Foto: Ulrike Liebig

Noch immer sind weltweit über 60 Millionen Menschen auf der Flucht, vertrieben durch Krieg und Armut, die in den Ländern herrschen, die sie ihr Zuhause nennen. Verfolgung und Angst sind es, die diese Menschen zum letzten Schritt bewegen: sich auf den langen und beschwerlichen Weg machen – in ein anderes Land. Hinein in eine fremde Welt, eine fremde Kultur, mit einer fremden Sprache, die sie nicht sprechen. So wie Shukur (21) und Mohammad (20), zwei junge Männer, die wir schon im Oktober-P 2015 kennengelernt haben. Die beiden flüchteten aus ihrer Heimat Afghanistan nach Deutschland. Das Darmstädter Ehepaar Navid Neschat-Mobini und Ulrike Liebig hat für die beiden damals eine Patenschaft übernommen, im Rahmen einer Initiative des Sozialkritischen Arbeitskreises. Heute leben Shukur und Mohammad in Darmstadt. Viel Zeit ist vergangen. Wie geht es den beiden mittlerweile?

Hinter den jungen Männern liegt ein turbulentes Jahr mit vielen Tiefen, aber glücklicherweise auch mit einigen Höhen. So konnte Shukur ein Praktikum bei der Firma Holzbau Dächert in Eberstadt absolvieren [wir haben in P-Ausgabe 84 im Mai 2016 berichtet]. Zusätzlich hat er bei der Initiative „Wirtschaft integriert“ des Hessischen Bildungswerks in Darmstadt ein- bis zweimal die Woche an Deutschkursen teilgenommen. Schwierig wurde es mit der Arbeitserlaubnis. Um am sogenannten Einstiegsqualifizierungsjahr (EQJ), der Vorstufe zur möglichen Ausbildung als Zimmermann, teilnehmen zu können, benötigte Shukur als Flüchtling eine Arbeitserlaubnis. „Es ging immer hin und her, weil immer irgendetwas gefehlt hat. Doch nach gut acht Wochen hatten wir die Erlaubnis dann endlich“, erinnert sich Ulrike Liebig.

Eine Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt gestaltet sich für Shukur allerdings weiterhin hürdenreich. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Laut Asylgesetz gehöre er nicht in die Gruppe der Asylberichtigten. Weder drohe ihm Verfolgung, noch sei er in seinem Heimatland, in dem seit Jahrzehnten Krieg und Terror herrschen, willkürlicher Gewalt ausgesetzt, so die Begründung. Die Enttäuschung ist groß, die Kanzlei seines Anwaltes brechend voll mit anderen Asylbewerbern, denen es genauso geht wie Shukur.

Während über 80 Prozent der deutschen Bürger eine schnelle Eingliederung von Flüchtlingen in die Arbeitswelt befürworten, ist der bürokratische Weg lang. Die Bearbeitung des Widerspruchs von Shukurs Ablehnung kann sich auf ein- bis eineinhalb Jahre hinauszögern. Für Shukur heißt das: warten. Die Hoffnung gibt er nicht auf. Bis eine Entscheidung fällt, kann viel passieren – und vielleicht wird Shukur doch noch Zimmermannslehrling.

Zwischen Hoffnung und Einsamkeit

Auch für Mohammad ist ein langes Jahr zu Ende gegangen. Im vom jahrzehntelangen Krieg gezeichneten Afghanistan konnte er schon lange keine Schule mehr besuchen. In Darmstadt absolviert er jetzt die Fördermaßnahme „InteA – Integration durch Anschluss und Abschluss“ in der Peter-Behrens-Schule, um ein zertifiziertes Sprachdiplom zu erwerben. Gerne würde er auch endlich seinen Hauptschulabschluss nachholen. Der ersehnte Abschluss bleibt für den motivierten Zwanzigjährigen jedoch auch in Deutschland ungewiss. Das „InteA“-Programm des Hessischen Kultusministeriums umfasst – entgegen seines Titels – nämlich gar nicht den Erwerb eines berufsqualifizieren Abschlusses. Zu hoffen bleibt, dass Mohammad die Möglichkeit erhält, einen externen Hauptschulabschluss im Rahmen einer Nicht-Schülerprüfung zu erlangen. Dann könnte er auch eine Ausbildung in Angriff nehmen. Im Sommer hat Mohammad erfolgreich ein Praktikum bei Fielmann Optik direkt in der Darmstädter Innenstadt absolviert. Jetzt würde das Unternehmen ihm gerne einen Ausbildungsplatz zum Augenoptiker anbieten. Dazu könnte er zusätzlich wie Shukur das EQJ machen, das würde auf seine Lehrzeit angerechnet werden.

Für zwei junge Menschen, die noch nicht lange in einem fremden Land mit einer ihnen fremden Sprache leben, haben Shukur und Mohammad viel erreicht. Dennoch stehen sie nun vor scheinbar unüberbrückbaren Hürden. Bei der Suche nach einem Neuanfang bahnen sich Angst und Frustration ihren Weg in die Köpfe. Es ist ein ständiges Schwanken zwischen Zuversicht und Unsicherheit, zwischen Hoffnung und Einsamkeit. Eine Chance, mehr wollen sie nicht. Nicht nur von den Behörden. Auch von ihren Mitmenschen, draußen auf den Straßen in den Cafés, im Bus. Denn auch nachdem sich die beiden Jungs in Darmstadt gut eingelebt haben, konfrontiert der Alltag sie oft mit ihrer Fremdheit – auch bei Gleichaltrigen. Die reagieren mitunter ablehnend, wenn Mohammad zum Beispiel beim Weggehen keinen Alkohol trinkt. „Dann finden sie einen komisch und merkwürdig“, berichtet er ernüchternd. Dies lässt uns nur noch lauter sagen: Darmstadt muss offen bleiben. Jetzt und in Zukunft!

 

Patenschaft – einander reicher machen

Gerade hinsichtlich sprachlicher Hürden und bei der Kommunikation mit Behörden und Ämtern ist eine Patenschaft für Geflüchtete, wie sie Navid Neschat-Mobini und Ulrike Liebig übernommen haben, von immensem Wert. Sie hilft aktiv bei der Integration. Wie Ihr eine solche Patenschaft übernehmen könnt? Und wie Ihr anderweitig Flüchtlingen in Darmstadt helfen könnt? Das könnt Ihr nachlesen unter: www.p-stadtkultur.de/die-patenschaft-gibt-viel-positive-energie-zurueck