Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Manchmal hat man an einem Ort direkt das Gefühl, dass man willkommen ist. So war es für mich, als ich 2010 aus Kanada für ein Auslandssemester nach Darmstadt kam. Aus diesem einen Semester ist ein Studium geworden – und mittlerweile ist Darmstadt mein Zuhause. Als Ausländerin will ich mich in meiner Stadt zugehörig fühlen, unabhängig davon, wo ich herkomme oder wie lange ich vielleicht bleiben werde. Als Leiterin von Integrationskursen frage ich mich, was es eigentlich heißt, integriert zu sein. Integration ist schließlich kein Ziel, das erreicht werden kann, sondern vielmehr ein Prozess – ein Prozess in Richtung einer vielfältigeren, multikulturellen Gesellschaft. Dazu beitragen könnten – auch in Darmstadt – die Behörden. Könnten …

Ich schreibe diese Zeilen aus dem verschneiten kanadischen Westen, wo die Außentemperatur gerade -38 Grad Celsius beträgt, bei blauem Himmel und Sonnenschein. Herrlich. In einer Woche, Mitte Januar, fliege ich von zu Hause (aus der Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin), nach Hause – nach Darmstadt, wo meine Wohnung und meine Freunde sind, meine Arbeit, der Kindergarten meiner (deutschen) Kinder … mein Leben. Wenn ich in Frankfurt mit meinem kanadischen Pass wieder die Grenze überquere, werde ich gefragt, was ich in Deutschland vorhabe. Und ich werde antworten: „Na ja, ich lebe hier.“

Bei der Einreise werde ich wieder zur Ausländerin gemacht – und für diesen kurzen Moment bin ich immer nervös und befürchte, jemand könnte mir sagen, dass ich wieder „nach Hause“ gehen müsse. Wo doch alle meine Sachen in Darmstadt sind! Der Flughafen ist einer dieser Zwischenräume, wo Menschen, die wie ich in mehreren Staaten heimisch sind, viel Zeit verbringen. Nachdem ein gültiges Visum (beziehungsweise meine privilegierte Staatsbürgerschaft) mir die Einreise ermöglicht hat, waltet die Ausländerbehörde über meine ausländerischen Aktivitäten, während ich mich in Deutschland aufhalte (also immer). Das Spiel muss man spielen – und frau kann sich mit allem arrangieren. Schließlich ist ein Termin alle drei Jahre nicht die Welt.

Beziehungsweise … das letzte Mal wurden es vier. Ich habe nämlich ein Jahr auf einen Termin gewartet. Ich schätze, amtliche Meldungen lösen selten solche Freude aus wie die dreizeilige E-Mail mit Terminvorschlag, die Ende September 2021 meine Inbox erreichte. Ich jubelte. Wie viele Menschen in Darmstadt, die seit der Pandemie ihren Aufenthaltstitel verlängern wollten oder auf sonstige Dienste der Ausländerbehörde angewiesen waren, hatte ich bereits viele Monate lang innerhalb Deutschlands in der nebligen Ausländerzwischenzone verweilt.

2021 war für alle ein Jahr des Wartens, des Frusts, der Geduld. Umso mehr, wenn das Leben wegen eines fehlenden Visums oder ausbleibenden Termins zusätzlich eingeschränkt wird. Im Frühjahr des vergangenen Jahres berichtete die „Hessenschau“ von einer „heillosen Überforderung“ der Behörde in der Darmstädter Grafenstraße. Aufgrund der Corona-Einschränkungen haben sich vorhandene Probleme wie Personalmangel und ineffiziente Arbeitsprozesse zugespitzt, sodass beinahe ein Stillstand eingekehrt ist. Während es schon vor der Pandemie ein Glücksfall war, zeitnah einen Termin bei der Ausländerbehörde erteilt zu bekommen, ging 2021 die Wahrscheinlichkeit gefühlt auf null zurück. Meine altbewährte Methode für den (Normal-)Fall, dass es keine Reaktion auf meine Terminanfrage gab – einfach ins Amt reinzugehen und an eine Tür zu klopfen –, fiel durch die Pandemieeinschränkungen aus. Man wurde nur noch mit Termin ins Gebäude gelassen. Die Terminvereinbarung läuft (wahrscheinlich schon seit 1950) über einen Zettel, den man mittlerweile immerhin auch per E-Mail bei der Ausländerbehörde abgeben kann. Und dann muss man warten. In dieser Zeit stand ich manchmal sehnsüchtig wie vor einem verriegelten Residenzschloss in der Grafenstraße und fragte mich, ob ich irgendwas nicht kapiert habe, dass es bei mir nicht klappt. Es stand immer eine Schlange vor der Tür.

