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Foto: Jan Ehlers

Es wird immer mehr geradelt in Deutschland – natürlich auch in Darmstadt. Warum und womit? Welche Modelle sind neu und gefragt? Welche Szenen und Hersteller gibt es in der Region? Das P gibt einen Überblick.

Autos fahren die Deutschen dagegen immer seltener: 2013 rund ein Fünftel weniger als vor zehn Jahren. Das Karlsruher Institut für Technologie fand außerdem heraus, dass wir immer häufiger multimodal reisen – dass also je nach Ziel und Zweck unterschiedliche Verkehrsmittel genutzt werden. Der große Gewinner ist dabei das Fahrrad: Aktuell bewegen wir uns zu 15 Prozent mit dem Drahtesel. Mit Sicherheit spielt hier auch die zunehmende Urbanisierung eine Rolle: Wer auf dem Land lebt, benötigt dringender einen eigenen Wagen als ein Stadtbewohner, der mehr Fortbewegungsmöglichkeiten hat und dessen Wege kürzer sind.

Besser als jedes andere Verkehrsmittel verkauft sich momentan das Elektrorad: In den letzten zwei Jahren verdreifachte sich ihre Zahl auf 1,3 Millionen. Damit ist jedes zehnte Rad in Deutschland mit einem Motor ausgestattet, der den Fahrer beim Treten bis zu einer Geschwindigkeit von 25 km/h unterstützt. Deutschland ist hier übrigens Vorreiter, jedes dritte Elektrorad in Europa wird hierzulande an den Mann und an die Frau gebracht.

Wer in der Stadt gerne viel transportiert, beispielsweise den eigenen Nachwuchs oder einige Kästen Wasser oder Bier, aber auf ein Auto verzichten will, für den gibt es Lastenräder. In Amsterdam schon lange Teil des Stadtbildes, in Kopenhagen zu jedem zweiten Haushalt gehörend, sind sie mittlerweile auch in Damstadt immer häufiger zu sehen. Wählbar sind hier unterschiedliche Modelle: zwei- oder dreirädrig, eher klassisch wie die niederländischen „Bakfiets“ oder modern-sportlich wie die dänischen „Bullitt“.

Letztere verkauft Marcus Stöckel vom Fahrrad- und BMX-Laden „Twenty Inch“ in der Schulstraße. „Etwa 70 Prozent der Käufer sind Familien, aber auch Handwerker oder Hundebesitzer überzeugt das Konzept“, erklärt Stöckel. Seine Bullitts vertragen bis zu 100 Kilo Zuladung, trotzdem sind sie verhältnismäßig leicht und schnell – und wer noch entspannter radeln will, kann den optionalen Elektroantrieb wählen. „Etwa jeder Zweite macht das auch“, so Stöckel. Bei einem Rad, was schon mal sehr schwer beladen sein kann, macht das ja auch Sinn.

Manchmal muss aber nicht mehr Platz oder mehr Technik der Anreiz für ein „neues“ Rad sein. Alex Schmitt vom „Sparrad“ am Taunusplatz hat festgestellt: „Momentan gibt es einen starken Vintage-Trend.“ Soll heißen: Nicht nur schöne, alte Möbel und Klamotten sind im Trend, auch nostalgisch anmutende Räder. Kielo Brunner vom Fahrrad-Brunner in der Mollerstraße ergänzt: „Die Leute schauen im Keller nach, was da noch so herumsteht.“ Ökologisch und nachhaltig gedacht: Lieber erstmal nachschauen, was noch so da ist, bevor Neues gekauft wird! Die alten Zweiräder werden dann entweder neu aufgebaut oder möglichst originalgetreu gefahren, um den Stil der jeweiligen Zeit zu zeigen. Besonders alte Rennräder stehen hoch im Kurs: Gut erhaltene Renner aus den 70er- oder 80er-Jahren erzielen in Berlin dank der hohen Nachfrage komplett überteuerte Preise – ganz so schlimm ist es hier in Darmstadt glücklicherweise noch nicht. Hollandräder sind ebenfalls beliebt in Darmstadt, aber: „Auch hier verkaufen sich die Modelle im Retro-Stil am besten“, so Kielo Brunner. Ganz klar: Klassische Formen und Farben sind wieder in (auch zu beobachten an alten Klapprädern)!

