Illustration: Ninja Stadtler
Illustration: Ninja Stadtler

Vor sechs Jahren wurde ich entführt. Einen halben Tag Autofahrt in die Schweiz, den Koffer vom geliebten Mann heimlich gepackt, brachte mich dieser in das architektonisch hochgelobte Areal des Peter Zumthor: die Therme Vals. Er hatte mir die falschen Sachen eingepackt, die Schuhe ganz vergessen und das Budget reichte nur für einmal Abendessen im Roten Salon. Wir fühlten uns trotzdem wie Filmstars. Verbrachten wertvolle Stunden mit Wellness in exquisitem Ambiente. Es war ein Auftritt in weißem Frottee, ein Gefühl von Luxus und Wohlempfinden, herrlich, auch mit ausgelatschten Turnschuhen an den unlackierten Füßen.

Sauna-Tempel, Massage-Zentren, Aroma-Oasen waren bis dato immer weiter weg, immer Urlaub, immer Entfernung vom Alltag gewesen. Doch zumindest für den Alltag eines Darmstädters, einer Darmstädterin ist dies seit Januar 2008 anders. Ein mit Thermal-wasser befülltes Juwel befindet sich jetzt direkt vor unseren Haustüren. Das restaurierte Jugendstilbad ist ein touristisches Ziel für Wellness-Pilger. Heißluft und Hamams für Heiner liegen nun im Zentrum der Stadt. Es könnte also ganz einfach sein. Badetasche aus dem Keller geschnappt, hingeradelt – geschwelgt und genossen.

Aber – so zeigt mein erster Besuch – es verbirgt sich hinter der nun weit offenen Wellness-Tür auch eine Dampfwolke voller Zweifel. Noch in der Umkleide treffe ich einen entfernten Verwandten, mit dem ich hier bestimmt nicht saunieren wollte. Während mir Millionen von Schweißperlen den Rücken hinunterkullern, droht das Schulterklopfen eines Bekannten, gepaart mit einem dummen Spruch.

Wellness als Heiner(in) im Jugendstilbad will vorbereitet sein

Die blickdurchlässigen Holzverkleidungen der Süd­fassade des Bades bringen es architektonisch auf den Punkt: Sehen und gesehen werden. Ein Saunagang im Jugendstilbad kann zum lokalpolitischen Aufguss werden, wenn im Whirlpool des Spas die Gerüchteküche blubbert. Will man wirklich wissen, welcher Darmstädter Oberspießer die Liegen mit seinem Handtuch dauerreserviert? Will man sehen, dass der Kollege aus der anderen Abteilung so wie Gott ihn schuf, aber in abgeschabten, königsblauen Adiletten zur Kräutersauna schreitet? Der Exfreund mit der unsympathischen Kommilitonin aus der Mittwochs-Vorlesung im düstersten Winkel des Klangbades knutscht? Oder möchte man lieber nicht mit der eigenen Unlockerheit konfrontiert werden und solchen Situationen aus dem Weg gehen?

Haben wir Darmstädter vielleicht nun endlich die Chance, über den Dingen zu stehen beziehungsweise zu schwimmen? Vielleicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass man dem Lebenstilkonzept Wellness halbwegs anonym frönen kann, besteht ja durchaus, zieht das Jugendstilbad nebst Heinern auch Hessen und andere Hergereiste an. Dennoch löst das Saunavorhaben folgendes bei mir aus: Vor dem Badbesuch steht eine Rundum-Körperbehandlung inklusive Epilation, Mani- beziehungsweise Pediküre an, Badetasche und Kulturbeutel werden nur mit exquisiten Accessoires bestückt, die sich sehen lassen können. Ein Friseurbesuch wird anberaumt. Vor dem Spiegel werden Haltungen überprüft und eingeübt, Yoga und Mantras festigen die psychische Verfassung für das, was eventuell kommen mag. So kann ich mich – jugendlich und stilvoll – auf das gleichnamige Bad einlassen. Die Dauer für die Vorbereitung des Wellness-Besuches allerdings entspricht der Tagesreise in ein entferntes Thermalhotel, wo man ehemals in der Le-Corbusier-Liege lag und dachte: „Wenn die mich jetzt alle hier sehen könnten!“

www.jugendstilbad.de