Foto: Jan Ehlers
Foto: Jan Ehlers

Eine WG-Küche in Darmstadt-Arheilgen. Klassische studentische Unordentlichkeit. Lukas Meuth kocht, seine Mitbewohner wuseln durch die Wohnung. Einer der Mitbewohner kommt in die Küche, dunkle Haare, weiße Sneaker, gelber Kapuzenpullover. Nicht weiter auffällig, ganz normal. Die Geschichte des jungen Mannes aber erzählt etwas Anderes. Er nennt sich Salah Ali, ist 22 Jahre alt und kommt aus Syrien. Von dort musste er fliehen. Salah ist in der Nähe von Damaskus aufgewachsen und hat seine Heimat vor knapp drei Jahren verlassen. Heute lebt er mit fünf Mitbewohnern in Arheilgen.

Salah ist sehr höflich, lächelt viel und wirkt im ersten Moment fast schüchtern, als er von seiner Reise nach Deutschland erzählt. Warum er aus seiner Heimat weg ist? Vor allem um zu studieren, sagt er. Aber auch, weil der Krieg in Syrien begann und die Armee immer mehr junge Männer einzog, wie er weiter erzählt. Salah kam nicht direkt nach Deutschland, sondern ist erst in ein anderes Land gereist, um dort zu studieren. Welches Land das war, möchte er nicht sagen. Salah kannte die Sprache und die Schrift des Landes nicht, lernte aber recht schnell und war am Ende so gut, dass er ein Übersetzer- und ein Medizinstudium beginnen konnte.

Vor ein paar Monaten kam er dann nach Deutschland. Zuerst in die hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen: Hunderte Flüchtlinge an einem Ort, fünf Leute unterschiedlicher Herkunft in einem Zimmer, kaum Privatsphäre, dreckig und laut. „It was awful“, schrecklich, sagt Salah auf Englisch. Es war seine bisher schlimmste Erfahrung. Seinem Mitbewohner Lukas fällt ein, dass er eine Fernsehreportage über eine Aufnahmestelle für Flüchtlinge im Netz gefunden hat. Er fragt Salah, ob sie sich die Dokumentation gemeinsam anschauen wollen. Salah schüttelt den Kopf, nicht böse, aber bestimmt: „Ich habe meine eigenen Erfahrungen, ich will mich nicht erinnern müssen.“

Er erzählt, dass er positive Erwartungen hatte, als er nach Deutschland kam, „so war es aber nicht“. Nach zwei Monaten in der Erstaufnahmestelle in Gießen und mehreren medizinischen Tests und Interviews wird er nach Alsbach verlagert. Die Unterbringung dort war etwas besser, urteilt Salah. Nach einiger Zeit spricht ihn eine Mitarbeiterin des Sozialkritischen Arbeitskreises Darmstadt an, die die städtische Anlaufstelle für Flüchtlinge betreut. Sie habe ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft für ihn, erklärt sie. Salah stimmt zu, möchte das Zimmer aber erst besichtigen, seine möglichen Mitbewohner kennenlernen. „Kein Problem“, heißt es, aber ihm wird auch geraten, auf jeden Fall zuzusagen. Besser als seine aktuelle Unterbringung im Flüchtlingsheim in Alsbach sei es in der WG auf jeden Fall.

„Es ist eine gute Sache“

Zuvor hatten Lukas und seine Mitbewohner den Kontakt über die Organisation „Flüchtlinge Willkommen“ hergestellt. Die Organisation habe er schon länger auf Facebook verfolgt, erzählt Lukas. Nachdem klar war, dass in ihrer WG ein Zimmer frei werde, habe er sich direkt bei der Initiative gemeldet. „Es ist eine gute Sache – vor allem, um die Flüchtlinge vom Rande der Gesellschaft wegzubekommen.“ Kurz vor dem Einzug haben sich dann alle sechs kennengelernt: „Ich hatte kaum Erwartungen an den neuen Mitbewohner“, erinnert sich Lukas. Natürlich hätten sie alle Interesse an der syrischen Kultur von Salah, ansonsten sei das Aufeinandertreffen wie bei einem normalen WG-Casting gewesen. Lukas Resümee: „Schade, dass Salahs Aufnahme in unsere WG noch etwas Besonderes zu sein scheint.“

Salah zeigt uns sein Zimmer: Sehr ordentlich, es sind nicht viele persönliche Gegenstände zu sehen. Die Möbel hat er vom Vormieter übernommen, einen Schrank und Farbe für die Wände hat er zusammen mit einer Mitbewohnerin organisiert. Etwas Besonderes für ihn ist eine handgefertigte Holzkiste, die Salah stolz zeigt. Die hat ihm sein Bruder geschenkt und sie hat ihn den ganzen Weg von Syrien mit nach Deutschland begleitet: „Darin kann man Schmuck oder Schokolade aufbewahren.“

Salah scheint sich wohlzufühlen in Darmstadt. Seit ein paar Wochen macht er einen Sprachkurs. Keinen speziellen für Asylbewerber, sondern einen Deutschkurs am Sprachinstitut, damit er später auch in Deutschland studieren kann – das ist ihm sehr wichtig. Salah zeigt Interesse an seiner neuen Heimat, fragt nach deutschen Musikern und typisch deutscher Musik. Er selbst hört jedoch vorwiegend traditionelle arabische Musik.