Einen klassisch eleganten Rahmen aus Stahl haben oft auch Fixies und Singlespeed-Räder. Singlespeed verzichten auf die meisten Anbauteile und besitzen nur einen Gang. Fixies verzichten außerdem auf den Freilauf, das heißt, es wird entweder normal in die Pedale getreten oder (mit dem Fuß) blockiert, um zu bremsen. Ziel ist es, ein leichtes, gerne auch farbenfrohes und auffälliges Rad für die Stadt zu haben, das ästhetisch und minimalistisch aussieht – und nicht so schnell kaputt geht: Denn wer keine Schaltung, keine Bremsen und kein Licht am Rad hat, dem können Selbige natürlich auch nicht kaputt gehen. „In größeren Städten waren diese Räder in den letzten zwei, drei Jahre sehr gefragt, aber jetzt sinkt dort die Nachfrage. In Darmstadt treten solche Trends oft um zwei Jahre verzögert auf, hier kommen die Kunden jetzt und fragen nach Singlespeeds“ meint Marcus Stöckel. Anfangs seien Fixies und Singlespeeds nur von kleinen Herstellern oder Teile-Lieferanten vertrieben worden und mussten vom Käufer oft selbst zusammengebaut werden. „Die großen Hersteller haben das verschlafen und sind jetzt schon sehr spät dran“, sagt Alex Schmitt und zeigt auf ein neu erschienenes Singlespeed-Rad der Marke „Bulls“ im Schaufenster.

Keineswegs ein kurzer Trend, sondern eine etablierte Szene sind die BMX-Fahrer, die in Darmstadt zwei feste Standorte besitzen: den Skate- und BMX-Park an der Alten Stadtmauer neben dem Jugendstilbad und den Kacki Plaza im Bürgerpark Nord.

Und auch Bonanzaräder haben in Darmstadt eine eingeschworene, rock’n’rollige Fangemeinde, die sich unregelmäßig zum „Promilledownhill“-Fahren, zur „Teich-“ oder „Entenfahrt“ trifft. www.bonanzaboys.de

Viele der erwähnten, moderneren Fahrradmodelle werden auch von Darmstädter Herstellern produziert. Riese und Müller stellt seit zwanzig Jahren innovative Drahtesel her: Am Anfang stand das mittlerweile weltweit bekannte Faltrad „Birdy“, nun verfügt der Hersteller über eine komplette Produktpalette, in der der Heiner auch Elektro- und Lastenräder findet. Wer lieber ein Mountainbike, Cross- oder Rennrad will, wird bei Cucuma fündig, der in der Region sehr beliebten Eigenmarke des „Citybike“-Radshops in der Otto-Röhm-Straße (Elektroräder gibt’s aber auch bei Cucuma).

Es tut sich also eine Menge in der Welt der (lokalen) Drahtesel. Von hochtechnisierten bis hin zu charmanten alten Rädern: Alles geht, solange es nur fährt. Und da in Darmstadt alles so schön nah beieinander liegt und sich die Anhöhen (bis auf die Mathildenhöhe und das Böllenfalltor) in Grenzen halten, sollte das Motto doch lauten: Heiner, ab auf den Sattel und los geht’s!

 

Fahrrad-Action!

Wer sich für Lastenräder interessiert, der kann gern beim Darmstädter „Bullitt“-Treffen vorbeischauen. Ort und weitere Infos werden rechtzeitig auf www.cargobike-darmstadt.de bekanntgegeben.

Für alle Radler startet jeden zweiten Montag im Monat immer um 18 Uhr vor dem
Darmstadtium die „Critical Mass“-Radtour, eine unorganisierte Fahrrad-Protest-Aktions-Reihe, die
weltweit seit 1992 an vielen Orten stattfindet.
www.de.wikipedia.org/wiki/Critical_Mass_(Aktionsform)

Und der nächste Fahrradaktionstag in Darmstadt kommt auch – bestimmt! Infos dazu unter www.ich-kauf-per-rad.de