Foto: Fridays For Future

In London blockierten im Frühjahr dieses Jahres Aktivisten der globalen Bewegung „Extinction Rebellion“ alle Brücken über die Themse. Jeden Freitag demonstrieren Tausende Schüler bei „Fridays for Future“. Mehr als Tausend Menschen haben bereits die Onlinepetition „Klimanotstand Darmstadt“ unterschrieben (Stand: 10. August 2019). Doch was genau wollen die Mitglieder von Fridays for Future und Extinction Rebellion hier vor Ort erreichen? Wie können wir dem Klimawandel entgegenwirken? Was hat ziviler Ungehorsam damit zu tun? Und wird es auch in Darmstadt bald zu Blockaden kommen? Um diese und weitere Fragen zu klären, traf das P Sabrina, Niko und Jacob von Extinction Rebellion Darmstadt und Björn von Fridays for Future Darmstadt.

Das P: Wie schlimm steht es ums Weltklima?

Jacob: Uns läuft einfach die Zeit davon. Es häufen sich die Meldungen über auftauende Permafrostböden (deren Auftauen eigentlich für 2090 vorhergesagt wurde, die aber jetzt schon tauen), wegschmelzendes Grönlandeis, der Brand in Sibirien, das erste Massensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Es sollte allen Menschen klar werden, dass wir gerade vor einer ökologischen Katastrophe stehen. In vielleicht fünf Jahren sind Kippelemente erreicht und dann ist es irreversibel. Dann steigt die Erderwärmung noch weiter an, die Szenarien bei plus 1,5 Grad sind schon schlimm. Bei 2 Grad oder mehr sprechen wir wirklich von katastrophalen Auswirkungen. 100 Millionen Menschen, die sich auf die Flucht begeben müssen, weil Teile der Erde dann einfach nicht mehr bewohnbar sind. Ich gehe auch davon aus, dass der jetzige Sommer der kühlste in den nächsten 25 Jahren ist, mit allen Auswirkungen – und wenn man überlegt, dass es 2003 allein in Europa 70.000 Hitzetote gab, sieht man, dass wir vor wirklich schwierigen Zeiten stehen.

Also ist eigentlich alles schon zu spät?

J: Ein Spruch von Extinction Rebellion, kurz XR, lautet: „Hope dies, action begins.“ Das zeigt sehr gut, wie man sich fühlt, wenn man sich genauer mit dem Thema beschäftigt. Man verliert irgendwann die Hoffnung, aber dann kommt man an einen Punkt, an dem man merkt: Jetzt hilft nur noch sich mit allen Kräften zu engagieren.

Björn: Für mich steht Fridays for Future auch für Hoffnung. In den Gruppen und auf Demos lernt man Leute kennen, die die gleichen Vorstellungen haben, was es einem einfacher macht, für seine Überzeugungen einzustehen. Das hilft auch gerade dann, wenn sich im eigenen Umfeld niemand oder fast niemand engagiert. Man sieht, dass man nicht allein ist.

J: Ich kenne auch genügend Menschen, die aufgrund dieser Klimaauswirkungen von Wut, Trauer und Ohnmacht übermannt werden oder sogar depressiv werden. Und da können solche Gemeinschaften helfen. Gerade bei XR ist das auch noch mal gesondert verankert, dass aufeinander geachtet wird, es finden Meditationen und Gruppenunternehmungen statt, um auch schöne Dinge gemeinsam zu erleben. Oder auch therapeutische Maßnahmen. Psychologists for Future haben zum Beispiel allen Klimaaktivisten Coachings und therapeutische Hilfe angeboten, weil viele Leute einfach daran verzweifeln. Abgesehen vom Protest brauchen wir auch eine Kultur des neuen Mit- und Füreinanders. Denn die Auswirkungen werden Generationsproblematiken hervorrufen und es wird eine Abrechnung stattfinden. Unsere Kinder und Enkelkinder werden uns fragen: Was hast Du damals getan, als die Klimakatastrophe losging? Und dann wird man nicht sagen können, dass man nichts davon wusste. Ich habe allerhöchsten Respekt vor Fridays for Future, die das Thema Klima wieder auf die Agenda gebracht haben und so kontinuierlich jeden Freitag streiken und so viel Energie hineinstecken. Und es ist so schade, dass sie teilweise belächelt, verleugnet und persönlich angegriffen werden.

B: Fridays for Future hat das Ziel, eine gesamtgesellschaftliche Bewegung zu werden. Wir haben mit den Studierenden angefangen. Zum Beispiel hatten wir letzen Monat eine Vollversammlung, bei der die TU Darmstadt über interne klimapolitische Forderungen abgestimmt hat.

Was möchtet Ihr konkret erreichen?