Kochen gegen Heimweh

Ob er in Deutschland bleiben kann? Er ist zwar anerkannter Flüchtling, aber 100 Prozent sicher ist er nicht. Salah glaubt, dass er bleiben kann, wenn er arbeitet – auch dann, wenn der Krieg vorbei sei. Ansonsten müsste er nach Kriegsende zurück. Von zu Hause vermisst er am meisten seine Familien und Freunde, die er seit drei Jahren nicht gesehen hat. Von vielen weiß er nicht, wo sie sind und wie es ihnen geht. Dabei wird er sehr ernst, Sehnsucht schwingt in seinen Erzählungen mit. Gegen das Heimweh helfe vor allem: syrische Gerichte nachzukochen, mit arabischen Gewürze und Lebensmitteln, die er in vielen Supermärkten findet. Nur am Kochen hapert es manchmal ein wenig. Seine Mutter und Schwester seien einfach viel schneller als er, grinst Salah.

Obwohl schon mehrere Monate in Deutschland, musste sich Salah auch in Darmstadt durch etliche Formulare und viel Bürokratie kämpfen. Dabei halfen ihm seine Mitbewohner, aber auch sie waren manchmal überfordert: „Wenn es uns als Muttersprachlern schon so geht, wie soll es dann den Flüchtlingen gehen?“, fragt Lukas rhetorisch. Seine Achtung vor den Flüchtlingen sei nach den zig Behördengängen noch gestiegen.

„Salah hat unser WG-Leben bereichert“, bekennt Lukas. Sie säßen nun öfter in der Küche zusammen, kochten, spielten Backgammon oder machten zusammen Sport. Auch das Feedback dazu, dass sie Salah aufgenommen haben, sei durchweg positiv: „An die große Glocke gehängt haben wir es aber nicht.“ Bisher habe sich allerdings niemand aus dem Bekanntenkreis der WG dazu bereit erklärt, ebenfalls einen Flüchtling in seiner Wohnung aufzunehmen. Aber Lukas hofft, dass sich dies durch Medienberichte vielleicht ändert: „Und wenn es nur eine Person von 100 ist, dann hat sich das schon gelohnt.“

Und Salah? „Mein Hauptziel ist, in Deutschland Medizin zu studieren und dann zu arbeiten.“ Fragt man ihn nach seiner Zukunft, wünscht er sich aber vor allem eines: Frieden für seine Familie. Die Klischees, die er über Deutschland vor seiner Ankunft gehört hatte, kann er übrigens nicht bestätigen: „Die Deutschen sind herzlich, nicht kühl und hart.“ Schlechte Erfahrungen, etwa mit rechten Gruppen, habe er keine gemacht. Was er an Deutschland mag? „Die Pünktlichkeit“, sagt er und grinst.

 

Flüchtlinge Willkommen!

Die Initiative „Flüchtlinge willkommen“ wurde Ende 2014 von einer Gruppe in Berlin gegründet und basiert auf der Idee, Geflüchteten private Unterkünfte zu vermitteln. Der Wohnraum sollte zwei Bedingungen erfüllen: Die geflüchtete Person sollte einen eigenen Raum zur Verfügung haben und es sollten noch andere Menschen im Haushalt leben. Von den Interessenten, die bisher ihren Wohnraum registriert haben, sind nur die Hälfte Studenten-WGs, während der andere Teil Alleinerziehende, Familien oder Senioren sind.

Jeder, der einen passenden Wohnraum zur Verfügung hat, kann diesen online bei der Initiative registrieren. Die Kosten für die Miete werden entweder über die entsprechenden Ämter oder über Mikrospenden finanziert.

Wer keinen Wohnraum zur Verfügung stellen kann, kann trotzdem helfen, indem er entweder Geld oder Zeit spendet. Letztere kann entweder eine Patenschaft für einen geflüchteten Menschen bedeuten oder aber auch ehrenamtlichen Support bei Themen wie Fundraising, Übersetzungen oder Werbung.

Bisher wurden schon 45 geflüchtete Menschen vermittelt und mehr als 800 Interessenten haben ihren Wohnraum eingetragen. Mittlerweile gibt es die Initiative „Flüchtlinge Willkommen“ auch in Österreich und weitere Länder stehen in der Pipeline.

