Zeichnung: Ingo „Krimalkin“ Lohse

Keine Angst! Die folgende Geschichte beginnt nicht etwa bei der Entstehung des Universums. Oder beim ersten Comic, der vermutlich irgendwann in der Steinzeit an Höhlenwände gemalt wurde. Oder bei Wilhelm Busch, dem deutschen Pionier der Bildergeschichten. Nein, sie beginnt erst jetzt, in der Neuzeit. Und zwar im Jahr 1972, als in Darmstadt ein kleiner Bub namens Naaman Wakim das Licht der Welt erblickt. Der Sohn brasilianisch-libanesischer Eltern mit deutschen Vorfahren wächst im Watzeviertel auf. Sein erstes geschriebenes Wort ist „Superman“, abgepaust von einem Superman-Heft-Cover.

Schon als Teenager treibt sich jung Naaman gern im Rhein-Main-Gebiet herum. Damals übrigens noch auf Flohmärkten, um mit Comics zu handeln (und weniger auf Konzerten, im Theater und auf Partys wie heutzutage). Nach dem Abitur an der Bertolt-Brecht-Schule und dem Zivildienst bei der Caritas absolviert die Freundlichkeit himself – Naaman bedeutet ins Deutsche übersetzt tatsächlich so viel wie Freundlichkeit – eine Buchhändlerlehre im „Tutti Booki“, einem Darmstädter Buch- und Comic-Laden am Willy-Brandt-Platz, den es heute nicht mehr gibt. Am 29. November 1999 erfolgt dann der Quantensprung, denn an diesem Tag geht Naamans Traum vom eigenen Comic-Laden in Erfüllung. Der Comic Cosmos wird zunächst Teil des Shop-in-Shop-Projekts „Kombinat“ in der Saalbaustraße/Ecke Rheinstraße. Als es dort jedoch nicht weitergeht, findet Naaman gleich um die Ecke, in der Saalbaustraße 5, eine neue Bleibe und agiert fortan als Einzelkämpfer. Entgegen allen Branchentrends – und allem Gejammere – hat der Comic-Guru es geschafft, mit seiner Fachbuchhandlung für Comics bis heute am Markt zu bestehen und davon auch seine drei Kinder zu ernähren. Wir gratulieren ganz herzlich und sagen einfach nur: Happy Birthday!

Zeichnung: Ingo „Krimalkin“ Lohse

 

Fakten, Tipps und Termine für Comic-Connaisseure

20 Jahre Comic Cosmos (Party: am 30. November, siehe unten) sind für uns als Stadtkulturmagazin eine Aufforderung, die aktuelle Comic-Szene in Deutschland genauer zu beleuchten – zumal wir ja schon lange wissen, dass Comics gar kein Schund sind, sondern … ganz große Kunst! Wikipedia behauptet sogar, das „Medium Comic“ würde Aspekte von Literatur und bildender Kunst vereinen und eine eigenständige Kunstform – und mittlerweile auch ein eigenständiges Forschungsfeld – bilden.

Fest steht: In Deutschland gibt es schätzungsweise 220 Comic-Läden, besonders viele übrigens in Berlin und Hamburg, wo auch einige der besten Comic-Zeichner der Republik leben. Im Rhein-Main-Gebiet werdet Ihr außerhalb von Darmstadt zum Beispiel noch in Frankfurt, Mainz, Wiesbaden, Mannheim und Ludwigshafen fündig.

Für einen Museumsbesuch bieten sich das Tomi-Ungerer-Museum in Strasbourg (Elsass), das Caricatura – Museum für Komische Kunst in Frankfurt (dort läuft noch bis 02. Februar 2020 die sehenswerte Ausstellung „40 Jahre Titanic“) und das Erika-Fuchs-Haus – Museum für Comic und Sprachkunst in Schwarzenbach an der Saale (Franken) an.

Wem der Name Erika Fuchs nichts sagt: Dem sprachlichen Genie dieser Übersetzerin und langjährigen Chefredakteurin des Micky-Maus-Magazins ist es zu verdanken, dass die Micky-Maus-Hefte (und damit auch Comics allgemein) in Deutschland überhaupt so beliebt wurden. Fuchs übertrug stets frei und setzte dabei eigene Akzente – etwa, indem sie jeder Ente einen eigenen Sprachstil verpasste, um ihren individuellen Charakter hervorzuheben. Berühmt wurde vor allem ihr Stilmittel des Inflektivs – ihr zu Ehren auch Erikativ genannt. Verben werden dabei auf ihren Stamm („grübel, grübel und studier“) verkürzt. Das ist eigentlich in der deutschen Grammatik nicht vorgesehen, wurde aber – dank Erika Fuchs – zu einem Teil unserer Alltagssprache.

