„Wir zahlen nicht – wir streiken!“: Die bundesweite Kampagne gegen enorm gestiegene Strompreise, die sich viele nicht mehr leisten können, kämpft auch in Darmstadt gegen die Energiearmut an. Ziel: eine Million Mitstreikende | Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Das Leben wird immer teurer, wir merken es alle. Eines der jüngsten Beispiele: die stetig steigenden Strompreise. Mittlerweile ist der Punkt erreicht, an dem wir handeln müssen. Das findet zumindest die Streikinitiative „Wir zahlen nicht“ und hat dafür auch schon einen konkreten Plan! Wie der aussieht, erzählt Max von der Darmstädter Gruppe der Kampagne.

Hey Max, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für dieses Interview nimmst! Lass uns direkt anfangen: Erzähl‘ mir doch mal, was „Wir zahlen nicht“ eigentlich ist.

Max: Die Kampagne ist eine Streikinitiative, das heißt, dass wir unseren Stromabschlag, also die Zahlungen an unsere Anbieter, bestreiken wollen. Die Idee ist nicht von uns, es gibt schon die englische Kampagne „Don’t pay“, die im letzen Jahr angelaufen ist. Davon haben wir uns inspiriert, aber unsere eigenen Forderungen gestellt.

Welche sind das?

Es gibt vier konkrete Dinge, die wir erreichen wollen: 1.) nachhaltigen und bezahlbaren Strom [zum Preis von 15 Cent pro Kilowattstunde] für alle, 2.) ein Verbot für Stromsperren, 3.) 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien und 4.) die Vergesellschaftung des Energiesektors.

Und um diese Ziele zu erreichen, soll ich jetzt einfach aufhören, für meinen Strom zu bezahlen?

Ganz so einfach ist es nicht und davon sind wir tatsächlich auch noch ein bisschen entfernt. Es gibt einen groben Fahrplan für die Kampagne, der nicht nur für uns in Darmstadt gilt, sondern bundesweit, und der sieht drei Schritte vor: 1.) eine Streikbewegung aufbauen, also Menschen informieren, Unterschriften sammeln, sie auch als engagierte Helfer:innen gewinnen et cetera, 2.) ganz easy: eine Million werden und 3.) in Streik treten. Momentan sind wir in Schritt eins.

Eine Million Menschen? Das sind schon sehr viele! Ist es denn realistisch, dass sich so viele Leute als streikbereit erklären?

Es ist schon ein bisschen verrückt, aber das ist die Situation eben auch. Wenn wir uns anschauen, dass auch Millionen Menschen sich ihre Stromrechnung nicht mehr oder nur kaum noch leisten können, obwohl Strom und Energie Grundbedürfnisse sind, und wir dann auch noch für die Profite der großen Konzerne zahlen, dann erscheint die Idee, dass diese Million Menschen eben auch streiken, gar nicht mehr so absurd. Weil wir uns jeden Tag um so viele Dinge kümmern müssen, finden wir uns mit vielem einfach ab. Dazu sind wir aber nicht länger bereit und appellieren an alle, die es auch nicht sind. Von Student:innen bis Rentner:innen betrifft dieses Problem einfach so viele Menschen, und deshalb handeln wir auch alle gemeinsam.

Der beste Outcome wäre natürlich, wenn alle Forderungen erfüllt werden – aber was wäre der worst case? Wie sieht es aus mit den Konsequenzen für mich als Privatperson?

Deshalb unter anderem ist auch dieses so hohe Ziel von einer Million Menschen angesetzt. Weil wir so die negativen Konsequenzen für jede:n Einzelne:n am besten minimieren können. Wenn hundert Menschen nicht zahlen, dann wird dort einfach der Strom abgedreht. Aber eine Million? Dann sind wir eine Masse, die auch die Macht hat, Forderungen zu stellen und gehört zu werden. In den FAQ auf der Webseite der Kampagne gibt es dazu auch ziemlich ausführliche Antworten – im Allgemeinen gilt: Je mehr Menschen wir sind, desto sicherer sind wir als Einzelne und desto sicherer ist, dass wir mit der Kampagne Erfolg haben werden.

Wie ist denn die Situation konkret hier in Darmstadt?

