Gert Wentrup von der Darmstädter Tafel | Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

215.000 Kilogramm gerettete Lebensmittel im Jahr, 12.000 zubereitete Mittagessen und 1.200 Bedürftige wöchentlich, die von den fast ausschließlich ehrenamtlichen Helfer:innen in der Bismarckstraße 100 versorgt werden: 2020 feierte die Tafel Darmstadt ihr 25. Jubiläum, wobei von einer richtigen Fete natürlich nicht die Rede sein kann. Sie soll gelegentlich nachgeholt werden. Das P gratuliert zeitlos!

„Bei der Tafel ist es wie bei einer zweiten Familie“: Die Wertschätzung, die man erfährt, und die Dankbarkeit, sie sind für Jutta Klier die Motivation, hier zu helfen. „Weil man am Ende des Tages das Gefühl hat, etwas Gutes getan zu haben.“ Ich darf für ein persönliches Gespräch im kritzegrün gestrichenen Gründerzeit-Gebäude Bismarck-/Ecke Feldbergstraße vorbeischauen. Ein echtes Highlight in Zeiten, die geprägt sind von Homeoffice, Video-Calls und diversen Streaming-Plattformen. Etwas zu früh warte ich vor der Tür, um nicht in die letzten Minuten der Lebensmittelausgabe zu platzen. Es ist ein grauer Tag und der Wind weht mir Regentropfen ins Gesicht.

 

„Wie bei einer zweiten Familie“

Drinnen sitzen wir an einem großen Tisch: Gert Wentrup, Roman Zarenkow, Jutta Klier und ich. Trotz Maske lässt sich Gert Wentrups Lächeln erkennen, als er beginnt, vom Alltag bei der Tafel zu erzählen: „Normalerweise gibt es immer ein festes Team pro Tag beziehungsweise eins in der Küche und eins in der Essensausgabe. Dadurch sind hier echte Freundschaften und ein großer Zusammenhalt entstanden.“ Corona stellt jedoch alles etwas auf den Kopf, sodass nun immer möglichst wenig Leute vor Ort sind. Viele Helfer:innen sind zudem schon älter und sollen sich keinem Risiko aussetzen. Wentrup selbst ist bereits seit 20 Jahren bei der Tafel und übernahm 2012 den Vorsitz. „Wir sind selbstständig als eingetragener Verein. Die Stadt unterstützt uns minimal, ansonsten bestehen wir durch Spenden. Die Hilfsbereitschaft ist zum Glück sowohl bei Privatleuten als auch bei den Unternehmen und Geschäften groß“, bekräftigt er.

Nachdem die Darmstädter Tafel 1995 durch die Initiative von Doris Kappler gegründet wurde, war zunächst Improvisation gefragt; mit Privatfahrzeugen wurden gespendete Lebensmittel abgeholt und anschließend in der Garage sortiert. „Mittlerweile sind wir quasi ein Logistikunternehmen – das Ganze ist mit viel Organisation verbunden.“, schmunzelt der 1. Vorsitzende. Aktuell gibt es zwei Autos, mit denen die Lebensmittel eingesammelt werden, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr verkauft werden können, aber nach wie vor genießbar sind. Roman Zarenkow zeigt auf ein Schild, auf dem vermerkt ist, was wie lange zum Verzehr geeignet ist. Die meisten Sachen seien lange haltbar, nur vielleicht optisch nicht mehr 100-prozentig perfekt. Er ärgert sich über die Massenproduktion und die damit einhergehende Lebensmittelverschwendung: „Meiner Meinung nach sollte das Wegwerfen von Lebensmitteln strafbar sein!“

 

Weitergeben, was übrig bleibt

Die Darmstädter Tafel arbeitet mit anderen sozialen Einrichtungen zusammen, sodass weitergegeben wird, was übrig bleibt. Ist auch dort der Bedarf gedeckt, werden die Reste als Tierfutter an Landwirte, das Vivarium oder Tierheim abgegeben.

Obwohl die Auswahl für die Kund:innen der Tafel immer davon abhängt, welche Lebensmittel gerade gespendet wurden, werden bei der Ausgabe verschiedene Religionen, Allergien und Vorlieben berücksichtigt. Jutta Klier erinnert sich an eine Frau, die jede Woche zur Tafel kommt und viele Unverträglichkeiten hat: „Irgendwann weiß man über so was Bescheid. Da überlege ich schon im Voraus, was wir da haben und was ich für wen zusammenpacken kann“, freut sie sich.

„Was uns antreibt“, merkt Wentrup an, „ist, dass wir wirklich vielen Menschen helfen können. Gerne würden wir die Leuten auch noch bei anderen alltäglichen Dingen unterstützen, aber wir sind jetzt leider schon stark ausgelastet.“

Auch die vielen schönen Erinnerungen, motivieren die Helfer:innen. Zarenkow erzählt, dass es in der Küche oft kreativ zugehe und die Rezepte aus aktuellen Kochshows ausprobiert würden. Trotz Maske ist sein verschmitztes Grinsen zu erkennen, während er amüsiert von ausgefallenen Salatdressings berichtet.

