Foto: Jan Ehlers

Höchste Zeit, die Fahrräder auf die Straße zu bringen, denn bald ist Frühling! Das P gibt ein Update über Probleme, Chancen und Anarchie im Straßenverkehr.

Schon mal von den „Shared Spaces“ gehört? Ein Projekt, das in einigen Städten Deutschlands als Pilot läuft. Die Idee dahinter: Indem die Verkehrsregeln (außer: „rechts vor links“) und Beschilderungen auf den Straßen abgeschafft werden, sollen Auto- und Radfahrer mehr aufeinander achten. Anstatt sich vom Regelwerk leiten zu lassen, werden alle Teilnehmer dazu animiert, den Verkehr untereinander selbst zu regeln. Zum Beispiel, indem man in nicht ganz klaren Situationen die Vorfahrt durch Kopfnicken und Handgesten gewährt. Als ich unseren P-Fahrradkurier Christian Tomé von „Deliver“ in der Krone fragte, ob sich diese Anarchisierung auch auf Darmstadts Straßen durchsetzen würde, verschluckte er sich am Bier und wusste nicht, ob er zuerst lachen oder husten sollte. Das genügte mir als Antwort.

Autoprobleme

Das typische Darmstädter Szenario: Fußgänger blockieren Radfahrer, Radfahrer blockieren Autofahrer, Autofahrer blockieren Fußgänger (und Radfahrer). Der Stadt wird von mancher Seite ein Hang zur Gesetzlosigkeit attestiert, weil sie Falschparker nicht konsequent zur Kasse bitte. Deshalb sei der Anblick von Fußgängern, die auf der Straße gehen, und Autos, die auf dem Bürgersteig parken, nichts Neues für den Heiner. „Falschparker sind nicht nur nervig, sondern auch gefährlich“, bekräftigt Stephan Voeth vom Verein Wegerecht. Die Darmstädter Gruppe möchte den Lokalpolitikern auf die Füße treten, um deren „Toleranz gegenüber intoleranten Autofahrern und Falschparkern“ abzuschaffen. Persönlicher Einwurf: Niemand möchte der Spießer sein, der beim Ordnungsamt petzen geht, nur weil jemand sein Auto ein paar Zentimeter zu weit auf dem Gehweg geparkt hat. Doch es gibt Menschen in unserer Stadt, die wegen ein paar fehlenden Zentimetern auf die Straße ausweichen müssen und zu Schaden kommen können: Vor allem Rollstuhlfahrer oder Kinderwagen-schiebende Eltern sind darauf angewiesen, dass sich hier jeder an die Regeln hält.

Fahrradprobleme

In der Kasinostraße zeigt sich immer wieder das gleiche Problem: Viele Fußgänger merken nicht, dass sie die Radfahrer blockieren, indem sie die Radwege für sich beanspruchen. Bei schmalen Bürgersteigen benutzt man gerne die Fahrradwege mit, was gefährlich wird, sobald die Radfahrer auf die Straße ausweichen müssen. Und ehe der Radfahrer sich versieht, ist er mitten im Autoverkehr. Weiteres Problem: abrupt endende Fahrradstreifen. Zum Beispiel in der Nieder-Ramstädter-Straße mündet der Radweg zwischen Roßdörfer Platz und Altem Friedhof ohne Markierungen in den Autoverkehr. Gerade zu Stoßzeiten besonders gefährlich. Am Rhönring brennt der Hintern, denn hier schüttelt jede Wurzel der angesiedelten Bäume am Fahrradgestell. Und wer unter Zeitdruck die Heidelberger Straße stadteinwärts fährt, darf sich in aller Ruhe über die Tram aufregen, die an der Haltestelle „Heidelberger Straße“ gleich zwei Spuren auf einmal dicht macht. Hier scheint die Stadt ihre eigenen, inoffiziellen Shared Spaces zu testen.

Dabei bietet Darmstadt genug Nährboden für einwandfreien Radverkehr: Mit 37 „Rent a Bike“-Stationen lässt sich die Shared Economy leben. Hinzu kommt, dass die Bürgerinitiative „Transition Town“ ab Mai ihren kostenlosen (!) Verleih von Cargo-Bikes starten möchte. An einem so waagerechten Ort wie Darmstadt ist dies ein weiterer Grund, seine Grillausrüstung künftig nicht mehr per Auto zum Park zu fahren.

2017, das Jahr des Drahtesels

Am 12.06. feiert das Fahrrad seinen 200. Geburtstag. Und weil ein einziges Jubiläum nicht genug ist, wird auch die Veranstaltung „Stadtradeln“ dieses Jahr ihr Zehnjähriges feiern. Wer Bock hat, bei der größten Fahrradtour Darmstadts ein Statement für klimafreundliche Fortbewegung zu setzen, kann sich per Mail anmelden: darmstadt@stadtradeln.de. 2016 nahmen 632 Darmstädter am Stadtradeln teil und fuhren zusammengerechnet zweimal um den Äquator. Und wer scharf auf vorbildliches Mobilitätsbewusstsein ist, kann am Critical-Mass-Flashmob teilnehmen: Jeden zweiten Freitag des Monats treffen sich Radler mitsamt Fahrrad um 19 Uhr auf dem Marktplatz und gehen gemeinsam auf große Tour, um zu demonstrieren, dass Zweiräder günstiger, ökologischer und mobiler als Vierräder sind.

Was die Shared Spaces betrifft: In stark befahrenen Verkehrszonen – zum Beispiel in Duisburg – scheiterte das Projekt bereits mit großem Tamtam. Doch Kleinstädte wie das niederländische Bohmte werden gerne als Vorbild für regellosen Straßenverkehr angeführt. Logisch, denn wo nicht viel los ist, geht auch nicht viel kaputt. Wir haben Arheilgen und Pfungstadt, also ruhige Orte, wo sich solche Verkehrstests durchführen ließen – warum also nicht einfach mal prüfen, ob die Shared-Space-Idee auch bei uns funktionieren würde? Wir als Stadt der Wissenschaft sind doch experimentierfreudig, gell!?

P-lädoyer für mehr Respekt

P-Fahrradkurier Christian Tomé geht pragmatischer an das Thema heran: „Ein bisschen mehr Respekt im Straßenverkehr würde uns allen zugute kommen. Anstatt mit Millionengeldern das Verkehrssystem Darmstadts zu verschlimmbessern, sollten wir uns rücksichtsvoller und vor allem entspannter über die Straßen bewegen. Egal, ob mit Auto, Fahrrad oder zu Fuß.“