Vielbunt
Illustration: Hans-Jörg Brehm

Bunt war Darmstadt schon immer. Seit November 2010 setzen sich Kerstin Wolff (27), Stefan  Kräh (23), Jan Rothermel (29), Dennis Hochmann (25) und Simone Koch (32) dafür ein, dass unsere Stadt noch bunter wird, nämlich „vielbunt”. Die Fünf haben es sich zur Aufgabe gemacht, schwulen, lesbischen, bi- und transsexuellen sowie transgendered Darmstädtern  mit ihrem Verein ein Forum zu bieten, damit queeres Leben in Darmstadt sichtbarer wird.

Die Idee für den Verein wurde aus Spaß heraus geboren: Die Vorstandsmitglieder haben sich vor Jahren im Schlosskeller  bei der schwullesbischen Disko am Sonntagabend kennen gelernt. Doch die sei nicht mehr so knallig wie früher: „Das ist vor allem deswegen schade, weil diese Party seit Jahrzehnten in Darmstadt die erste Anlaufstelle für Lesben, Schwule und Bisexuelle auch von außerhalb ist”, sagt die erste Vorsitzende Kerstin Wolff. Früher oder später würden alle dort landen und die ersten Schritte Richtung Coming-Out machen: 2Da haben wir uns gedacht: Das muss man wiederbeleben.” Zum anderen  waren die „Vielbunten” jedes Jahr nach dem Christopher Street Day (CSD) in Frankfurt oder dem „Sommerschwüle”-Fest in Mainz so euphorisiert, dass sie sich fragten, ob eine solche Festivität mit politischem Charakter nicht auch in Darmstadt hinzukriegen sei, so Beisitzer Stefan Kräh. „CSD, Teilnahme am städtischen Leben, Probleme beim Coming-Out – irgendwann waren es so viele Ideen, dass klar wurde: Es geht eigentlich nicht mehr ohne Verein”, bekräftigt Kerstin.

Seit Ende November gibt es deswegen den vielbunt Verein, der mit seiner Gründung die Eintragung in das Vereinsregister anstrebt. Mitglied werden können alle, natürlich auch heterosexuelle Darmstädter, denen die Vielfalt der städtischen Gesellschaft am Herzen liegt. 23 Mitglieder sind es schon, und die vielfältigen Arbeitsgruppen sind bereits seit vergangenem Herbst aktiv. Das Spektrum reicht, wie der Ursprung des Vereins, von spaßig bis ernst. „Vielbunt” möchte die Schlosskeller-Party wiederbeleben, ist aber auch mit anderen Vereinen und Initiativen im Gespräch, um sich mit ihnen zu vernetzen. Es gibt bereits einen Lauftreff, und es soll ein Darmstädter CSD-Sommerfest geben, an dem auch Podiumsdiskussionen stattfinden sollen. „Am besten jenseits der Parteienpolitik”, wünscht sich Stefan, „das ist doch auch für die Politiker und Politikerinnen angenehmer, wenn sie nicht nur ’ne Kassette abspulen”. Eine andere Arbeitsgemeinschaft (AG) des Vereins hat Kontakt zur Aids-Hilfe aufgenommen und lässt sich fortbilden, um dann in Schulen und Vereinen Coming-Out-Hilfe für Jugendliche anbieten zu können. Einziges Problem dabei: Die Vielbunten  haben  noch keine Vereinsräume und müssen sich bis jetzt immer in Kneipen oder bei einem der Mitglieder zu Hause treffen.

Die Vielbunt-Macher

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Foto: Vielbunt e.V.

In der kurzen Zeit seines Bestehens ist der Verein schon oft in Frage gestellt worden – was den Vorstand eher bestätigt, dass es „Vielbunt” in Darmstadt braucht. Schwule und Lesben seien doch längst integriert und gesellschaftlich nicht mehr benachteiligt, kommt da als Argument. Oder: „Heterosexuelle Frauen schauen genauso begeistert ‚The L-Word‘ wie lesbische”. Oder: „Wir haben doch einen schwulen FDP-Außenminister und eine lesbische TV-Talkmasterin.” Oder: „Wir sind doch hier nicht in Polen, Ihr könnt doch Euren CSD feiern!”. „Darin spiegelt sich aber immer noch dieses Ihr und Wir. Natürlich gibt es nicht mehr so eine große Notwendigkeit für einen Verein oder Rückzugsräume, Homosexualität ist in den Medien hip”, sagt Kerstin. „Aber das ist nicht der Alltag. Jugendliche  haben immer noch Probleme mit ihrem Coming-Out, Erwachsene damit, sich am Arbeitsplatz zu outen, es gibt immer noch keine absolute Gleichstellung der Lebenspartnerschaft zur Ehe.” Zum anderen sind die Vereinsmitglieder überzeugt, dass Schubladen Vorurteile produzieren und sich dann nie was an der Wahrnehmung ändert. „Wir halten nichts von dieser Aufteilung in Mann/Frau, schwul/lesbisch, Szene/Alltag etcetera. Das sind alles Aspekte des Zusammenlebens und einzelner Personen.”

Kerstin hat schon seit ihrer Jugend Erfahrung mit Verbandsarbeit und weiß daher, dass trotz aller symbolisierten Offenheit Probleme bis hin zu Diskriminierung auftreten, wenn man nicht über sexuelle Identitäten redet. Zum anderen sei nach wie vor die Frage interessant, wie man solche Themen lokal verhandelt. Die Darmstädter SPD-Politikerin Brigitte Zypries etwa hat in ihrer Amtszeit als Bundesjustizministerin eine Studie über die Lebenssituation von Kindern in lesbischen und schwulen Partnerschaften erstellen lassen, weil sie damit gerne eine Gesetzesänderung im Adoptionsrecht erreicht hätte. „Was bedeutet dies beispielsweise für meine Lebenssituation in Darmstadt? Darüber würde ich gerne mal mit anderen Heinern reden”, so Kerstin. Apropos Politik: Auch das prompte Interesse am neu gegründeten alternativen Kulturverein seitens der Darmstädter Politik spricht für „vielbunt”. Oder ist das nur der beginnende Kommunalwahlkampf?

www.vielbunt.org