Foto: Frauenhaus Darmstadt e. V.

Etwa jede vierte Frau wird Opfer häuslicher Gewalt. Seit 40 Jahren bietet der Frauenhaus Darmstadt e. V. Betroffenen Zuflucht und Rat. Kontrolle, Demütigung, Stalking: Häusliche Gewalt beginnt lange vor den Schlägen. Wer sich in den eigenen vier Wänden bedroht fühlt, findet seit 40 Jahren Beratung und Schutz beim Frauenhaus Darmstadt e. V. Im Jubiläumsjahr stellen Wohnungsmangel und Coronakrise die wichtige Institution vor besondere Herausforderungen.

Eines ist klar: „Wir sind parteiisch für die Frauen“, sagt Christine Degel, die den Verein Frauenhaus Darmstadt e. V. seit vergangenem Jahr leitet. 2019 suchten 250 Menschen Hilfe und Rat bei der Institution, deren selbstverständlicher Platz in der Stadt vor 40 Jahren erst erkämpft werden musste.

Durchschnittlich einmal in der Woche steht die Polizei vor der Tür. Dann hat sie, meist in einer Nacht- und Nebelaktion, wieder eine Frau vor einem gewalttätig gewordenen Partner retten müssen. Hinter dem gut abgesicherten Tor des Hauses mit der geheimen Adresse finden Betroffene ein Notfallbett, warmen Tee, vor allem aber Schutz und Verständnis. Vieles von dem, was die zehn Bewohnerinnen der Frauenhaus-WG erlebt haben, ähnelt sich.

Schraube der Gewalt, immer fester gezogen

„Häusliche Gewalt sind nicht nur Schläge, sondern ein komplexes Kontrollsystem“, sagt Degel. Über Jahre werde die Schraube in solchen Fällen immer fester gezogen. Ein erstes Symptom: Schuldzuweisungen. „Betroffene suchen die Schuld oft ganz schnell bei sich. Etwa, wenn die Kinder zu laut sind oder die Wohnung nicht sauber“, erzählt Degel. Das Gefühl für die eigenen Grenzen beginnt zu verschwimmen.

Unterstützung bietet in solchen Fällen das Frauenhaus in einer kleinen Fachberatungsstelle nahe des Hundertwasserhauses. Meist sind die Frauen verunsichert und wollen einfach mal mit jemandem über ihre Situation reden, erzählt Sozialarbeiterin Z., die lieber anonym bleibt und seit 28 Jahren im Frauenhaus arbeitet. Ist es noch in Ordnung, wie der Partner mich behandelt? Aus dem Umfeld der Frauen kämen auf solche Zweifel häufig Reaktionen im Stile von „Stell‘ Dich doch nicht so an.“.

Die Gesellschaft sei sehr geprägt vom gut funktionierenden Familienbild, begründet Z. Häusliche Gewalt sei noch immer tabubehaftet. Trotzdem ist sie tief verankert: Etwa jede vierte Frau wird dem Bundesfamilienministerium zufolge in Deutschland mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch den aktuellen oder früheren Partner.

In der Beratungsstelle finden Betroffene ein offenes Ohr, auch bevor es so weit kommt. „Wir wollen Frauen unterstützen, weg von der Abhängigkeit hin zur Stärkung der eigenen Sichtweisen“, sagt Z. Es gehe darum, die eigene Wahrnehmung zu überprüfen. Dabei sind die Sozialarbeiterinnen keinesfalls unkritisch, vielmehr halten sie Rat suchenden Frauen einen Spiegel vor.

Ratsuchende aus der ganzen Welt

Erschwert ist dies, wenn eine Dolmetscherin benötig wird. Aus 41 verschiedenen Herkunftsländern kamen die Ratsuchenden im vergangenen Jahr, darunter Afghanistan, China, Eritrea, Frankreich, Kolumbien, Russland, Syrien. Z. erklärt: Es gebe einen großen Anteil an Migrantinnen, die durch den Partner noch einmal auf andere Weise bedroht werden. Neben sprachlichen Barrieren frisst in diesen Fällen die Angst, wieder nach Hause geschickt zu werden, die Seele auf. Außerdem fehlt in Deutschland das soziale Netz. Oft seien es Migrantinnen aus der zweiten oder dritten Generation, die Rat suchten: „Frauen, die hierher gekommen sind, merken langsam, dass sie Chancen haben.“ Wenn Frauen aus patriarchalen Strukturen ausbrächen, brauche es überdurchschnittlichen Schutz. Bedrohung gebe es manchmal auch von weiteren Familienangehörigen.

