Grafik: Rocky Beach Studio
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An dieser Stelle ist dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) dafür zu danken, dass er jedes Jahr neue Regeln aufstellt, die den Fußballsport vor Anarchie und Untergang retten. Deswegen müssen bekanntlich Radlerhosen, die manch Spieler zum Warmhalten der Oberschenkel trägt, unbedingt dieselbe Farbe haben wie die Sporthose darüber.

Auch das Klebeband, das zuweilen um die Schienbeine gewickelt wird, damit der dort platzierte Schoner nicht verrutscht, hat seit dieser Saison zwingend in farblicher Kongruenz zu den Stutzen zu stehen. Sollen die Abweichler vom Fußball-Weltverband FIFA doch zulassen, dass ein maximal zwei Zentimeter breiter Klebestreifen auch eine andere Farbe haben darf.

Dafür rächt sich der DFB und schreibt selbst seinen viertklassigen Regionalligavereinen vor, Videoüberwachungsanlagen in den Stadien zu montieren. Andernfalls gibt’s künftig keine Lizenz. Richtig so. Als Ausgleich wurden ja für die Spielzeit 2009/2010 die Fernsehgelder von 163.000 Euro auf rund 90.000 Euro pro Verein gesenkt. Geld macht ja bekanntlich weder glücklich, noch schießt es Tore.

Fast die Hälfte dieses TV-Geld-Zuschusses hat das neue Videosystem für das Stadion am Böllenfalltor gekostet – 40.000 Euro. Das ist gut angelegtes Geld aus dem Konjunkturprogramm der Bundesregierung für die Stadt Darmstadt, deren Schuldenstand so hoch ist, dass sich griechisch als neue Amtssprache anbietet. 40.000 Euro vom Bund für Technik, für die sich alle begeistern: Ein automatisches Trackingsystem, um Bösewichte ausfindig zu machen, vier schwenkbare Kameras, hohe Bildqualität. Es gebe aus polizeilicher Sicht „sehr gute Erfahrungen mit solchen Anlagen“, lobte Polizeidirektor Helmut Biegi. Aber ja. Und „Lilien-Präsident“ Hans Kessler machte an selber Stelle dem „Darmstädter Echo“ glauben, dass der „erfahrene Fußballanhänger“ mit so einer Anlage kein Problem habe. Aber nein.

Der erfahrene Fußballanhänger, und das ist ja bekanntlich auch der gemeine Darmstädter, kuschelt sich ab sofort in sein gepolstertes Fauteuil im S-Block, winkt lässig in die Überwachungskameras und freut sich, dass die Kulisse bei den risikoarmen Kicks gegen Groß aspach, Pfullendorf oder Wehen-Wiesbaden II so richtig durchgetrackt wird. Die Risikoarmutsgrenze wird hier locker unterschritten. Vielleicht sind ja noch Mitarbeiter von Lebensmitteldiscountern im Stadion – für diese Leute ist Überwachung sowieso ein elementarer Alltagsbestandteil.

Aber, aber, es kommt ja gelegentlich auch Hessen Kassel vorbei, gilt es, aufzumerken. Genau. Einmal pro Saison. Risikospiel! Und dann wackelt die Bude. Dann fliegen Trommeln gegen Polizisten, na ja, vorher halt Polizistenschlagstöcke auf Teenager. Egal, das Gewaltmonopol von Helmut Biegi, der damit gewiss auch sehr gute Erfahrungen gemacht haben dürfte, gerät in Gefahr. Auf der Tribüne herrscht Anarchie, so wie bei falschfarbigen Stutzenklebebändern auf dem Spielfeld. Das ist schlimm. Und muss überwacht werden. Genauso wie Pyrotechnik (Feuer ist immer Anarchie). Überwachen! Überwachen! Überwachen!

Lasst es doch ruhig 400.000 Euro kosten. Oder vier Millionen. Vielleicht wird ja noch ein F-Block-Teenager erwischt, der heimlich an einer Flasche Alcopop nuckelt. Überwachen! „Das Leben der Anderen“ muss auch in Darmstadt protokolliert werden, nicht nur in Magdeburg oder Karl-Marx-Stadt.