Foto: Jürgen Mai/Lufthansa Technik AG

Seit 1997 trägt Darmstadt den Beinamen Wissenschaftsstadt im Titel und auf den Ortsschildern. Mit ihren Ideen, Projekten und Lösungen füllen Forschende an TU und Hochschule Darmstadt oder den Fraunhofer-Instituten dieses Label mit Leben. Das P zeigt Ausschnitte ihrer Forschungs- und Entwicklungsarbeit: Projekte, die sich auf Gesellschaft, Umwelt und Alltag auswirken – und die Menschen dahinter.

Sommer, Sonne, Urlaubszeit! Badesee, Biergarten, Bergstraße? Okay, ganz nice. Aber oft locken uns Amerika, Asien oder Afrika dann doch ins Flugzeug. Obwohl unser übergroßer CO2-Fußabdruck aufs ökologische Gewissen drückt. Während wir gute Vorsätze fassen („Aber nächstes Jahr geht’s mit der Bahn ins Allgäu“), haben Wissenschaftler der Hochschule Darmstadt (h_da) etwas entwickelt, das den Kerosinverbrauch der Jets senkt.

Ein beharrlich anschwellender Heulton dringt durch die offene Tür des Gebäudes C 18. Unwillkürlich verlangsamen die drei jungen Studenten ihren Schritt. Das Geräusch wird zum durchdringenden Dröhnen. Erst als Rudi Kombeitz nach draußen tritt und die Tür schließt, sinkt der Lärmpegel auf ein erträgliches Maß. Die drei jungen Männer sind stehen geblieben. „Was ist das denn!?“, fragt einer, als Kombeitz seinen Gehörschutz abgenommen hat. „Ein Flugzeugtriebwerk“, antwortet der lapidar. Beim Blick in die drei verdutzten Gesichter muss er grinsen.

Rudi Kombeitz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter von Professor Gerald Ruß am Fachbereich Maschinenbau und Kunststofftechnik. Sein Team arbeitet an neuen Reinigungsmethoden für Flugzeugtriebwerke. „Staub, Pollen, Sand und Abgase lagern sich auf den Bauteilen an. Dadurch nehmen Aerodynamik und Wirkungsgrad ab, der Kerosinverbrauch steigt“, erklärt Ruß. Früher wurden die Triebwerke abgenommen und zerlegt, um sie zu reinigen. Später fand sich eine bessere Methode – unter Darmstädter Mitwirkung. Forscher der h_da kooperieren seit 2005 mit Ingenieuren der Lufthansa Technik AG. „Damals hat einer unserer Studenten den Ansatz eines wasserbasierten Verfahrens zur Triebwerksreinigung entwickelt“, sagt Ruß. „Nach seinem Abschluss wurde er Ingenieur bei Lufthansa Technik.“ Seit 2007 setzt die Lufthansa-Tochter für Wartung, Reparatur und Überholung dieses Verfahren standardmäßig zur Triebwerksreinigung ein.

Doch es bleiben Nachteile: Das Schmutzwasser muss entsorgt werden. Und weil dessen Reste im Triebwerk gefrieren können, ist die Methode nicht wintertauglich. Also wurde die Forschungskooperation fortgesetzt, mit dem Ziel, ein ganzjährig einsetzbares Verfahren zu finden. 2011 baute die h_da dafür die Turbinenhalle, das Gebäude C 18, und installierte darin das ausrangierte Strahltriebwerk einer Boeing 747-200 – 4,65 Meter lang, gut vier Tonnen schwer. Beste Möglichkeiten für angewandte Forschung. Gelegentliche Irritation von Studienanfängern inklusive. In C 18 verfolgten die Partner einen neuen Ansatz: Die Reinigung der Triebwerke mit gefrorenen Kohlenstoffdioxid-Partikeln, also Trockeneis.

 

Foto: Jürgen Mai/Lufthansa Technik AG

Die wenige Millimeter großen Trockeneispartikel werden per Druckluft ins Triebwerk geschossen. „Beim Auftreffen auf die Bauteile setzen sie kinetische Energie frei. Die bewirkt im Zusammenspiel mit der Kälte, dass die Verschmutzungen sich zusammenziehen, verspröden und von den Komponenten lösen“, erklärt Gerald Ruß. „Die Wirkung ist ähnlich der eines Sandstrahlers, nur schonender.“ Und ohne Sand. Die zerschellenden CO2-Pellets gehen in die Gasphase über, ohne zuvor zu schmelzen. Das macht das Verfahren rückstandsfrei und temperaturunabhängig. Inzwischen haben die Kooperationspartner zwei mobile Strahlanlagen konstruiert. 2019 integriert Lufthansa Technik das neue Verfahren nach und nach in den Wartungsbetrieb.

„Unsere Arbeit zielt auf den Flugzeugbestand“, sagt Gerald Ruß. „Sie sorgt dafür, dass bereits eingesetzte Triebwerke sauberer und sparsamer werden. Die höhere Effizienz steigert außerdem die Lebensdauer.“ Bei gleicher Leistung benötigen die gereinigten Triebwerke durchschnittlich ein Prozent weniger Kerosin. Das bedeutet einige Hunderttausend Tonnen CO2-Emissionen weniger pro Jahr. Und das Team um Professor Ruß tüftelt schon an der Weiterentwicklung. Wie schon frühere Projekte von h_da und Lufthansa Technik, wird das aktuelle Vorhaben vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Bis 2022 fließen knapp zwei Millionen Euro. Gut investiertes Geld. Denn, mal ehrlich, wer weiß schon, ob wir nächsten Sommer wirklich nur ins Allgäu fahren.

 

Gastbeitrag

Daniel Timme schreibt als Redakteur unter anderem für das Wissenschaftsmagazin „impact“ der Hochschule Darmstadt (h_da). Erklärfilm, Langfassung und Fotogalerie zu diesem Beitrag findet Ihr online auf: h-da.de/impact.