Wir haben auch hier Energiearmut, also Armut, die entsteht, wenn die Energiekosten steigen und das Bezahlen zu einer solchen Last wird, wie es momentan der Fall ist. Zusammen mit der sehr hohen Mietbelastung hier in Darmstadt stellt uns das alle vor eine totale Zumutung. Was wir hier auf jeden Fall auch haben, sind verhängte Stromsperren. Die Entega, die ja Darmstadts größter Versorger ist, hat 2022 für 2.579 Haushalte den Strom abgedreht. Diese Sperren haben durchschnittlich 23 Tage gedauert. Das müssen wir uns erst mal vorstellen: 23 Tage ohne Strom! Oft kein Warmwasser, keine elektrischen Geräte, kein W-LAN, Licht, keinen Kühlschrank, Herd. Das ist schon total beängstigend. Hier ist es also auch ein sehr reales Problem, dass viele Menschen ihre Rechnungen einfach nicht mehr zahlen können.

Und was habt Ihr für die nächste Zeit geplant?

Momentan sind wir vor allem auf Streiks und Demos präsent und reden mit den Leuten. Das werden wir auch weiterhin machen – dort kann mensch uns auch einfach anquatschen und sich informieren! Wie es dann weitergeht, entscheiden wir zusammen. Ob wir von Tür zu Tür gehen, in den Stadtteilen Infostände aufbauen, Demos organisieren oder Plakataktionen veranstalten … da sind uns eigentlich keine Grenzen gesetzt. Wir wollen gemeinsam die Darmstädter Gruppe aufbauen und auch zusammen entscheiden, wie genau wir weitermachen.

Das waren jetzt ganz schön viele Infos, wo kann ich Euch erreichen, wenn ich noch Detailfragen habe?

Die Kampagne ist auch wirklich komplex. Also es ist wohl allen klar, dass wir nicht für die Profite der Konzerne zahlen wollen und auch keinen Strom mehr aus fossilen Energien beziehen möchten – aber, wer hat denn schon mal eine Abschlagszahlung bestreikt? Oder sich wirklich damit auseinandersetzt, wie der Strompreis zusammengerechnet wird? Bei dem Thema besteht einfach noch hoher Gesprächsbedarf und dafür sind wir da. Sprecht uns einfach bei Streiks oder Demos an, folgt unserem Instagram-Account @scheisseteuer oder der Telegram-Gruppe T.me/scheisseteuer, schreibt uns eine E-Mail an darmstadt@wirzahlennicht.info oder informiert Euch auf der Website der Kampagne: wirzahlennicht.info

Hast Du noch ein finales Statement?

Wir zahlen nicht – wir streiken, und dafür brauchen wir Euch! Kommt bei Demos auf uns zu, schreibt uns eine Mail und folgt unseren Social-Media-Kanälen. Die Situation ist mies, aber das muss sie nicht bleiben. Wir leisten Widerstand, gemeinsam!

Dankeschön für das Gespräch, Max.

 

15 Cent pro Kilowattstunde Strom – wie kommen die da drauf?

Die Initiative „Wir zahlen nicht“ rechnet vor: „Der durchschnittliche Strompreis setzt sich aktuell (Stand: 2022) aus drei Komponenten zusammen. Das sind der Preis für die Stromerzeugung (44,2 %), der Preis für die Netzentgelte (24,7 %) sowie sonstige Abgaben (unter anderem 16 % Mehrwertsteuer, 6,3 % Stromsteuer und 8,9 % sonstige Abgaben). An der Strombörse bestimmt der Erzeugerpreis für die teuerste Energiequelle den Gesamtpreis für die Stromerzeugung. Aktuell ist Strom aus Gas am teuersten. Erzeuger, die Strom aus vergleichsweise billigen Produktionsquellen herstellen, also aus erneuerbaren Energien, Kohle oder Atom, erhalten somit für ihren Strom auch den Gaspreis, obwohl sie selbst geringere Produktionskosten hatten. Dadurch kommt es zu großen Gewinnen beziehungsweise Übergewinnen bei diesen Erzeugern. Bereits jetzt wird der größte Anteil an Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen (45 % des Strommixes). Der Produktionspreis für erneuerbare Energie ist am günstigsten und liegt aktuell bei circa 15 ct/kWh. Dies ist aber nur der Durchschnittspreis. Wenn man sich nur die Produktionskosten aus neuen Anlagen anschaut, liegt dieser bei rund 7,5 ct/kWh. Durch den weiteren Ausbau neuer Anlagen und technischen Verbesserungen wird der Durchschnittspreis für erneuerbare Energien voraussichtlich noch weiter sinken und langfristig die günstigste Energiequelle darstellen. Und dabei darf nicht vergessen werden: Beim Produktionspreis für fossile und atomare Energien werden die enormen Folgekosten nicht eingerechnet.“