J: XR hat drei Forderungen. Die erste ist: „Sagt die Wahrheit!“ Die Politiker und Medien sollen sagen, wie schlimm die Klimakrise wirklich ist. Außerdem fordern wir CO2-Neutralität bis 2025 (nicht 2050!). Das ist eine radikale Forderung, aber sie ist notwendig, weil uns die Zeit davonrennt. Da dafür sehr unliebsame Entscheidungen getroffen werden müssen, die Politiker ihren Job kosten könnten, ist unsere dritte Forderung eine BürgerInnenversammlung. Diese soll Klimaschutzmaßnahmen vorschlagen und im besten Fall auch darüber entscheiden.

Niko: XR stellt dabei bewusst keine Lösungsansätze bereit. Wir wollen die Rahmenbedingungen liefern und uns nicht in Lösungskonflikte reinziehen lassen.

J: Die Frage ist auch einfach, ob es denn sein muss, dass von Schülern oder von NGOs Lösungen gebracht werden. Das ist ja eigentlich die Aufgabe der Politik und der Experten.

B: Fridays for Future hat bundesweite Forderungen gestellt, und es werden auch gerade Lokalforderungen für Darmstadt ausgearbeitet. Das erste Ziel ist die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens und des 1,5-Grad-Ziels. Wir fordern damit die Politik auf, sich an bereits Beschlossenes auch zu halten. Tatsächlich sind unsere Forderungen nicht so radikal, wie sie teilweise dargestellt werden. Außerdem wurden bundesweit noch sechs Forderungen aufgestellt, beispielsweise Klimaneutralität bis 2035. Mittlerweile haben sich auch mehrere Untergruppen gegründet, wie zum Beispiel Scientists for Future, wodurch 27.000 WissenschaftlerInnen unsere Forderungen unterstützen. Oder auch Parents for Future.

 

Foto: Fridays For Future

XR und Fridays for Future: Beide Gruppen haben sehr ähnliche Ziele. Wo liegen denn die Unterschiede?

B: Der größte Unterschied ist das Aktionslevel. Natürlich gehört das Streiken während des Unterrichts auch zum zivilen Ungehorsam, aber Extinction Rebellion ist da, denke ich, noch ein Level höher.

J: Genau. Bei XR gibt es verschiedene Aktionslevel, von angemeldeteten „Standing still“-Aktionen, bis hin zu Verkehrsblockaden oder dem Anketten an Gebäude. In England geht es bis zur bewusst kalkulierten Verhaftung aufgrund zivilen Ungehorsams. Was natürlich auch großes Aufsehen erregt, gerade weil die Verhafteten so divers sind: Von Rentnern über ArbeiterInnen bis zu Jugendlichen war alles vertreten. Ansonsten sind wir wahrscheinlich von den Altersgruppen gemischter aufgestellt, weil Fridays for Future viele sehr junge Mitglieder hat.

Sabrina: Gerade die Vernetzung der verschiedenen, sich engagierenden Gruppen ist sehr wichtig. Denn wenn sich alle zusammentun, können wir wirklich etwas Großes erreichen.

Wie habt Ihr Euch gegründet und wie seid Ihr organisiert?

N: Extinction Rebellion hat sich in England aus der Prämisse gegründet, dass Demonstrationen nichts mehr bringen und sich Politik und Wirtschaft taub stellen. Es geht darum, den täglichen Ablauf zu stören und zu blockieren. In London wurden die wichtigsten Verbindungsbrücken über Wochen blockiert und innerhalb kurzer Zeit war der Klimanotstand für London durch.

J: XR hat dabei zehn Prinzipien, das (für mich) wichtigste Prinzip ist die Gewaltfreiheit. Wir wollen mit friedlichen Aktionen etwas bewegen. Der zivile Ungehorsam, also der bewusste Regelbruch, ist dabei unser Mittel. Der Alltag wird solange gestört, bis die Politik handeln muss. XR ist dabei dezentral aufgebaut, also über selbstorganisierte Ortsgruppen. Der Austausch findet international wie national über ein Kommunikationstool statt. In Darmstadt treffen wir uns außerdem jeden Sonntag.

N: Die Organisation von XR ist selbstorganisierend aufgebaut, es gibt also keinen Anführer, alle sind gleichberechtigt, alle sind willkommen. Die Geschichte und die Wissenschaft haben auch gezeigt, dass es bereits reicht, wenn 3,5 Prozent der Bevölkerung aufsteht, um einen Systemwandel herbeizuführen. Und durch XR wollen wir genau diese 3,5 Prozent der Bevölkerung mobilisieren.

B: Bei Fridays for Future hat eigentlich alles mit Greta Thunberg begonnen, die vor dem schwedischen Parlament demonstriert hat, das ist dann nach Deutschland übergeschwappt. Anfang Januar sind die ersten Darmstädter Schüler und Studierenden zusammen nach Berlin gefahren, um dort zu demonstrieren. Und im Februar gab es dann die erste Demo in Darmstadt mit knapp 4.000 Teilnehmenden.

