Foto: Jan Ehlers

Darmstadt kann grün, Darmstadt kann bio, Darmstadt kann nachhaltig – mittlerweile sogar ganz schön gut! In unserer Reihe „Das gute Leben“ stellen wir Euch Orte und Menschen vor, die dazu beitragen.

Flaschendeckel. Wollreste. Leere Kabeltrommeln. Kaputte Regenschirme. Es sind Dinge, die jeder von uns tagtäglich ungeachtet wegwirft. Hier haben sie noch mal ihren großen Auftritt: im „Haus der 1000 Dinge“. Äußerlich einfaches Wohnhaus, innen Kreativmaterialien-Kaufhaus, Räume für Workshops und Lager: Das „Haus der 1000 Dinge“ ist die logische Ergänzung des gemeinnützigen Vereins Ubuntu, der seit zehn Jahren im Martinsviertel wirkt und werkelt – mit der Idee, dem, was wir als Müll ansehen, einen neuen Nutzen zu geben, und dadurch uns Darmstädtern in erster Linie zu neuer Kreativität und indirekt auch zu einem Umdenken im ganzheitlichen, nachhaltigen Sinne zu bewegen.

Ina Stoppels ist studierte Kreativtherapeutin (in ihrer Heimat, den Niederlanden, ist das ein eigener Bachelor!) und lebt seit 14 Jahren in Darmstadt. Nachdem sie sich 2009 im Martinsviertel mit einem ganzen Spektrum an bildnerischen Angeboten für Menschen jeden Alters selbstständig gemacht hatte, wandelte sie ihr Kleinunternehmen 2012 gemeinsam mit der gelernten Erzieherin Sigrid Spohr zu einem gemeinnützigen Verein um. „Uns war wichtig, niederschwelliger zu werden und nicht nur Kinder aus gut situierten Akademiker-Familien zu erreichen“, erzählt sie. Seit 2013 ist der Ubuntu e. V. auch ein Freier Träger der Stadt Darmstadt und damit zuschusswürdig.

Ich bin, weil wir sind.

Aber wofür steht Ubuntu eigentlich? Das Wort kommt aus den südafrikanischen Sprachen und steht dafür, dass man als Mensch Teil einer Gemeinschaft ist. „Die Südafrikaner sagen: Ich bin, weil wir sind“, erzählt Ina. Das beinhaltet auch Nächstenliebe, Respekt füreinander und Hilfsbereitschaft. „All diese Aspekte machen Ubuntu aus.“ Neben diesen Werten arbeitet Ubuntu nach der Philosophie der „Reggio Emilia“-Pädagogik, die von einem kraftvollen, kreativen Kind mit großer Lernbegierde ausgeht – das lediglich Unterstützung dabei braucht, seinen Weg zu gehen. „Es geht bei uns nicht um Kunst mit dem großen K, sondern darum, dass jeder Mensch seinen Ausdruck findet. Das Bildnerische kommt im Alltag oft viel zu kurz, dabei ist es so wichtig, sich auch ohne Worte ausdrücken zu lernen – ob groß oder klein.“ Dabei helfen Bastelstunden ohne große Vorgaben, Schnittmuster oder Anleitungen; viel eher wird bei Ubuntu ganz frei mit den alltäglichsten Materialien gespielt.

Neben dem Anregen des kreativen Denkens ist dem Verein aber auch das Thema Nachhaltigkeit ganz wichtig: Neben Materialien, die man in jedem Kunsthandel findet – etwa Acrylfarben, Ton oder Gips – wird im Atelier in der Mollerstraße vor allem mit Dingen gearbeitet, die andere sonst wegwerfen würden.

Es hat seinen Zweck erfüllt und ausgedient – aber es ist ja noch immer da!

