Flavio_Battisti
Foto: privat

Er hat einen Nebenjob, bei dem man wirklich rumkommt: Flavio Battisti (66) ist Attaché beim Deutschen Fußball Bund (DFB) – und seit 28 Jahren bei jedem großen Turnier der Nationalelf als Mannschaftsbetreuer dabei. Wie es dazu kam und warum er heute in Darmstadt lebt, ist Teil einer interessanten Lebensgeschichte.

Es war 1960, als er zum ersten Mal in Darmstadt am Bahnhof stand. Damals war er auf dem Weg nach Frankfurt, hinter ihm lag die italienische Provinz Trentino, vor ihm ein Dolmetscherjob bei der Post und ein Studium an einer Frankfurter Handelsschule. Im Gepäck ein paar Brocken Deutsch sowie eine Menge Mut und der Glaube daran, es in Deutschland schaffen zu können. Im Zuge der sogenannten Gastarbeiterbewegung der sechziger Jahre fand der sprachbegabte und offene Battisti schnell Anschluss. Nach der erfolgreich absolvierten Handelsschule zog er von Frankfurt nach Düsseldorf, um dort seine Landsleute bei der Post zu unterstützen. Daraufhin arbeitete er sechs Jahre bei Mannesmann bis er schließlich 1973 in Darmstadt bei Merck anfing.

Heute, 35 Jahre später, ist er mit Darmstadt tief verwurzelt. Im Interview blickt er zurück auf 28 Jahre Nationalelf und erzählt vom schüchternen Oliver Kahn, dem über sich hinaus– gewachsenen Dieter Eilts und dem ernsthaften Scherzkeks Poldi bei der vergangenen EM. Flavio Battisti war übrigens der erste Italiener, der bei einem WM-Endspiel auf einer deutschen Bank saß, 1982 war das. Deutschland verlor 1:3. Gegen Italien.

Herr Battisti, wie kam der Kontakt zum DFB und der Nationalmannschaft zu Stande?
Ich war Fußballschiedsrichter in Düsseldorf und bei einem Jugendländerspiel zwischen Italien und Deutschland fragte man mich, ob ich nicht die italienische Mannschaft betreuen möchte. Diese Betreuung habe ich anscheinend gut gemacht – die dachten sich wohl: „Endlich einer, der nicht nur die Sprache kennt, sondern auch was vom Fußball versteht.“ Daraufhin hat mich der DFB gefragt, ob er weiter auf mich zugehen kann.

So kam es dazu, dass ich Länderspiele der Erwachsenen betreute und während der WM 1974 in Deutschland die Squadra Azzurra begleitete. Bei der Europameisterschaft 1980 in Italien wurde ich dann gefragt, ob ich bereit wäre, mit der deutschen Nationalelf mitzureisen. Und seitdem bin ich immer dabei.

Wie nah sind Sie an der Nationalelf dran?
Sehr nah, ich mache ja auch die ganze Vorbereitung mit. Während der EM hat man mich dann, wenn die Mannschaft gelandet ist, immer unten am Flieger gesehen. Da war ich schon vorgeflogen und hatte bereits die Hotelvorbereitung getroffen und die Abholung organi-siert. Zimmerzuteilung und die Fest-legung des Trainingsplatzes müssen dann schon passiert sein, damit sich die Mannschaft voll und ganz auf das Training und die Spiele konzentrieren kann. Man muss die Feinheiten kennen – zum Beispiel, welcher Spieler ein besonders ruhiges Zimmer möchte und welcher seines nicht zu nah am Aufzug haben sollte… (lacht)

Wie bewerten Sie die Euphorie, die seit dem viel zitierten „Sommermärchen“ um die deutsche Mannschaft herrscht?
Eine große Euphorie gab es bereits 1990, genauso 1996 – und auch als wir 2002 überraschend ins WM-Finale gekommen sind. Der Unterschied zu früher ist, wie diese junge Mannschaft auftritt: Die Art und Weise, wie sie spielt, reißt die Leute einfach mit. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir bis auf Ballack keinen Weltklassespieler haben und noch kurz vor der letzten Weltmeisterschaft 1:4 gegen Italien untergegangen sind.

