Illustration: Martina Hillemann

Diese ganzen Dating-Apps funktionieren unter anderem mittels eines Distanz-Algorithmus. Du gibst an, in welchem Umkreis potenzielle Rosenkavaliere – mein Gott, bleiben wir realistisch: potenzielle und ungewollte Penisfotos – auf Dich lauern. Dass Menschen jedoch in Bewegung sind und sich auch etliche Kilometer von ihrem Zuhause aufhalten können, weil sie nicht zuhause Urlaub machen oder auf der Durchreise sind, raffen diese Apps nicht.

Ebenso wenig, dass die betreffenden Männer Darmstadt schon längst hinter sich gelassen haben. Dennoch arbeitet der Algorithmus einige Profile im durchkreuzten Gebiet ab. So kommt es, dass ich seit einiger Zeit mit einem Mann aus Heilbronn schreibe. In welchem Moment wir unseren Radius gekreuzt haben, ist uns schleierhaft und wir tun es als schicksalhafte Fügung ab. Schicksal hin oder her, trennen uns knapp 130 Kilometer. Normalerweise würde ich den Kerl relativ schnell abschreiben, denn ewig lang oder höchstwahrscheinlich ausschließlich zu chatten, ist nicht das, was ich suche. Jedoch sind wir beruflich und auch sonst ziemlich auf einer Wellenlänge und der Mann aus Heilbronn wirft die interessante Idee in den virtuellen Raum, ob wir zusammen in seinen Geburtstag reinfeiern wollen. Er hätte frei und käme sogar nach Darmstadt.

Die komplett routinierte Realistin, die ich nach so einigen Dates doch geworden bin, zieht nur skeptisch eine Augenbraue in die Höhe und willigt ein. Wenn er seinen Ehrentag mit einer ihm noch wildfremden Frau begehen möchte, nur zu, es ist schließlich nicht mein Geburtstag. Da wir einen längeren Abend vor uns haben, der im besten Falle mal mindestens bis Mitternacht dauern müsste, kam mein brillanter Location-abspeichernder Kopf auf: Taaapas! Und zwar in der für mich besten Tapasbar Darmstadts: im El Cid. Verschiedene kleine Speisen über den Abend verteilt, stelle ich mir super vor. Falls wir bis Mitternacht doch ins peinliche Schweigen verfallen, essen wir halt ein paar Portionen Datteln im Speckmantel mehr. Ich verzichte dann notgedrungen auch mal auf die zum Niederknien guten Gambas al ajio – Knoblauch und Dates passen nicht so gut zusammen.

Gesagt, getan. So sitzen wir im El Cid am Tresen und machen verbal Love, wie meine Geschichten hier immer betitelt werden. Umgeben von Partisanen-Gewehren und spanischem Kitsch vergehen die letzten Stunden seines alten Lebensjahres wie im Fluge. Obwohl er beruflich schon dort ist, wo ich einmal hin möchte, steuert unser Gespräch nicht nur um Karrieretipps, der Rioja tut sein Übriges. Leider möchte uns das El Cid nicht bis um Mitternacht beherbergen. Da es eine wunderschöne sternenklare und gar nicht so kalte Nacht ist, steuere ich ihn durch das Residenzschloss, Richtung Staatsarchiv und Herrngarten und zeige dem Hessen-Fan somit auch gleich noch ein wenig unsere Stadt im Dunkeln.

Durch sein vielsagendes Grinsen, das ein Geschenk um Mitternacht anzukündigen scheint, wird mir auf unserer kleinen Sightseeing-Tour auch gar nicht kalt. Letztendlich begehen wir seinen Geburtstag auf einer Parkbank im noch gut beleuchteten Teil des Herrngartens. Und als sich der Mann dann etwas später in seinem Wagen Richtung Heimat – ins sogenannte Ländle – aufmacht, weiß ich: die Schwaben können doch so einiges – außer Hochdeutsch.