Neben Privatpersonen, die aufgeräumt und aussortiert haben, oder Überbleibseln aus Haushaltsauflösungen sind mittlerweile mehrere Darmstädter Firmen und Fabriken ergiebige Materialquellen für Ubuntu: „Läden, Werkstätten, Schreinereien – alle, die Materialien übrig haben und uns kennen, bringen regelmäßig Fehlproduktionen oder Restbestände vorbei.“ Ein großer Hersteller von Batteriesystemen hat in seinen Fabrikationshallen extra große „Ubuntu-Kisten“ aufgestellt, in die die ArbeiterInnen alles schmeißen, was sonst im Müll landen würde: Stanzabfälle, Fehlproduktionen, Materialreste. Susanne Schmitt von Schmitthut etwa bringt regelmäßig Filzreste oder leere Garnrollen vorbei.

All das wird feinsäuberlich sortiert und landet im überraschend gut organisierten Materialfundus von Ubuntu. Und dieser ist im Spätsommer diesen Jahres vom altgedienten Atelier in der Mollerstraße 28 ein paar Häuser weiter gezogen: Das ehemalige Pfarrhaus in Haus Nummer 23 stand bis auf die Gemeindebüros im Erdgeschoss schon viel zu lange leer. Zunächst konnte Ubuntu die beiden oberen Stockwerke als Lagerfläche nutzen, mittlerweile hat der Verein das gesamte Haus gemietet und im Erdgeschoss einen Materialladen eingerichtet. Hier kann jeder einkaufen – und dabei selbst überlegen, was ihm etwas wert ist. „Das ist auch ein sehr wertvoller Gedanke“, erklärt Ina: „Wie viel ist mir etwas wert, das ein anderer aussortiert oder weggeworfen hat – aber das für mich ja offensichtlich noch einen Nutzen hat?“ Kinder bekommen für 2,50 Euro einen Korb, den sie beliebig füllen können.

Das „Haus der 1000 Dinge“ regt zum Umdenken, zum Kreativwerden an. Selbst die Einrichtung dort besteht komplett aus Dingen, die andere sonst weggetan hätten. Große Kabelrollen dienen als Tische. Das Wort „Upcycling“ füllt sich beim Betreten der Räumlichkeiten sofort mit Leben.

Das ist ein Flaschendeckel, aber er kann ja auch ein Rad von einem Auto werden.

Kreativen Gedanken ein Ventil geben wollen Ina, Sigrid und die weiteren Mitarbeiter von Ubuntu durch ihre Workshops, Ferienangebote und Kurse. Seit zwei Jahren richtet sich auch hier der Fokus immer mehr auf die Nachhaltigkeit, stellen sie dabei fest: „Immer mehr Schulen und Kindertagesstätten wollen einen anderen Weg gehen und bei den Kindern ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit wecken.“ Dabei helfen Upcycling-Projekte enorm. Die Arbeit bei Ubuntu ist also eine Win-Win-Situation für unsere Gesellschaft: Sie steigert nicht nur das kreative Denkvermögen und zeigt Menschen neue Wege, sich auszudrücken – sie fördert auch das Bewusstsein für Müll und Nachhaltigkeit.

 

Die Ubuntu-Welt

– Im 80 Quadratmeter großen Atelier in der Mollerstraße 28 finden nach wie vor Kurse, Ferienangebote, Workshops, Geburtstagsfeiern und weitere bildnerische Angebote für jedes Alter statt.

– Im Haus der 1000 Dinge in der Mollerstraße 23 kann man Materialien einkaufen und abgeben; außerdem Räume für Workshops anmieten oder ganz individuelle Konzepte spinnen.

– Der bunte Ubuntu-Bus ist ein mobiles Mini-Atelier mit ausklappbarer Werkbank, mit dem Ina und ihr Team in den Sommermonaten etwa auf öffentliche Spielplätze in Kranichstein, Eberstadt-Süd und der Waldkolonie sowie zu Geflüchteten-Unterkünften fahren – oder in Schulen und Kindertagesstätten, von denen sie gebucht werden.

– Auf dem Friedrich-Ebert-Platz gibt es die „Schatzinsel“, eine Mini-Dependance von Ubuntu, wo Kinder in den Sommermonaten einmal die Woche kostenlos gestalten und kreativ werden können.

www.ubuntu-dorf.de