Doch bei uns gibt es keine Grüppchenbildung, weil es keine großen Stars gibt. So gelingt es der Mannschaft, locker in die Turniere zu gehen und über sich hinauszuwachsen.

Wenn wir nur etablierte Stars hätten, wäre die Begeisterung nicht so groß.

Das Problem mit den Stars haben wohl eher die Niederländer und Engländer?
Ich bin der Meinung, dass diese Euphorie, die jetzt besteht und auch während der Euro bestand, damit zu tun hat, wie positiv sich unsere Mannschaft präsentiert und ihr es gelingt, die Begeisterung weiterzugeben. Diese Begeisterung kommt zustande, weil die Spieler wissen, dass sie keine großen Asse sind, aber hier was zusammen erreichen können. Es ist viel schwieriger, eine Truppe mit 11 bis 15 Weltklasseleuten zusammenzuhalten, als eine so junge und symphatische Truppe – das macht viel aus!

Aber Sie haben in all den Jahren ja auch viele Stars in der deutschen Nationalmannschaft miterlebt. Und auch aktuell gibt es ja einige Fußball-Popstars im Team. Ist der Poldi wirklich so ein Scherzkeks?
Ja, ich habe sie alle miterlebt. Es gibt sogar ein Bild von mir und dem jungen Bernd Schuster von 1980. Ich habe sie alle kommen und gehen sehen. Oliver Kahn war bei seiner ersten Nominierung noch so schüchtern, dass er kaum „Guten Tag“ sagen konnte. Der Poldi ist ein wirklich lustiger Mensch, der aber seinen Job sehr ernst nimmt. Er hat auch versucht, ein paar italienische Wörter zu lernen, klar sind da auch Schimpfwörter dabei. (lacht)

Wie war denn für Sie die Euro 2008 in der Nachbetrachtung? Sind Sie zufrieden?
Eine Europameisterschaft oder eine Weltmeisterschaft ist in der Logistik und Organisation eine große Geschichte. Darüber hinaus ist die Zusammensetzung einer Mannschaft entscheidend für den Erfolg. Du hast 23 Spieler dabei, von denen werden aber maximal 14 zum Einsatz kommen – und jeder Spieler hat ja auch seine Eigeneinschätzung. Man kann 2006 nicht wieder-holen und ich stehe dazu, wenn ich sage, dass es viel wertvoller ist, unter die letzten Vier einer EM zu kommen als unter die letzten Vier einer WM. Man braucht drei oder vier Spieler, die während eines Turniers über sich hinauswachsen. So wie 1990 bei der WM Guido Buchwald oder Dieter Eilts bei der EM 1996.

Bei uns war das diesmal Philipp Lahm im Spiel gegen die Türken, da muss man aber auch der ganzen Mannschaft ein Kompliment machen, dass sie gegen eine überlegene türkische Mannschaft stand- gehalten hat.

Wie wäre es denn für Sie persönlich gewesen, wenn Deutschland gegen Italien im Finale gestanden hätte?
Das ist ja schon ein paar Mal passiert. Ich habe mir immer gewünscht, dass die deutsche Mannschaft, die ich ja betreue, gewinnt! Dieses Jahr wäre es nur im Finale möglich gewesen, auf Italien zu treffen. Es gibt ja die Tradition, dass wir immer in entscheidenden Spielen gegen die Italiener verlieren – damit hätte ich dieses Jahr gerne gebrochen. In Dortmund 2006 hat es natürlich sehr weh getan, dass die Mannschaft gegen Italien rausgeflogen ist, wobei es mich mehr geärgert hätte, im Viertelfinale gegen Argentinien auszuscheiden. Im Endspiel war ich dann natürlich für Italien und hatte am nächsten Tag, auch weil ich Juve Fan bin, ein Del-Piero-Trikot an. „Einen Tag müsst Ihr mich jetzt so ertragen“, habe ich zu den anderen gesagt. Das ist dann auch akzeptiert worden. (lacht)