Woran erkennt man jemanden, der im Winter in zugefrorene Seen hüpft?
An nichts Äußerlichem, aber keine Sorge: Die Person erzählt es einem schon – natürlich immer ungefragt. Und unangenehm lange, unter einer Viertelstunde kommste dann nicht mehr weg. Meistens starten solche Monologe damit, dass jemand zu Beginn der kühleren Jahreszeit erkältet, müde, depressiv oder sonst irgendwie gesundheitlich angeschlagen ist. Gemeine Eisbadende haben besondere Antennen für solche Fälle, kommen aus der anderen Ecke des Raumes angesprintet und übernehmen ungefragt die Gesprächsführung. Aus dem Nichts fallen Sätze wie: „Ich gehe ja seit letztem Jahr immer Eisbaden. Das wirkt Wunder! Komm doch mal mit!“ Jeglicher verbaler Widerstand endet dann in einer Tirade pseudowissenschaftlicher Ausführungen, wieso Eisbaden DIE Lösung für alle Zipperlein und Problemchen ist. Kurzum: Es hilft gegen alles, beim Muskelkater (Athlet:innen faseln dann irgendwas von „active recovery“) und den bärenstarken Abwehrkräften mal angefangen. Ehekrise? Job weg? Chinchilla entlaufen? Spring doch mal im November in die Grube Prinz von Hessen! Davon wird Dein privates Desaster nicht besser, aber garantiert denkst Du mal ein paar Sekunden nicht daran, dass zu Hause gerade Alarm ist.
Mit der Wollmütze ins trübe Wasser
Wenn Du Pilzesammeln und Lastenradfahren überwunden hast, Du Deine Persönlichkeit durch etwas anderes als einen Sauerteig-Starter definieren musst und Du Flat White gar nicht so lecker findest, dann gibt es nur noch die Steigerung Eisbaden. Und so wird die Community auch in Darmstadt stets größer. (Lokale) Sportartikelhersteller haben plötzlich „Recovery Tubs“ im Angebot, mit denen man das Gemüt zuverlässig auf dem heimischen Balkon der überteuerten Altbauwohnung im Watzeviertel runterkühlen kann. An der Grube ist am Wochenende von November bis März mehr los als im August, wenn nicht gerade die Blaualgen den Kaltbader:innen einen Strich durch die Rechnung machen. Eine Stimmung wie auf dem Heinerfest: Menschengruppen stehen tanzend im Kreis, bevor sie (nackig oder in Badeklamotten) ins kühle Nass springen. Wenn der Tümpel mal ein paar Tage zugefroren ist, wird zuverlässig eine Schneise ins Eis gehackt und man muss anstehen wie ein defizitärer, winterblasser Pinguin, um endlich reinzukommen. Die Gänse wären doch lieber in den Süden geflogen und man möchte gar nicht wissen, was einem winterschläfrigen Fisch wohl durch den Kopf geht, wenn alle Nase lang irgendein wollmütziger Badegast durchs trübe Wasser tippelt.
Wohlig warmes Kribbeln
Und wenn man dann mal drin ist? Stille! Der Atem wird ruhiger. Die Haut kribbelt und nach ein paar Sekunden spürt man nichts mehr, das Gedankenkarussell dreht sich für einen kurzem Moment nicht mehr weiter. Woher ich das weiß? Ich oute mich: Ich bin „eine von denen“ – schon das dritte Jahr in Folge. Weil mir mein Sauerteig irgendwann verschimmelt ist und es unfassbar gut tut. Und selbst wenn nichts davon stimmt, was man wissenschaftlich herbeistudieren will, dann bleibt einfach nur ein gutes Gefühl und ein wohlig warmes Kribbeln, wenn man wieder trocken und dick eingepackt an Land ist. Einen Moment, den man mit lieben Menschen teilt und mit einem Becher heißem Tee am Grubenstrand begießt. Und ganz ehrlich: Wir alle brauchen irgendeinen harmlosen Eskapismus, insbesondere in Zeiten, in denen eine Krise die vorangegangene noch übertrifft.
Wir Eisbadende reden so viel darüber, weil wir Euch dabei haben wollen. Weil wir glauben, dass Euch das auch gut tun wird. Vielleicht übertreiben wir manchmal in unseren Darstellungen, WIE lange wir drin waren oder WIE kalt das Wasser war und WIE groß der Orca, der uns fast gefressen hätte. Das ist bestimmt anstrengend für alle, die unter 25 Grad frieren. Ging mir früher ja auch nicht anders, aber EISBADEN macht … okay, lassen wir das, ich schweife ab.
Was jetzt noch wichtig ist: Gegen soziale Kälte angehen und sich engagieren, dagegen hilft nämlich auch keine Eistonne. Und wer doch mal Bock hat: Die Darmstädter Eiszäpfchen treffen sich meist sonntags um 13 Uhr an der Grube.
Du bist fies? Ich bin Fiesa!
Ich bin Isa, 37, spiele Roller Derby und mag Tierbabys aller Art. Ich wohne seit 2007 in Darmstadt, wollte nur kurz zum Studium bleiben … das hat ja hervorragend geklappt. Darmstadt war Liebe auf den zweiten Blick und ist Zuhause geworden. Die Schrullen und Besonderheiten der Stadt bringen mich zum Lachen, daran wollte ich Euch teilhaben lassen. Da ich keine echte Heinerin bin, ist das natürlich nie ganz ernst zu nehmen und mit einem Augenzwinkern zu verstehen.