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Illustration: Martina Hillemann

Mit dem Smartphone in der Hand ziehe ich los, um die Männerwelt zu erobern. Jedoch nicht ohne den Hinweis meiner Mutter zu beachten: „Kind, treff Dich bloß net bei denen zu Hause.“ Also geht es in die hiesigen Bars, Cafés, Restaurants und Kneipen. Was ich da so erlebe? Lest und lernt aus meinen Erfahrungen und entdeckt, was unsere Stadt zum Thema Dating, Flirt und Gin Tonic zu bieten hat.

Unsere Stadt spaltet sich meiner Wahrnehmung nach in zwei Lager. Die Frage, wo die letzten fünf Biere des Abends getrunken werden, entzweit Paare, Sandkasten-Freundschaften zerbrechen, Familien zerrütten. Ich weiß, worüber ich schreibe. Mich findet man im Herkules. Meinen Bruder jedoch, meinen eigenen Bruder, im Kessel.

Dies sorgte schon für einige innerfamiliäre Debatten. Lasst mich es kurz an einem Beispiel erklären: Meine Künstler-Seele taucht im Herkules ganz tief in die dunklen Sphären menschlicher Existenz ab. Das dürft Ihr Euch gerne schön verraucht mit einem Whiskey in der Hand vorstellen. Die ganze Institution Herkules regt zu philosophischen Meilensteinen an. Mein Bruder hingegen genießt es, mit einem Äppler und allen anwesenden Gästen Journeys „Don’t stop believin“ mitzugrölen und steuert deshalb den Kessel an. Ich richte mich da höchstens nach der Zeile: „For a smile they can share the night. It goes on and on and on and on.“ Seht Ihr, nichts falsch an Journey und meinem Bruder im Vergleich zu mir und den Existenzialisten, nur grundverschieden.

Zurück zum Thema dieser Kolumne. Es gibt Phasen in jedem Leben, in denen man sich das Warm-up und das Clubbing schenkt und gleich zur Afterhour übergeht. So auch heute. Ich genieße also mit zwei Freunden den noch frühen Abend bei eins, zwei, drei, acht Bier. Die beiden philosophieren ganz Herkules-typisch über Camus und die Absurditäten der Welt. Ich überlege, wie die Gestalten am Tresen wohl bei Tageslicht aussehen und wie lange sie schon keines mehr gesehen haben. Mein bester Freund meint es mit dem Bier heute allerdings sehr, sehr gut … „it goes on and on and on“ … und schafft gerade noch so die steile Treppe runter zu den Toiletten. Wieder hoch ist noch schwieriger. Da hilft nur noch ein echt netter Augenaufschlag für den Taxifahrer, Vorkasse und ein dickes Trinkgeld, damit er ihn sicher vor der Haustür rausschmeißt.

Zurück in der Kneipe. Meine Freundin ist weg. Einfach weg. Verschollen in den ewigen Weiten des Herkules. Was mache ich denn jetzt? Ich fühle mich hier sehr wohl, ja, die Frau hinter der Bar kennt mich namentlich (eigentlich ein Indiz dafür, dass ich seltener zu Gast sein sollte), aber alleine trinken? Im Herkules? Aber hatte nicht vorhin mein Handy gepiept? Yes, auf meine Dating-Kontakte ist doch Verlass. Eins, zwei Nachrichten hin und her. „Was machst Du denn um diese Uhrzeit schon im Herkules?“ Dass ich für die Dart-WM trainiere, kauft er mir nicht ganz ab. Da er aber wahrscheinlich auch nichts Besseres zu tun hat, kommt er auf ein Bier vorbei. Optimale Lichtverhältnisse für ein erstes Date, Leute! Ihr könnt verrafft aussehen, wie Ihr wollt, das dunkle Holz, das schummrige Licht wirken wie der Beauty-Filter bei Snapchat.

Und, Freunde der turbulenten Glückseligkeitsmomente, wir verstehen uns prima. Ende Zwanzig der gute Herr, ebenfalls noch Student, passt! Das Bier fließt uns die Kehle hinunter, Adorno und Sartre sind erörtert und ich glänze selbst als fabelhafte Verliererin im Dart. Unverhofft kommt oft – gerade in Nächten im Herkules – hat er doch tatsächlich noch weiteres Bier im Kühlschrank und bietet es ganz uneigennützig zum Weitertrinken an. Beim Verlassen der Kneipe merkt er an: „War ja echt ganz lustig hier, normal geh ich immer in den Kessel.“ In meinem Kopf zerbricht ein Glas wie im Intro von Fools Gardens „Lemon Tree“. Das wäre jetzt aber auch zu schön gewesen. Da es aber noch Bier gibt, wird es für heute Nacht mal ausreichen. „Don’t stop believin‘ … Hold on to the feelin’“.