Nach dem heißen Inferno-Sommer 2022 hatten die allermeisten Darmstädter wirklich genug vom überfüllten Nordbad und der fast gekippten Grube Prinz von Hessen. Der Herbst brachte den notwendigen Regen und irgendwann dann auch die ersehnte Abkühlung. So langsam aber sicher musste man sich über andere Outdoor-Aktivitäten Gedanken machen, wenn man nicht bis März in der Bude hocken wollte. Ist ja nicht so, als hätten wir das die letzten zwei Winter gemacht.
Vielleicht hat der „Bitte keine Werbung“-Aufkleber auf meinem Briefkasten endlich Wirkung gezeigt. Denn es muss eine allgemeine Benachrichtigung gegeben haben, die alle außer mir bekommen haben. Anders kann ich mir die Synchronität nicht erklären, von einem Tag auf den anderen ging es los: Alles verwandelte sich schlagartig von Freibad-Romantik hin zu Herbst-Folklore. Buntes Laub, irgendwas mit Kürbissen – und die Barfußschuhe sind wieder geschlossen. Diese Einigkeit bei anderen Themen … und wir wären schon viel weiter, weltpolitisch gesehen.
Dabei gab es selbstverständlich auch eine Aktivität, auf die sich alle verständigen, der gemeinsame Herbstnenner in diesem Jahr: Pilze sammeln! Wer mit Mother Nature connecten will, geht mit Korb, Messer und Outdoorkleidung im Wert eines Kleinwagens querfeldein durch den Wald. Den Begriff „Wald“ muss man dabei auch nicht allzu ernst nehmen, eigentlich geht jede noch so winzige Baumgruppe zwischen Fasanerie, Jagdschloss und Oberfeld, wenn es für den richtigen Odenwald nicht reicht.
„Wir gehen heute in die Pilze!“, das ist wohl das korrekte Vokabular für dieses neue Hobby. Mein Instagram-Feed war voll davon. Okay, herzlichen Glückwunsch! Erwachsene Menschen in Regenhosen suchen sich ihr Abendbrot in der Natur. So weit, so drollig.
Bei normalen Spaziergängen (die, bei denen man einfach läuft, als sei es 2020), konnte man das Schauspiel auch offline wunderbar beobachten: Kleingruppen, die es kaum abwarten können, endlich loszulegen. Geschulter, ernster Blick auf den Boden, zwei Mal tief einatmen und dann muss man auf jeden Fall laut sagen, dass es ja heute schon so intensiv nach Pilzen riecht. Vom Spazierweg dann einen sauberen Haken in den Wald schlagen und nicht auf nassem Moos ausrutschen oder über eine Wurzel stolpern. Ich denke, wenn eines der Dinge nicht passiert, findet man keinen einzigen Pilz, so will es das Gesetz.
Und dann geht es Ihnen an den Kragen, den südhessischen Steinpilzen, krausen Glucken und flachpfeifigen Donnerschirmröhrlingen. Einen davon habe ich mir ausgedacht, einfach so. Ihr kommt schon drauf, welcher das ist.
Was mich dabei wirklich beeindruckt, ist die Selbstverständlichkeit, mit der Menschen sich die Bestimmung von Pilzen zutrauen, die sonst gerade mal einen Kaktus von einer Monstera unterscheiden können. Einen Fliegenpilz erkennt man, fair enough, aber für fast jeden essbaren Pilz gibt es einen giftigen Vetter, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht. Und es bleibt ja nicht bei der Bestimmung, wir wissen alle, was folgt, wenn man „aus den Pilzen“ kommt: Ein Pilzrisotto, weil es einfach „was anderes mit selbst gesammelten Pilzen ist“. Macht das die Spannung des Abends aus? Ob der Mitbewohner wirklich alle Pilze richtig bestimmt hat und ob die Freundin bis zum Dessert keine Magenkrämpfe hat? Sehen wir uns morgen wirklich alle wieder? Die Chuzpe, die eigene botanische Laienhaftigkeit in Form eines schlotzigen Reisgerichts an lieben Freund:innen auszulassen, das Selbstbewusstsein, sich da so zu vertrauen, dass alle den Abend überstehen: Chapeau!
Ein Glück: Mir wird das nicht mehr passieren, denn nach dieser Folge dieser Kolumne werde ich nicht mehr eingeladen. Ich warte geduldig, bis die Pilzzeit vorbei ist und wer dann noch da ist. Bis dahin koche ich für mich einfach das andere Herbstgericht, das man immer auf Instagram posten kann: Kürbissuppe mit Kokosmilch.
In diesem Sinne: Viel Glück und guten Appetit!
PS: Bei Vergiftungsserscheinungen sofort den Notarzt rufen, Pilzreste und eventuell Erbrochenes aufbewahren und keine Hausmittel anwenden.
Du bist fies? Ich bin Fiesa!
Ich bin Isa, 34, spiele Roller Derby und mag Tierbabys aller Art. Ich wohne seit 2007 in Darmstadt, wollte nur kurz zum Studium bleiben … das hat ja hervorragend geklappt. Darmstadt war Liebe auf den zweiten Blick und ist Zuhause geworden. Die Schrullen und Besonderheiten der Stadt bringen mich zum Lachen, daran wollte ich Euch teilhaben lassen. Da ich keine echte Heinerin bin, ist das natürlich nie ganz ernst zu nehmen und mit einem Augenzwinkern zu verstehen.