Ihr unterstützt die Onlinepetition „Klimanotstand Darmstadt“. Ist „Notstand“ nicht ein zu drastischer Begriff und sollten die Entscheidungen nicht in Ruhe überlegt und getroffen werden?

N: Wir stehen nicht nur mit dem Rücken zur Wand, wir liegen quasi schon im Grab, nur ein Fußzeh schaut noch heraus. Wenn wir nicht drastische Maßnahmen ergreifen, werden wir das Ruder nicht mehr herumreißen können. Deswegen finde ich, dass es genau die richtige Wortwahl ist. Die Petition in Darmstadt ist bewusst sehr drastisch, sehr genau und intensiv geschrieben und wir als XR haben darüber abgestimmt und entschieden, dass wir da voll und ganz dahinterstehen.

J: Wir haben auch einfach keine Zeit mehr. Meiner Meinung nach werden durch die Klimakrise alle anderen Themen verstärkt. Zum Beispiel wird die soziale Ungleichheit erhöhen, weil sich die reicheren Menschen Maßnahmen leisten können, um sich zu schützen, die Armen nicht. Und auch andere Auswirkungen auf die Gesellschaft wird es geben. Wir haben ja 2015 gesehen, welchen Rechtsruck es in vielen Ländern ausgelöst hat, als zwei Millionen Menschen nach Europa geflüchtet sind – was passiert dann bei 200 Millionen?

S: Es geht ja auch genau darum, dass man in der Politik durch diesen Begriff handlungsfähiger ist, mehr Regelungen durchsetzen kann und mehr Geld für das Thema bereitgestellt wird.

B: Es ist ja auch nicht so, als wäre das Thema jetzt auf einmal einfach da. Die Politik weiß schon sehr lange über die Auswirkungen Bescheid und da ist auch beim Thema erneuerbare Energien sehr viel auf der Strecke geblieben. Wenn das Thema früher verfolgt worden wäre, dann wären die Auswirkungen jetzt auch nicht so schlimm. Je länger wir warten und diskutieren, desto verheerender werden die Folgen.

Was kann man im Alltag tun, um den Klimawandel zumindest nicht zu verschlimmern?

J: Es ist sicher hilfreich, wenn jeder Einzelne nicht fliegt, sich bewusst ernährt, nicht Auto fährt, sondern Rad und versucht auf Plastik zu verzichten. Alles hilft. Aber es fehlt die Zeit, das über individuelle Aufklärung zu lösen. Und wir sind an dem Punkt vorbei, an dem man sagen kann: Wenn jeder jetzt ein bisschen mehr Fahrrad fährt, ist alles gut. Sondern wir brauchen Regeln und Gesetze. Wir haben eine Tragödie des Allgemeinguts: Die Natur darf kostenlos verschmutzt werden. Deshalb müssen Anreize geschaffen werden, klimafreundliches Verhalten von Unternehmen, Organisationen und Personen muss gefördert, klimaschädliches Verhalten bestraft werden. Was es jetzt braucht, ist politischer Druck. Deshalb: Jede(r) sollte wenigstens bei den Demonstrationen der Schüler mitlaufen! Ansonsten kann jede(r) Einzelne natürlich versuchen, in seinen eigenen Unternehmen, Vereinen und Organisationen Maßnahmen voranzubringen, je nach Größe des Unternehmens kann man dadurch sehr große Hebel in Gang setzen. Wenn man beispielsweise durchsetzt, dass in einer großen Firma alle die Suchmaschine Ecosia [Suchmaschine, die Bäume pflanzt] nutzen, hat das sicher eine Wirkung.

B: Ich sehe das ähnlich. Von der Oma bis zum Kleinkind sollten alle demonstrieren, zum Beispiel am 20. September beim Weltklimatag, unter dem Motto: „#AllefürsKlima“.

 

#AllefürsKlima

Am 20. und am 27. September finden die globalen Klimastreiks statt.

Von Fridays for Future organisiert ist für Freitag, den 20. September, in Darmstadt eine Großdemo mit anschließender Kundgebung und Straßenfest:

Um 12 Uhr geht’s am Hauptbahnhof los, der Demozug endet gegen 15 Uhr auf dem Karolinenplatz.

Dort beginnt dann die Kundgebung mit Bühne, Reden von zum Beispiel Wissenschaftlern oder Förstern, verschiedene Bands treten auf, es gibt Infostände von anderen Organisationen, die im Umweltbereich tätig sind (unter anderem: Hofgut Oberfeld), Kinderspielecken und vegane Food-Trucks. Das Straßenfest wird bis circa 20 Uhr andauern, damit auch Personen teilnehmen können, die bis 18 Uhr arbeiten müssen und nicht an der Demonstration teilnehmen konnten.

XR rebellion weeks

Ab 07. Oktober werden in mehreren Städten auf der Welt die täglichen Abläufe blockiert und zum Erliegen gebracht.

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