Foto: shoesenkel-Team
Foto: shoesenkel-Team

Anfang Mai nahmen vier Darmstädter als Team „shoesenkel“ an einer kuriosen Auto-Rallye durch Osteuropa teil. Der Clou: Die Teams durften nur 300 Euro für ihre Autos ausgeben. In fünf Tagen von Berlin nach Tallinn, in die Hauptstadt Estlands. Dazwischen 1700 Kilometer voller Aufgaben und Abenteuer. Eine Re(nn)portage.

„Verdammte Abwrackprämie“, fluchen Marc und Kornel vom shoesenkel-Team. Die Beiden stöhnen über die erste Aufgabe der Rennleitung: Nur 300 Euro dürfen die Autos der Teilnehmer kosten. Jeder Euro mehr wird mit Punktabzug bestraft. Doch nach wochenlanger Suche haben sie in Groß-Gerau Glück. „Das ist er!“, schreit Kornel, als er den weißen Audi 90 sieht. „Baujahr 88, 343.000 km und top in Schuss“, zählt der Verkäufer die Daten auf. Unterschrift, 300 Euro, Fahrzeugbrief, Autoschlüssel: Das Geschäft ist schnell gemacht. „Wir werden als Walter-Röhrl-Gedächtnis-Team den Pokal nach Darmstadt holen“, ruft Marc euphorisch dem Verkäufer zu, der Kopf schüttelnd von dannen zieht.

 

Darmstadt – Berlin: Aufwärmrunden an der Siegessäule

Mit einem tip-top aufbereiteten Audi 90 düst das shoesenkel-Team in die Hauptstadt. Am Autobahn-Rasthof AVUS finden sich sechs schrottreife Karren zum Parkdichein. Stolz präsentieren sie ihre Kisten und Kostüme. Gelächter, Staunen und Kopfschütteln sind die Reaktionen der Rennteilnehmer bei der Begutachtung der Teamboliden. „Das packen die niemals“, heißt es mehrfach aus der Runde. Kilian und Philippe, die Veranstalter dieser privaten Rallye, begrüßen die Teilnehmer und führen mit ihrem „Kleinschmidt-Atatürk“-Mazda die Sternfahrt durch Berlin an. Bei der Aufwärmrunde an der Siegessäule kommt es zu ersten liebevollen Karambolagen zwischen den Teams.

Am Abend geht‘s zum „Drivers‘ Dinner“ in den Funkturm, wo Philippe und Kilian das Renn-Reglement erklären und den „Rallye-Rider“ mit Route und Aufgaben an die Teams verteilen. Philippe betont noch mal, dass „es bei dieser Rallye nicht allein ums Tempo geht, sondern dass die meisten Punkte für das Lösen der Fragen und das kreative Bewältigen der Aufgaben vergeben werden.“

 

Berlin – Danzig: Angehaltene & Anhalte

„Bitte folgen!“, blinkt das rote Display im grauen BMW-Kombi. „Das darf doch nicht wahr sein – wir sind fünf Kilometer hinter Berlin und werden schon von der Polizei rausgefischt“, sagt Jacob, am Steuer des Audi sitzend. Leichte Nervosität, aber auch Neugierde machen sich im shoesenkel-Team breit. „Das gibt die ersten Extra-Punkte“, meint Christian lächelnd. Die Polizisten teilen diese Begeisterung nicht und bitten Jacob, sich doch mal ein Video seiner Fahrkünste anzuschauen. Für ein marginales Geschwindigkeitsvergehen werden vor Ort lächerliche 10 Euro kassiert und quittiert.

Hinter der Grenze gilt es im polnischen Koszalin die erste Kreativaufgabe aus dem Rallye-Rider zu lösen: „Findet den Hexenbaum – das berühmte Naturdenkmal der Stadt Koszalin – und verkleidet Euch entsprechend.“ Ohne Requisiten gestaltet sich ein hexentypisches Foto allerdings schwierig. Also wird mit den Klamotten improvisiert. Rennjacke als Rock, die Jeans als Buckel unters Shirt und aus den Pullis werden Kopftücher gemacht. Per Selbstauslöser wird der Hexentanz um den berühmten Baum in Koszalins Stadtpark festgehalten. Spaziergänger passieren schmunzelnd bis kopfschüttelnd die Szenerie.

„Halt an! Den nehmen wir mit. Das gibt Extra-Punkte!“, ruft Marc zu Kornel, als sie einen Anhalter auf dem Weg nach Danzig erblicken. Krysztof, 20 Jahre, an seinem Geburtstag im Zug ausgeraubt und mittellos auf dem Heimweg nach Danzig, wird in den Wagen eingeladen und wirkt sichtlich verwirrt. Schnell schließt das Team mit dem jungen Polen bei einer spontanen Geburtstagsfeier Freundschaft und bringt ihn sicher und angeheitert ins Etappenziel Danzig.