„Häusliche Gewalt gibt es unabhängig vom Bildungsstand in allen Schichten“, sagt Z. Oft entstehe sie nach dem ersten Kind. Was als Grenzüberschreitung empfunden wird, sei dabei individuell. „Es gibt Frauen, die haben so viel Selbstbewusstsein, dass sie den Partner konfrontieren und Bedingungen an die Partnerschaft setzen“, so die Sozialarbeiterin. Zu diesem Zeitpunkt hätten die Frauen noch Ressourcen, Lösungen zu forcieren – sei es eine Trennung oder eine Paartherapie.

Manchmal gibt es jedoch keinen Ausweg mehr. Denn einfach zu gehen, ist meist nicht so leicht, wie oft behauptet. Dann finden Betroffene mit ihren Kindern Zuflucht in der Frauenhaus-WG. Zehn Zimmer hat das Haus mit dem großen Innenhof. Zu wenige. „Wir mussten in den letzten Jahren doppelt so viele Frauen weitervermitteln, wie wir aufnehmen konnten“, erklärt Degel. Der angespannte Wohnungsmarkt tut sein Übriges: Nach drei bis sechs Monaten sind die Frauen in der Regel so stabil, dass sie ausziehen könnten – würden sie denn eine Wohnung finden.

Die Coronakrise hat die Situation zusätzlich verschärft. Um das Virus draußen zu halten, konnte das Notbett im Wohnzimmer der WG nicht belegt werden. Frauen in Notlagen werden nun extern untergebracht. Seit Mitte September gibt es vermehrt Anfragen, erzählt Degel. „In der Zeit der maximalen Verunsicherung haben alle stillgehalten“, ist ihre Erklärung, dass die Zahlen nicht direkt mit dem ersten Lockdown gestiegen sind. Degel glaubt, mit der Krise könnte eine Entwicklung angestoßen werden, in der sich viele Menschen aus gewalttätigen Beziehungen lösen. Momentan baut das Frauenhaus Personal auf. Das Hilfesystem muss im Fall einer solchen Entwicklung vorbereitet sein und dürfe nicht nur reagieren, wünscht sich die Frauenhaus-Leiterin.

Probleme in der „ruhigen Beamtenstadt“

In den 70er-Jahren musste hart erkämpft werden, dass mit den Frauenhäusern ein Schutzsystem überhaupt erst entstehen konnte – auch in Darmstadt. Niemand wollte damals zugeben, dass es ein Problem mit häuslicher Gewalt in der „ruhigen Beamtenstadt“ gibt, erinnert sich Z. Zwar kämpfen die Frauenhaus-Mitarbeiterinnen auch heute noch gegen die Ursachen struktureller Gewalt. Mittlerweile gehört die Institution Frauenhaus jedoch fest zur Stadt dazu. Diese lasse sogar ein größeres Haus mit 16 Zimmern bauen, erzählt Degel sichtlich froh über den Rückhalt im Magistrat und die Möglichkeit, künftig mehr Frauen ein gewaltfreies und selbstbestimmtes Leben ermöglichen zu können. Damit die Zimmer im neuen Haus jedoch nicht auch wieder schnell knapp werden, muss sich in unserer Gesellschaft noch einiges ändern.

frauenhaus-darmstadt.de

 

Beratung bei Partnerschaftsgewalt

„Jede Frau hat das Recht auf ein gewaltfreies und selbstbestimmtes Leben! Jedes Kind hat das Recht auf gewaltfreie Erziehung und Förderung!“, ist die Fachberatungsstelle des Frauenhaus Darmstadt e. V. überzeugt. Sie sitzt in der Bad Nauheimer Straße 9 und ist telefonisch erreichbar unter (06151) 375080 oder per E-Mail an: info@frauenberatung-darmstadt.de. Offene Sprechzeiten sind Dienstag und Mittwoch von 09 bis 11 Uhr sowie Donnerstag von 17 bis 18.30 Uhr. Auch Menschen, die sich einfach nur informieren möchten, sind willkommen.

Rund um die Uhr gibt es telefonische Beratung beim Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter der Nummer (08000) 116 016 – auch in anderen Sprachen.

Männer, die unter Gewalt leiden, bekommen in Darmstadt Unterstützung bei Pro Familia, Telefon: (06151) 429420.

Im Notfall unbedingt die 110 wählen! Seit 2002 können Täter:innen partnerschaftlicher Gewalt dank des Gewaltschutzgesetzes für 14 Tage der Wohnung verwiesen werden.