Kontakt: hallo@fluechtlinge-willkommen.de | www.fluechtlinge-willkommen.de

 

Anlaufstellen in Darmstadt

Sozialkritischer Arbeitskreis e. V.

Beratung und Betreuung für Asylsuchende gefördert von und im Auftrag der Stadt Darmstadt. Praktische Unterstützung bei Behördengängen, in Sprachkursen oder auch bei der Wohnungssuche sind sehr willkommen und hilfreich. Zudem ist es möglich, Patenschaften zu übernehmen und damit Einzelpersonen zur Seite zu stehen. Das Ziel sollte sein, dass die Flüchltinge auf Dauer eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben.

Kontakt: Marina Rotärmel, 01573 2910507, asyl@ska-darmstadt.de | www.ska-darmstadt.de

 

Koordinationskreis Asyl (KOKAS)

Netzwerk verschiedenster Darmstädter Initiativen und Vereine, um die Asylarbeit zu koordinieren. Wer sich selbst engagieren möchte, kann am monatlichen Treffen (1. Montag im Monat, 17 Uhr) im Diakonischen Werk, Kiesstraße 14, teilnehmen. Die Kontaktaufnahme ist natürlich auch per Telefon oder E-Mail möglichl.

Kontakt: Johannes Borgetto, 0163 1854704, info@asylkreis-darmstadt.de | www.asylkreis-darmstadt.de

 

Caritasverband Darmstadt Migrationsdienst

Umfangreiche Beratungsstelle für Migrantinnen und Migranten, die bereits eine Aufenthaltserlaubnis haben. Des Weiteren werden Integrationskurse für Frauen und Mütter, mit Kinderbetreuung, sowie Hausaufgabenhilfe angeboten. Für beides werden ehrenamtliche Helfer gesucht, wobei für die Integrationskurse nur Frauen in Frage kommen.

Kontakt: Nara Faul (Frauenintegrationskurse), 06151 609641, n.faul@caritas-darmstadt.de und Gülsün Özcan (Hausaufgabenhilfe) 06151 609643, g.oezcan@caritas-darmstadt.de | www.caritas-darmstadt.de

 

Diakonisches Werk Darmstadt-Dieburg

Mehrsprachige Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer. Unterstützung gibt es bei der Lösung von Alltagsproblemen, der Durchsetzung von Ansprüchen auf staatliche Hilfen, der Antragstellung zur Teilnahme an einem Integrationskurs, sowie beim Umgang mit Behörden und Ämtern.

Kontakt: Despina Paraskevaidou, 06151 926121, paraskevaidou@dw-darmstadt.de | www.dw-darmstadt.de

 

„save me – Flüchtlinge aufnehmen!“

Die lokale Initiative ist Teil einer deutschlandweiten Kampagne, die von Pro Asyl, Amnesty International und anderen Organisationen gegründet wurde. Das Ziel ist die Integration von Flüchtlingen in unsere Gesellschaft, zum Beispiel mit Hilfe eines systematischen Einstiegs in die deutsche Sprache. Zu diesem Zweck gibt es jeden Donnerstag von 18 bis 20 Uhr ein Treffen im Büro von Amnesty International Darmstadt, in der Mainzer Straße 74, 64293 Darmstadt (Werkhof).

Kontakt: Stefan Weisenseel, 06151 9518244, stefan.weisenseel@t-online.de |  www.darmstadt.save-me-kampagne.de

 

Deutsches Rotes Kreuz (DRK) Kreisverband Darmstadt-Stadt e. V.

Der Migrationsdienst des DRK Darmstadt berät und unterstützt Migrantinnen und Migranten bei Amtsgängen, beim Ausfüllen von Dokumenten oder beim Umgang mit neuen oder ungewohnten alltagspraktischen Dingen oder Situationen.

Kontakt: Miriam Seel, 06151 3606657, ehrenamt@drk-darmstadt.de | www.drk-darmstadt.de

 

Netzwerk Asyl Mühltal (bei Darmstadt)

Ob es Deutschunterricht ist, ein Arztbesuch, ein Behördengang, Sport oder ein Möbel-Transport – die 30 ehrenamtlichen Mitarbeiter des „Netzwerk Asyl“ unterstützen Flüchtlinge in Mühltal, denn: „Die Anzahl an Asylsuchenden wird weiter steigen, viele werden dauerhaft bleiben. Sie zu integrieren ist das Ziel, das sich die Ehrenamtlichen gesetzt haben.“

Kontakt: Tanja Eick, 06151 1542022, sonne@strega.de, eine Website ist gerade in Arbeit: www.communication-camp.org/unser-projektpartner