 

Danzig – Suwalki: Wild Wild East

Von Danzig aus geht es ostwärts Richtung Masuren. Die Region ist bekannt für ihre wunderschönen Seen. Statt in Elblag die Fußball-Aufgabe aus dem Rallye-Rider zu lösen, begibt sich das shoesenkel-Team lieber auf einen lokalen Markt. Beim örtlichen Händler investiert das Team in hässliche Westen, die von nun an zum Team-Outfit gehören und den Zugang zur ländlichen Bevölkerung erleichtern.

Auf dem Weg nach Mragowo kommt es mit dem Team „Herrengedeck“ zu einer spontanen Verfolgungsjagd auf pittoresken, von Seen umringten Alleen. Gemeinsam wird nach dem „Western-Dorf“ in Mragowo gesucht, das polenweit für seine Country Musik bekannt ist. In einem künstlichen „Wild-Western-Dorf“ á la Hollywood wird der vom Rallye-Rider geforderte Squaredance inszeniert. Am Abend erreichen beide Teams das Ziel Suwalki und hören vom Hotelpförtner den gut gemeinten Rat: „Bleiben Sie lieber im Hotel! Nachts ist es für Touristen zu gefährlich.“

 

Suwalki – Vilnius: Prost Mahlzeit!

Kurz hinter der Grenze nach Litauen gilt es eine „Mission Impossible“ zu lösen. Der Rallye-Rider fordert den Besuch beim größten Sekt- und Spirituosenhersteller Litauens. Die Aufgabe: ein Gruppenbild mit dem Hauptgeschäftsführer in seinem Büro! Allerdings erweist sich dies als unlösbar, da der Fabrikchef sich nur vom ersten Rallye-Team auf ein Foto überreden ließ. Das Team shoesenkel scheitert an der genervten Security und trinkt zum Trost einen Schnaps.

Die nächste kulinarische Herausforderung erwartet die vier Darmstädter in Trakai, auch die Stadt auf dem Wasser genannt. In dem beliebten litauischen Touristenort gilt es die karäische Spezialität „Kibinai“ zu verspeisen: leckere Teigtaschen mit Lammfleischfüllung. Beim Essen erfahren die Rallye-Teilnehmer Details über die litauischen Karäer, welche Nachfahren eines Turkvolkes von der Krim sind, und heutzutage als Minderheit in Litauen leben. Wohlgenährt geht es auf die Schlussetappe nach Vilnius, die Hauptstadt Litauens, wo eine Führung durch die europäische Kulturhauptstadt 2009 den Tag beschließt.

 

Vilnius – Riga: Schöne Streiche

Die Etappe beginnt mit einem schönen Streich. Vor dem Hotel in Vilnius wird der Golf vom „Bauer sucht Frau“-Team auf die Seite gekippt. Damit fällt der Startschuss für eine Reihe von fröhlichen Sabotageakten an den gegnerischen Autos: Statt die Aufgaben auf dieser Etappe zu lösen, verwendet das Team shoesenkel lieber alle Energie in kreative Streiche: Bananen im Auspuff, Sonnenmilch auf die Frontscheibe, während der Fahrt mit Eiern schmeißen. Die vier Audi-Piloten kommen aus dem Lachen nicht mehr raus. Doch die Rache lässt nicht lange auf sich warten. Ein gegnerisches Team schüttet den Damstädtern Urin in die Lüftungsanlage ihres Boliden. Damit wird die restliche Etappe nach Riga zum olfaktorischen Höllentrip.

 

Riga – Tallinn: Rock’n’Race

Nach einer durchrockten Nacht in der lettischen Hauptstadt, geht es am Morgen zum Highlight der Baltikum-Rallye. Kurz hinter Riga erwartet die Teilnehmer eine Mutprobe der rasenden Art. Der Besuch auf einer Rennstrecke: Die Teams fahren ein Zeitrennen mit ihren Schrottkisten gegeneinander. Jeder Teilnehmer darf sich nacheinander am Steuer beweisen. Christian und Marc fahren mit 1:14 Minuten Bestzeit auf der Strecke und holen wichtige Punkte für das shoesenkel-Team. Sämtliche Rallye-Autos überstehen zur Verwunderung aller diesen Einsatz. Anschließend gibt es noch ein großes Kartrennen, was den Adrenalinspiegel der Teilnehmer für die Schlussetappe noch weiter steigen lässt. Die letzten 300 Kilometer nach Tallinn führen zum Großteil an einer malerischen Küstenstraße vorbei.

Müde, unverletzt und glücklich kommen alle Teams in der estischen Hauptstadt an und verabschieden sich von ihren liebgewonnenen Rennboliden. Die Rallye-Kisten werden einem örtlichen Händler zum Weiterverkauf oder abwracken übergeben. Anschließend geht es zur großen Abschlusspräsentation und Siegerehrung ins Hotel. „And the winner is… Team Bangbus“, verkündet Philippe bei der Siegerehrung das Ergebnis. Die vier Exil-Heiner von Team Bangbus haben den Pokal und die Ehre gewonnen, die nächste Rallye in zwei Jahren auszurichten. Für die vier Darmstädter Audi-Piloten gilt wie für alle anderen Teilnehmer das olympische Motto: „Dabei sein ist alles – auch in zwei Jahren wieder!“