Stolpersteine, Gedenktafeln und Mahnmale erinnern auch in Darmstadt an die Opfer der Nazi-Herrschaft. Doch diese Form der Erinnerung ist irgendwie abstrakt. Wer waren die Menschen, die in unserer Stadt verfolgt oder gar ermordet wurden? Welche Schicksale stecken hinter Namen und Daten? 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erzählt das P die Geschichten einiger dieser Darmstädter.
In der Zeit des Nationalsozialismus gab es Widerstand, wenn auch zu wenig. Die mutigen Menschen, die es wagten, aufzubegehren, mussten ihre Ideale oft mit dem Leben bezahlen. Trotz dieser schrecklichen Schicksale sind sie Vorbilder: Denn wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht. So muss auch Elisabeth Schumacher empfunden haben.
Geboren wurde sie am 28. April 1904 als Tochter des Ingenieurs Fritz Hohenemser in der Schlossgartenstraße 69 in Darmstadt. Ihr Vater stammte aus einer jüdischen Bankiersfamilie in Frankfurt am Main, ihre Mutter war in Thüringen beheimatet. Später zog die Familie nach Straßburg und von da nach Frankfurt. Elisabeths Vater fiel im Dezember 1914, woraufhin die Mutter mit Elisabeth und ihren vier Geschwistern in ihre thüringische Heimat zurückkehrte.
Elisabeth absolvierte eine Ausbildung als Grafikerin an der Kunstgewerbeschule in Offenbach und an den staatlichen Kunsthochschulen in Berlin. Anschließend arbeitete sie freiberuflich im Deutschen Arbeitsschutzmuseum, der späteren Reichsstelle für Arbeitsschutz in Berlin, wo sie als „Halbjüdin“ allerdings keine Festanstellung erhielt.
1934, ein Jahr nach dem Machtantritt der Nazis, heiratete sie den Bildhauer Kurt Schumacher. Durch ihn erhielt sie Zugang zum Widerstandskreis um den Wirtschaftswissenschaftler Arvid Harnack, der ebenfalls aus Darmstadt stammte, und Harro Schulze-Boysen, der als Luftwaffenoffizier im Luftfahrtministerium arbeitete.
Dieser Widerstandskreis wurde von der Gestapo „Rote Kapelle“ genannt und als sowjetisches Spionagenetz diffamiert. Dem Kreis gehörten weit über 100 Personen unterschiedlicher sozialer, kultureller und politischer Orientierung an: Gewerkschafter, Christen, Kommunisten und Sozialdemokraten, Arbeiter und Akademiker, Frauen und Männer.
Elisabeth Schumacher und ihr Mann beteiligten sich engagiert an den illegalen Aktivitäten der Gruppe, die Flugblätter, Klebezettel und Flugschriften verfasste, diese verbreitete sowie Fluchthilfe und Verstecke für Verfolgte organisierte. Vor allem Elisabeth Schumachers Fähigkeiten im Umgang mit Fotografietechnik waren für die Herstellung von Kopiervorlagen, Verkleinerungs- und Abzugsarbeiten von unschätzbarem Nutzen. Nach Kriegsbeginn und der Einberufung ihres Mannes verstärkte sie ihr gefährliches Engagement für die Widerstandsarbeit.
Zur illegalen Arbeit trat schließlich noch die Sorge um die drohende Deportation von jüdischen Verwandten ihrer Familie. Sie verlor zwei Onkel und eine Tante, die den Schergen durch Freitod zuvorkamen. Ihr Onkel Moritz Hohenemser wurde in das Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt und dort 1943 ermordet.
Auch die Schlinge um Elisabeth und ihren Mann zog sich immer enger zusammen. Im September 1942 flog das Widerstandsnetz auf und das Ehepaar wurde zusammen mit über 100 weiteren Mitglieder in Berlin verhaftet, mehr als 50 von ihnen wurden später zum Tode verurteilt. Auch die Schumachers und elf weitere Angeklagte, unter ihnen Arvid Harnack, wurden „wegen Vorbereitung zum Hochverrat, Feindbegünstigung und Spionage“ am 19. Dezember zum Tod verurteilt. Drei Tage später wurden sie in Berlin-Plötzensee ermordet. 45 Minuten nachdem ihr Mann erhängt worden war, wurde Elisabeth Schmacher durch ein Fallbeil der Kopf abgetrennt.
Ihr Abschiedsbrief an die Schwiegereltern zeigt, dass sie bis zum schrecklichen Ende an ihren humanistischen Idealen festhielt: „Schämt Euch unser nicht!“, heißt es darin, „Ihr wisst, dass wir keine Untermenschen sind, dass wir […] unserer besten Überzeugung folgten unter Hintanstellung von Sicherheit, Ruhe und Bequemlichkeit.“
Die Stadt Darmstadt ließ im Jahr 2001 unter anderem auf Initiative der Darmstädter Geschichtswerkstatt am Geburtshaus von Arvid Harnack in der Hochstraße 68 eine Gedenktafel anbringen. Die Eigentümer des Elternhauses von Elisabeth Schumacher in der Schlossgartenstraße 69 hatten es seinerzeit abgelehnt, zu Ehren der Widerstandskämpferin eine Gedenktafel anzubringen.