächste Mal kämpfe ich um einen Sitzplatz und habe etwas zum Lesen dabei!

 

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Foto: Jan Ehlers

Simone mit dem Fahrrad:

Habe ich – reichlich übergewichtige Frau ohne Kondition auf Fünf-Gang-Rad aus massiven Stahl – vor Fahrtantritt noch Angst vor der zu erwartenden Steigung, so wandelt sich diese mit jedem der 11,47 Kilometer in Vergnügen. Vom „Kaffeehaus“ in Eberstadt geht es erst einmal längs der Straßenbahnschienen entlang. Dass ich nach kurzer Zeit schon schweißgebadet bin, liegt aber eher an der Angst, in die Schienen zu fahren, als am „Berg“ selbst. An der Haltestelle „Wartehalle“ kaufe ich Pink-Grapefruitsaft und Plätzchen. Da meine Kondition nicht die beste ist, entscheide ich, den Höhenunterschied zwischen der Tiefebene in der Heidelberger Straße und dem Gebirge am Oberwaldhaus im Zick-Zack zu überwinden und arbeitete mich so durch Bessungen und das Paulusviertel bis in die Nieder- Ramstädter-Straße Höhe Alter Friedhof vor. So geht es meist bergauf und dann wieder ein ebenes Stückchen durch die Bessunger Gässchen. Eine nicht kurze, aber abwechslungsreiche Strecke – selbst mit miesester Kondition ohne Kollaps bequem zu bewältigen. An der „Jet“-Tankstelle am Großen Woog kaufe ich Pils. Letzte Etappe sind die zwei am meisten gefürchteten Berge, hoch zur Dieburger Straße und dann an der Tanzschule Bäulke vorbei in Richtung Oberwaldhaus. Am Ortsausgangsschild erwartet mich der Lohn für alle überstandenen Strapazen: rollen lassen, eine irrwitzige Geschwindigkeit erreichen und dann auch noch die Erste sein!

Kostet: nix
Nervliche Belastung: nur vorher
Körperliche Belastung: brutal
Spaßfaktor: euphorisierend
Mein Fazit: Auch ohne Kondition ohne Langzeitschäden zu bewältigen und einfach ein schöner Sonntagnachmittagsausflug zum Picknicken!

 

Siegerehrung:

Unsere „Tour de Mobilität“ hat eindeutig ergeben: Fahrradfahrer sind Siegertypen – und es lohnt in vielen Fällen, das Auto stehen zu lassen. Appell an die Stadtpolitik: Mal genauer hinsehen, welches Potential das Radfahren hat – und wie man es in unserer Stadt attraktiver machen kann! Das wäre uns einen weiteren Artikel wert, vielleicht ja schon demnächst hier im P!