Illustration: Hans-Jörg Brehm
Illustration: Hans-Jörg Brehm
Lange Zeit hatte es danach ausgesehen, als würde der Winter in diesem Jahr ausfallen. Ende Januar kam er dann schließlich doch noch – und wie! In Osteuropa gab es bereits in der ersten Woche mehrere hundert Kältetote. Und bei uns? Wohin wenden sich in Darmstadt diejenigen Menschen, die ohne eigene Wohnung sind und keine Möglichkeit haben, bei Freunden oder Verwandten unterzukommen? Wie stellt sich hier überhaupt die Situation für Wohnungslose dar?

Das Eine gleich mal vorweg: In Darmstadt ist niemand gezwungen, auf der Straße zu schlafen. Das Recht auf Wohnung ist im Grundgesetz festgeschrieben und die Kommunen sind verpflichtet, Unterkünfte für wohnungslose Menschen bereitzustellen. In Darmstadt wird dem nachgekommen, auch wenn die existierenden Einrichtungen vor allem bei extremen Kälteeinbrüchen mitunter an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Verschiedene Träger stellen Schlafmöglichkeiten, sanitäre Einrichtungen und Weiteres für Wohnungslose zur Verfügung – so beispielsweise das Wohn- und Übernachtungsheim des Diakonischen Werks im Zweifalltorweg oder das Frauenübergangswohnheim in der Otto-Röhm-Straße.

Niemand wird weggeschickt

Malvina Schunk studiert Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Darmstadt. Nebenbei arbeitet die 24-Jährige in der Zentrale des Wohn- und Übernachtungsheims. Sie erzählt, dass dort im Zuge des Kälteeinbruchs im Januar die im Winter ohnehin etwas höhere Nachfrage nach einem Schlafplatz noch einmal gestiegen sei. „Aber auch wenn alle Betten belegt sind, wird niemand weggeschickt – es sei denn, die betreffende Person hat Hausverbot“, erklärt Schunk. Bis 17 Uhr bestehe zudem die Möglichkeit, Bedürftige an andere Einrichtungen in der Umgebung weiterzuvermitteln. Wer später komme und ein volles Haus vorfinde, müsse unter Umständen für eine Nacht mit einem Platz im Wohnzimmer oder auch im Speisesaal vorliebnehmen. Auch in einer anderen Einrichtung des Diakonischen Werks in Darmstadt war Malvina Schunk in der Vergangenheit bereits tätig. Über einen Zeitraum von insgesamt acht Monaten absolvierte sie zwei Praktika in der Teestube „Konkret“ im Johannesviertel. Bereits während ihres ersten Praktikums hatte die Hobby-Filmemacherin eine 15-minütige Dokumentation über diese ambulante Beratungsstelle gedreht, der ein Tagesaufenthaltsbereich für Menschen in Wohnungsnot angegliedert ist. Beim zweiten Mal stellte sie dann ein größeres Medienprojekt auf die Beine, in das sie Klienten der Teestube mit einbezog. Drei von ihnen waren schließlich maßgeblich an der Erstellung des fertigen Produkts beteiligt. „Vom Setting her sah es so aus, dass ich die Klienten eingearbeitet habe: Von Storyboard über Sequenzen schreiben bis hin zu Kameraführung, Perspektiven und eben auch, wie man Interviews führt“, erläutert Schunk.

Ein Film über Wohnungslosigkeit

Herausgekommen ist der 90-minütige Interview-Film „Perspektiven von oben und unten“, der sich intensiv mit dem Thema Wohnungslosigkeit in Darmstadt auseinandersetzt. Es kommen Passanten in der Darmstädter Innenstadt zu Wort, Vertreter der einzelnen Parteien beziehen Stellung zu der Problematik. Der damalige Sozialdezernent und heutige Oberbürgermeister Jochen Partsch, Mitarbeiter des Amts für Soziales und Prävention und der bereits erwähnten sozialen Einrichtungen sowie der Darmstädter Bahnhofsmission äußern sich zu Ursachen, Möglichkeiten der Prävention, Beratung und Unterbringung. Auf diese Weise entsteht ein umfassender Eindruck, der vor allem die Komplexität des Themas verdeutlicht. So sind allein die Gründe dafür, dass Menschen von Wohnungslosigkeit bedroht sind oder tatsächlich wohnungslos werden, sehr vielschichtig: Arbeitslosigkeit, Schulden, Sucht oder Krankheit können dazu führen, dass die Miete irgendwann nicht mehr bezahlt werden kann. Jugendliche sind oftmals gezwungen, die elterliche Wohnung zu verlassen, weil sie die Situation zu hause nicht mehr ertragen oder rausgeschmissen werden. Der Film wurde erstmals im Juni 2011 im Darmstädter Rex-Kino gezeigt. Die Vorstellung war restlos ausverkauft. Einige Interessierte hätten sogar wieder weggeschickt werden müssen, erinnert sich Malvina Schunk. Die Aufführung war kein gewöhnliches Kino-Erlebnis: „Einige Zuschauer waren mit verschiedenen Aussagen der Interviewten nicht einverstanden. Es gab zahlreiche Zwischenrufe und lautstarke Einwände“, so Schunk. Eskaliert sei die Sache aber nicht. Derzeit sind keine weiteren Aufführungen des Films geplant. Die erste kleine Auflage an DVDs ist bereits vergriffen. Schunk versichert, dass bald eine zweite folgen wird. Der Film kann dann über die Teestube „Konkret“ bezogen werden.