Das Einhorn der Darmstädter Bürokratie

So vergingen also die Monate des sowieso anstrengendsten Winters aller Zeiten. Immer mal wieder überkam mich die Panik – „Oh shit! Ich habe keinen Aufenthaltstitel!!“ –, woraufhin ich mich pflichtbewusst zu den auf der Webseite genannten Sprechzeiten hinsetzte und eine halbe Stunde lang versuchte, meine Sachbearbeiterin, eine/n Rezeptionist/in – irgendjemanden! – zu erreichen. Irgendwann sang mich das höhnische Piepsen des „Besetzt“-Tones in eine Art Beruhigung, dass mein ungeklärter Zustand nicht am fehlenden Willen meinerseits lag. Ich kenne niemanden, der bei der Ausländerbehörde schon telefonisch durchgekommen ist. Ein Telefongespräch bei diesem hohen Amt ist das Einhorn der Darmstädter Behördenaktivitäten.

Als meine Verzweiflung stieg, schrieb ich vorsichtig zuvorkommende E-Mails möglichst ohne Vorwürfe. Als ein freundlicher Herr von der Behörden-Super-Hotline 115 – die ich ab und zu anrief, um einfach eine menschliche Stimme zu hören – mich informierte, dass die Behörde ein Aufkommen von tausend E-Mails am Tag habe, gab ich das auf. Ich beneide nicht das Personal, das mit täglich tausend Anfragen von verzweifelten Leuten wie mir überflutet und vermutlich an den Rand des Wahnsinns getrieben wurde. Ich wäre da auch nicht ans Telefon gegangen.

Ich hatte Glück, dass in meinem Fall nichts Dringendes vom Aufenthaltsstatus abhing. Hätte ich in diesem Jahr – statt in Elternzeit zu sein – einen Job anfangen wollen, wäre das rechtlich gesehen problematisch geworden. Ich habe zusätzlich das Glück, einen Pass zu besitzen, mit dem ich ohne Visum nach Deutschland einreisen kann, was bedeutet, dass – hätte Corona das nicht sowieso verhindert – ich das Land noch verlassen dürfte. Dies gilt nicht für jede Staatsangehörigkeit, durch die ein fehlender Aufenthaltstitel noch viel ärgerlicher – geschweige denn existenzgefährdender – sein dürfte als für eine Kanadierin wie mich.

Entspannt sich die Lage allmählich?

Wie dem auch sei, die Lage scheint sich allmählich zu entspannen. An der neuen Telefonnummer geht immer noch keiner ran, aber durch das neu eingerichtete Online-Kontaktformular kam auf meine Nachricht eine zügige Antwort. Als ich zum mir erteilten Termin ging – mit einem Stapel dreimal überprüfter Dokumente und Schmetterlingen im Bauch – wurde ich freundlich empfangen. Nur auf meine Nachfrage wurde das Jahr Verzögerung erwähnt, das keinerlei Auswirkung nach sich gezogen hat. Allgemein schienen die Mitarbeitenden guter Dinge zu sein. „Es wurde neues Personal eingestellt, was die Arbeitszeiten verbessert hat“, erzählt mir ein Sachbearbeiter. „Außerdem hat der neue Abteilungsleiter sofort die Digitalisierung der Papierakten in Gang gesetzt.“ Nach wie vor bestehe das Problem, sagt er, dass die Anzahl der Ausländer in Darmstadt stetig zunehme (unter anderem durch immer mehr internationale Studierende), die Kapazitäten der Ausländerbehörde aber gleich bliebe.

Die immer noch recht provisorischen Ad-hoc-Maßnahmen zur Verbesserung des Services bei der Ausländerbehörde verändern also nicht das Grundproblem: Damit meine ich nicht die Zahl der Ausländer, sondern, dass diese offensichtlich nicht als essenzieller Teil der Bevölkerung betrachtet werden. In einer Stadt, in der beinahe ein Viertel der Bevölkerung aus dem Ausland kommt, ist das eine Verkennung der Realität. Wenn die Ausländerbehörde so wenig priorisiert wird, dass sie ihre Aufgaben nicht bewältigen kann, wird uns Ausländern vermittelt: Ihr seid hier nicht wichtig. Für jede dieser Personen, die hier ihrem Leben nachgeht, ihre Kinder großzieht, arbeitet und einkauft – also zum gesellschaftlichen Leben beiträgt, und sicherlich genug um die Ohren hat, ohne die Frage zu stellen, ob sie überhaupt in diesem Land sein darf – ist das ein Schlag ins Gesicht. Wir sind schon längst hier und werden hier bleiben. Schön wäre es, wenn unsere Anwesenheit nicht als komplizierte Ausnahme, sondern als der Normalzustand anerkannt wäre, der sie schon längst ist.