Grafik: Rocky Beach Studio
Grafik: Rocky Beach Studio

So, Hans Kessler will also nicht länger „Lilien“-Präsident bleiben. Auf der Jahreshauptversammlung in diesem Monat wird er „ausscheiden“, wie das „Darmstädter Echo“ schrieb. Das P – als hochseriöses Magazin – geht weniger auf Darmaktivitäten von Kessler ein, sondern blickt im Zeitraffer zurück auf fünf Jahre mit einem Mann, an dessen Laufbahnende als Präsident eine fast überirdische Erfolgsbilanz steht:

Wir lobten ja bereits rauschhaft die Rückkehr des Holzkohlegrills am Böllenfalltor, an den Spieltagen kann die Notdurft (das Ausscheiden) nun auch in komfortablen Toilettenwagen entrichtet werden – und, jaaa, die Mannschaft ist mit 400 Prozent mehr Punkten als Kickers Offenbach in die aktuelle Drittligasaison gestartet (Stand nach vier Spieltagen). Das bisschen Insolvenzabwenden sollte man nicht ganz vergessen, aber für einen Titanen wie Hans Kessler sind das Kleinigkeiten.

Ja, er hat uns fünf schöne Jahre geschenkt. Er war der erste Präsident, der Ferrari fuhr (später war dieser erst angeblich kaputt, dann verkauft). Er lud uns zum Frühstück ein. Und er stellte uns sogar in Aussicht, sein Schwiegersohn zu werden. Es lockte ein Leben wie in Gold gerahmt: Ferrari, Schwiegersohn, Holzkohlebratwurst.

Zu den schönen fünf Jahren zählt auch das atemberaubende Kessler-Foto in der „11 Freunde“-Story über die „Lilien“, auf dem er aussieht wie ein italienischer Geschäftsmann (Ferrari) im weiteren Sinne (Sie wissen schon, zwinkerzwinker).

Es waren wilde Zeiten, und Hans Kessler wusste, an wen er sich zu halten hatte. Dass der Software-Werbevertrag nicht ohne uns … , ach, vergessen wir es. Jetzt sind die Zeiten weniger wild, und Hans Kessler weiß, an wen er sich nun zu halten hat.

Doch wie lebt der Titan ohne den SV Darmstadt 98?

Er will wieder mehr Zeit zum Fliegenfischen haben, in der Mitte kanadischer oder amerikanischer Flüsse stehen, mit hüfthohen Gummistiefeln, nur das Gurgeln unverbrauchten Wassers um sich herum. Irgendwann, kurz bevor sein Zustand des gedankenlosen Wartens in den Zustand des Tagtraums hinüberwechselt, ruckelt es an der Angel. Angebissen. Doch Hans Kessler ist kein Tiermörder – der Mann fischt nach der Methode „catch and release“: Fangen und freilassen. Tut nur kurz weh. Dem Fisch.

Wenn er dann geht im späten Sommer, wird die Versammlung aufstehen und stehend klatschen, so, wie es Hans Kessler gewohnt war, all die Jahre. Vielleicht wird auch jemand weinen (Schatzmeisterin Anne Baumann gilt hier als Geheimfavoritin) – und er wird zum letzten Mal Sätze mit unvergleichlichem Pathos in den Saal schmettern. Einen wie diesen: „Es gibt Dinge, da kommt man. Und es gibt Dinge, da geht man.“ Und in der Mitte entspringt ein Fluss.

Was gibt es jetzt noch zu sagen über Klaus-Rüdiger Fritsch, Kesslers Nachfolger? Der Mann hat das Zeug zur Kultfigur mit seinen littbarskiesken O-Beinen und seiner Frankfurter Revolverschnauze. Aber eines soll er schon wissen: Diese Schwiegersohnnummer kann er so was von vergessen.