Foto: Jan Ehlers
Foto: Jan Ehlers

„Kennen Sie das Sprengel Museum in Hannover?“, begrüßt mich Claus K. Netuschil in seiner Galerie in der Schleiermacherstraße 8. Ich verneine. „Na, da fahren wir mal zusammen hin.“ So beginnt unser vierstündiges Gespräch über Kunst und Leben – voller Passion, Wissen und Eloquenz.

„Auf Darmstadt lass ich nichts kommen“, sagt Netuschil. Das macht Hoffnung, dass eine der letzten professionellen Galerien der Stadt erhalten bleibt. Bevor er und seine Frau 1976 die Saalbau-Galerie (in der Saalbaustraße) eröffneten, wusste Claus K. Netuschil lange nicht, „wohin ich mein Ei legen sollte“. Zwar verstand ein geschätzter Onkel, im kleinen Claus mit einem Gemälde des Spätromantikers Moritz von Schwind den Sinn für Malerei zu wecken. Doch es dauerte, bis sich Netuschil als Student der Kunstgeschichte und des Bibliothekswesens mit langem Haar und in einen Wildseidenmantel gewandet durch Berlin treiben ließ. „Drei Jahre Studium waren genug. Die Kunstwissenschaft zerschneidet ein Bild. Aber ich wollte hören, was mir ein ganzes zu sagen hatte“, erzählt er.

Der Kunsthistoriker möchte Kunst genre-übergreifend vermitteln. Er spricht vom „Dreigestirn des künstlerischen Ausdrucks“: Kunst, Literatur und Musik. Konzerte und Lesungen begleiteten die 350 Ausstellungen der letzten 36 Jahre. 80 Titel hat Netuschil im Eigenverlag herausgegeben, rund 400 Künstler gezeigt. „Die waren erst älter, dann gleich alt und nun sind sie alle viel jünger“, sagt er. Bis zu zehn Hoffnungsvolle klopfen jede Woche an. Aber nur wenige Künstler passen in seine „Choreografie der Ausstellungsfolge“. Für diese durchkämt er Deutschland und halb Europa nach „malerischen Leuten, die sich in die Kunst reinkippen – ob mit Pinsel oder Kettensäge“. Aber beim Hängen der Werke lässt er sich nicht reinreden – auch nicht vom Künstler.

Die Saalbau-Galerie eröffnete mit einer Ausstellung von Karl Thylmann. Dessen Witwe hatte den 1888 in Darmstadt geborenen Poeten und Künstler 60 Jahre überlebt. Der 18-jährige Netuschil war ihr begegnet und tief beeindruckt. Ein Buch und die „kunsthistorisch wichtige“ Ausstellung fruchteten daraus. Doch der Galerist versteht sich nicht als Vertreter der Darmstädter Künstler. Nur eine Handvoll davon betreut er, darum gilt er einigen als arrogant. Aber „die Darmstädter interessieren viel mehr die Künstler von woanders her“. Heute lagert Thylmanns Werk im Kunstarchiv Darmstadt. Claus K. Netuschil ist dessen Gründer und seit 28 Jahren Vorsitzender. Zu seinen Aufgaben dort gehört auch die Erstellung des Darmstädter Künstlerverzeichnisses. Zeitgenössische Kunst ist heute Thema des Galerieprogramms. Netuschils große Leidenschaft jedoch gehört dem Darmstädter Expressionismus. „Herr Netuschil, was ist Kunst?“, frage ich zum Abschluss. „Also, dafür treffen wir uns noch einmal.“ Gern.