Das schöne Frankenland war nicht nur für Erika ein besonderer Wirkungsort. Seit 1984 wird in Erlangen auch der Internationale Comic-Salon, das bedeutendste Comic-Festival Deutschlands, veranstaltet. Das nächste Mal übrigens wieder vom 11. bis 14. Juni 2020. Bei dieser Gelegenheit wird dann auch der Max-und-Moritz-Preis, der renommierteste deutschsprachige Comic-Preis, verliehen.

Und noch ein weiterer vielversprechender Termin: Das Max Ernst Museum Brühl zeigt noch bis 16. Februar 2020 eine Ausstellung mit visionären Bildwelten des französischen Comic-Zeichners und Szenaristen Jean Giraud (1938–2012), der unter dem Namen Mœbius international bekannt geworden ist, weil er die Sphären von Träumen und Science Fiction erforschte und surrealistische Techniken wie das sogenannte automatische Zeichnen einsetze, um Welten im ständigen Fluss zu schaffen.

Wer mit Museen und Messen nicht viel anfangen kann und stattdessen lieber gleich selbst zu Stift und Papier greifen möchte: nur zu! Ingo „Krimalkin“ Lohse, der Zeichner des hier abgebildeten Comics, bietet ab Anfang November an der Volkshochschule Darmstadt (VHS) wieder einen Kurs Comic und Manga zeichnen an (ab 04. November, acht Termine, 80 Euro). Martina Hillemann, die auch immer wieder fürs P illustriert, zeigt Euch ebenfalls an der VHS, wie Cartoons zeichnen geht (ab 26. November, sechs Termine, 62 Euro). Und der Frankfurter Maler und Pädagoge Stefan Treusch veranstaltet im Januar einen Comic-Zeichenkurs für Kinder und Jugendliche in der Bessunger Knabenschule (08. bis 10. Januar 2020, jeweils von 14 bis 18 Uhr, 75 Euro, Alter: 8 bis 18 Jahre, Anmeldung unter Telefon 069 49084568).

Auch nett: Comic-Wissenschaft betreiben. Dazu muss man nicht gleich Medienwissenschaften studieren. Es reicht schon aus, ab und zu in einschlägige Fachzeitschriften zu schauen. Da hätten wir zum Beispiel Die Sprechblase, Deutschlands dienstälteste Comic-Fachzeitschrift. Oder Alfonz – Der Comicreporter. Aber auch Reddition sowie das Comic – Magazin für Comic-Kultur. Als Vorreiter auf diesem Gebiet gilt nach wie vor die Comixene, die zwischen 1974 und 1981 erschien. Ihr Verdienst ist es, erstmalig eine breite Leserschaft mit anspruchsvollen, gut recherchierten Artikeln über Comics versorgt zu haben.

Gut zu wissen: Jeweils am zweiten Wochenende im Mai gibt es den bundesweiten Gratis Comic Tag. An diesem Tag erhaltet Ihr, wie der Name schon sagt, Comics bei allen teilnehmenden Buch- und Comic-Läden gratis. Mancherorts finden außerdem auch Signierstunden und Comic-Lesungen statt.

Must have, must read: Das als Comic verpackte Comic-Theoriebuch Comics richtig lesen von Scott McCloud eignet sich perfekt für Einsteiger, um in die geheime (Bilder-)Sprache der Comics einzutauchen und sich einen Überblick über den Werdegang des Comics zu erhalten. Familientauglich dagegen ist die Superhelden-Persiflage Unschlagbar von Pascal Jousselin, einem grafisch äußerst begabten Franzosen, der seinen Biene-Maja-ähnlichen, pummeligen Helden immer sonntags zur Oma zum Mittagessen schickt und ihn ansonsten seine Klamotten selbst bügelt lässt. Wer sich wiederum für Anthologien interessiert, der könnte Gefallen an den gesammelten Comic-Seiten der französischen Monatszeitschrift Le Monde Diplomatique finden. Klassiker wie „Watchmen“ (von Alan Moore und Dave Gibbons) und „Perspepolis – eine Kindheit im Iran“ (von Marjane Satrapi), die gehen natürlich immer! Schockierend, aber sehr gut gemacht, ist auch der einzige bislang mit dem Pulitzer-Preis bedachte Comic „Maus“ von Art Spiegelman. Der Autor setzt sich hier im Schwarz-Weiß-Stil eines Underground-Comics – und mittels einer Fabel von Mäusen (Juden) und Katzen (Deutsche) – mit dem Holocaust, der auch Teil seiner eigenen Familiengeschichte ist, auseinander. Last but not least hätten wir da noch den erst am 13. September druckfrisch erschienenen Comic „Sabrina“ von Nick Drnaso, der vom Verlust eines geliebten Menschen erzählt und inzwischen sogar erstmals in der Geschichte des Booker Prize für selbigen nominiert wurde.