„Einmal hatten wir sehr viel Handkäse und es wurde ,Handkäs‘ mit Mussigg‘ gekocht. Da waren Gäste, die nicht mit dem deutschen Gericht vertraut sind, ziemlich irritiert. Besonders beliebt wurde es jedenfalls nicht“, er zuckt belustigt mit den Schultern. Wentrup erinnert sich gerne an das alljährliche Weihnachtsessen – „letztes Jahr dann eben die Gans-to-go“. Gänsekeulen, Rotkohl und Klöße wurden abgepackt und verteilt. Zarenkow fügt hinzu, dass auch hier alles gespendet und kein Cent ausgegeben worden sei. „Na ja, vielleicht ein bisschen was für die Klöße“, zwinkert er.

Im Zuge der Pandemie musste sich auch die Tafel anpassen. Die Angst – wie viele Tafeln in Deutschland – komplett geschlossen zu werden, war groß. Doch konnten alle Hygienemaßnahmen gewährleistet werden und so blieb die Darmstädter Tafel bisher offen und fallfrei. Nach dem ersten Lockdown durfte das Mittagessen in der benachbarten Kirche St. Fidelis angeboten werden, die mehr Platz bot, um Abstände einhalten zu können. Seit dem zweiten Lockdown kann nur noch die Lebensmittelausgabe stattfinden. Wer sonst zum Essen vorbeikam, holt nun vermehrt Lebensmittel ab.

Der Weg zur Tafel bedeutet nicht bloß die Versorgung mit Nahrung, sondern auch Austausch und die Pflege geschlossener Freundschaften. Aus diesem Grund ist er ein wichtiger Punkt auf dem Tagesprogramm und die Leute nehmen oft längere Strecken in Kauf, kommen aus Mainz oder Aschaffenburg. „Bei der Tafel braucht sich niemand zu schämen oder zu erklären. Hier sind alle gleichgestellt“, unterstreicht Jutta Klier.

Die größte Herausforderung während der Pandemie? Das sei die Angst und die Vorsicht, die man an den Tag legen müsse. Auch die Sorge, doch noch schließen zu müssen, sei allgegenwärtig. Ob mit einem Anstieg Bedürftiger zu rechnen sei? Da gehen die Meinungen etwas auseinander: „Es gab bisher lediglich einen stärkeren Anstieg durch die Flüchtlingswelle, ansonsten sind es immer ziemlich genau fünf bis sieben Neuanmeldungen pro Woche – auch seit Corona“, erklärt Zarenkow. Wentrup hingegen meint, die Auswirkungen seien noch nicht ganz einzuschätzen. Er persönlich rechne durchaus damit, dass es früher oder später einen Anstieg Bedürftiger geben werde, die Wirtschaftslage sei „schließlich katastrophal“.

Sicher ist: Auch in Zukunft wird die Darmstädter Tafel einen Ort für Zusammenhalt und Begegnung bieten. Dafür wünscht man sich vor allem eines: neue Räume. „Die jetzigen sind zu klein und nicht so gut geeignet für die Menge an Kunden, die wir versorgen“: Wentrup macht eine demonstrative Geste in den Raum, in dem normalerweise das Mittagessen stattfindet. Man hätte schon Leute wegschicken müssen, weil der Platz nicht reiche.

Aber Leidenschaft und Zuversicht überwiegen und werden die Darmstädter Tafel, begleitet von einer dem Team sehr wichtigen, großen Portion Humor, bestimmt auch für weitere 25 Jahre erhalten.

 

Helfen & Spenden!

Der Darmstädter Tafel e. V. ist – neben den Lebensmittel- und Sachspenden seiner Partner und Sponsoren – auch auf finanzielle Unterstützung von außen angewiesen. Diese kommt aus vielfältigen Teilen der Gesellschaft und reißt auch während Corona nicht ab:

In Zeiten der Pandemie hat das Luisencenter gemeinsam mit der Darmstädter Änderungsschneiderei Ortac, HN Stoffen sowie der Druckerei Kunst & Kommerz die „Luise’s Happy Mask“ entworfen und produziert. Durch den Verkauf dieser Mund-Nasenschutz-Masken wurden 500 Euro Spendengelder gesammelt und Mitte Februar an die Darmstädter Tafel übergeben.

Bereits Ende Januar spendeten Fans des SV Darmstadt 98 satte 4.000 Euro im Rahmen der „Krombacher Zipfelmützenaktion“.

In den vier Wochen des „Life Science Global Food Drives“ haben Mitarbeiter:innen von Merck 7.700 Euro zusammengetragen und Mitte Januar an die Darmstädter Tafel gespendet.

Die an der Edith-Stein-Schule angesiedelte christliche Jugendorganisation „J-GCL“ spendete bereits Anfang Januar 1.000 Euro, die zum Großteil durch den Verkauf von verpackten Süßigkeiten und Lebkuchen in den Schulpausen eingenommen wurden.

 

Du möchtest die Tafel als Privatperson unterstützen?

Das geht durch eine Vereinsmitgliedschaft, durch ehrenamtliche Mitarbeit sowie Geld- oder Sachspenden. Mehr Infos online unter: darmstädtertafel.de/pages/helfen-amp-spenden.php

Oder, noch niederschwelliger: Spende Deinen Pfandbon! In den Rewe-Supermärkten unserer Stadt gibt’s Spendenboxen, deren Erlös der Darmstädter Tafel zugutekommt – ganz nach dem Motto: Kleinvieh macht auch Mist.