Ost und West: In der ehemaligen DDR gab es eine ganz andere Comic-Kultur als in Westdeutschland. Sie war vor allem durch die monatlich erscheinende Comic-Zeitschrift Mosaik und Helden wie die Abrafaxe und die Digedags geprägt. Im Westen hingegen erschienen nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst eher Comics für Kinder und Jugendliche, bis dann in den 1960er-Jahren auch erste Underground Comics für Erwachsene (mit zum Teil mystischen oder pornografischen Inhalten) auf den Markt kamen. Gesamtdeutsch war ab Mitte der 1990er-Jahre die Begeisterung für japanische Mangas, die man auch bei uns von hinten nach vorn und von rechts nach links liest. Die Mangas – und nicht zuletzt auch die sehr umfangreichen, romanähnlichen Graphic Novels – sorgten dafür, dass die Comic-Kultur weltweit einen neuen Boom erlebte, wobei die 1930er-Jahre – und mit ihnen das Erscheinen der ersten Superhelden- und Abenteuercomis – bis heute als das Goldene Zeitalter der Comics gelten.

 

Fette Geburtstagsparty

Fast auf den Tag genau zum 20-jährigen Jubiläum von Naamans Comic Cosmos gibt’s ein Fest! Mitfeiern werden befreundete (Darmstädter) Zeichner und Illustratoren und zwei kultige Bands: das Darmstädter Gitarre-trifft-Gameboy-und-C64-Duo Pornophonique sowie Gnawa Electric Laune aus Frankfurt – ein Duo, das traditionelle nordafrikanische Gnawa Musik mit modernen, organischen Clubsounds zu einer tanzbaren Melange vermischt. Passend dazu: frisch gekochtes, leckeres marokkanisches Essen von Ouisams Cusina. Nordafrika lässt grüßen!

Bessunger Knabenschule (Halle) | Sa, 30.11. | 19 Uhr | 10 €

www.naamanscomiccosmos.com

Zeichnungen: Ingo „Krimalkin“ Lohse

 

Win! Win! Das P-Comic-Rätsel

Wie gut kennst Du Dich mit Comics aus?

Na, seid Ihr „nur“ Einsteiger oder schon Profis, wenn es um Comics geht?! Wer die folgenden zehn Fragen richtig beantwortet und uns die Lösungen bis Montag, 25. November 2019, 17 Uhr an redaktion@p-verlag.de schickt, der kann gewinnen:

1 x 2 Karten für die „20 Jahre Comic Cosmos“-Jubiläumsparty am 30. November in der Knabenschule

1 x „Unruhige Geister und stille Gefährten“ von Jiro Taniguchi

1 x „Unschlagbar“ (Band 1 und 2) von Pascal Jousselin

1 x „George Orwell – Die Comic-Biografie“ von Pierre Christin und Sébastien Verdier

Viel Glück! Und jetzt erst einmal: Viel Spaß beim Rätseln und Grübeln!

 

Unsere zehn Fragen (merci an Naaman für den Quizmaster-Support!):

1. Wie heißt der Heimatplanet von Superman?

2. Wann erschien die erste deutsche Ausgabe von „Micky Maus“?

3. Lucky Luke kaut jetzt meist auf einem Grashalm herum. Was hatte er früher stattdessen im Mund?

4. Wie heißt der „God of Manga“?

5. Was bedeutet „crossover“ in einem Comic?

6. Der fette Comic-Kater Garfield frisst am liebsten …?

7. Welche erfolgreiche Zombie-Fernsehserie basiert auf einem Comic?

8. Welcher altgediente Superheld feiert dieses Jahr seinen 80. Geburtstag?

9. Wer hat die Comic-Biografien über Nick Cave und Johnny Cash gemacht?

10. Welcher erfolgreiche Film aus den 1990ern, in dem die erste Regel darin besteht, „nicht darüber zu reden“, wurde als Graphic Novel fortgesetzt?