Foto: Matthias Hill

Die vierköpfige Indie-Band Immergrün ist nach eigener Aussage ein „seit 2003 fortwährender Neuanfang“. Nach einem Jahr Live-Abstinenz findet der neueste Neuanfang 2019 mit dem Live-im-Studio-Album „Jeder andere ein Held“ und einem Live-Auftritt im Keller-Klub statt. Das Besondere: „Immergrün hat keine Ambition mehr, wie irgendwer zu klingen. Unsere Musik ist kein Produkt. Über Geld wollen wir nicht mehr nachdenken. Daher ab sofort: Ihr entscheidet, ob und was Ihr zahlt.“ Was lag da näher, als Fabian (Bass, Gesang), Heiko (Gitarre) und Pascal (Schlagzeug) Musik von Künstlern vorzuspielen, die den gleichen Ansatz verfolgen? Ach ja: Der zweite Gitarrist, Michi, war net da, der musst‘ schaffe.

 

Fugazi „Merchandise“

Legendäre Washington-DC-Post-Hardcore-Legende um Ian MacKaye, die sich trotz exorbitanter Gagen-Angebote konsequent einer Reunion verweigert.

Heiko [sofort]: Das ist Fugazi! Das war eine meiner ersten Vinyl-Platten, die hatte ich ausgeliehen von Christ aus Köln. Und nie zurückgegeben. Viele Grüße auch!

Fabian: Ich hatte von denen früh gehört und fand immer den Bandnamen super: „FUGAZI“ – wie geil das klingt!

Pascal: Mit Fugazi verbinde ich eine krasse Geschichte. Ich hab mal ein Mädchen kennengelernt, mit der bin ich nach Fehmarn gefahren. Die kam aus einem reichen Elternhaus und als ich sie kennenlernte, war das so ‘ne Popmaus. Die hörte von einem auf den anderen Tag nur noch Punkrock, vor allem Fugazi und Normahl. Ich hörte damals eher Death Metal, aber da hatten wir ‘ne Schnittmenge. Aber dann kam es, wie es kommen musste: Sie eröffnete mir, dass sie sich in so einen Fehmarn-Punker verliebt hatte. Und den sahen wir dann am ersten Abend im Urlaub in der Disco und er knutschte mit einem anderen Mädchen. Ich bin danach sofort mit dem Fahrrad zurück nach Darmstadt gefahren, weil ich mir keine zwei Wochen Liebeskummer anhören konnte.

 

Crass „Punk Is Dead“

Crass war eine von 1977 bis 1984 aktive Anarcho-Punk-Band aus England, die ihr Engagement vor allem als direkt politisch verstanden – und erst in zweiter Linie musikalisch. Mit „Punk Is Dead“ kritisierten sie vor allem die ihrer Meinung nach zu kommerziellen Bands wie die Sex Pistols und The Clash.

H: Das ist was Altes. Sind das die UK Subs? Das ist durchaus der Sound, den ich früher gehört habe.

Nee, das sind Crass, die Anarcho-Kommunen-Punkband aus England um Steve Ignorant. Sie verweigerten sich komplett der Musikindustrie und bei den Proben stand es jedem frei mitzuspielen, ganz gleich, ob er ein Instrument spielen konnte oder nicht. Wäre das auch ein Ansatz für Euch?

F: Nee, eher net. Wir jammen ja noch nicht mal.

P: Nee … auch wenn’s vielleicht paradox klingt, aber ich hab beim Proben lieber meine Ruhe. Da ist es mir schon zu viel, wenn nur mal jemand reinkommt und „hallo“ sagt.

H: Bei uns steht die Musik im Vordergrund.

P: Wobei: Die Entscheidung, dass die Fans die Preise selbst bestimmen dürfen, war vielleicht unsere erste bewusste politische Entscheidung als Band.

F: Wir haben eher eine „Lebensagenda“!

 

Wer kennt es nicht, das „Keine-Macht-für-Niemand“-Deutschrock-Kollektiv? Nach einer finanziell desaströsen Tour, von der später ironischerweise drei Live-Mitschnitte und eine DVD erschienen, löste sich die Combo um Rio Reiser auf.

Heiko [singt sogleich mit]: Das sind Ton Steine Scherben, der „Rauch-Haus-Song“ … „Das! Ist! Unser Haus!“ Die hab ich als Platte. Die kam in so einer Art Pizza-Karton. Und bei einem ganz kleinen Teil der Erstauflage war auch noch eine Zwille beigelegt, um die Staatsmacht zu provozieren. Eine dieser Platten wurde vor Kurzem für sündhaft viel Geld bei Ebay versteigert…

Das ist dann ja wohl der Beweis, dass der Kapitalismus am Ende immer siegt.

H: Tja, die Revolution frisst ihre Kinder …

P [hüstelt]: Ich bin mehr so der Kommerzielle in der Band, ich mag ja eher Rio Reisers Solo-Sachen.

Die Scherben lösten sich übrigens 1985 nach einer eigentlich erfolgreichen Tour auf. Aber die Band hatte hohe Schulden, weil sie die Eintrittsgelder zu niedrig angesetzt hatte. Versteht Ihr nun, warum ich Euch diese Band vorspielen musste?

F: Ja, aber das kann man nicht vergleichen: Wollten die denn davon leben oder wollten sie einfach nur Musik machen?

P: Und überhaupt: Wie ist diese Kalkulation entstanden?

F: Uns ist das noch nie passiert. Wir haben noch nie Geldschwierigkeiten gehabt, nie einen Kredit aufgenommen, sondern mit dem gearbeitet, was wir uns erspielt hatten.

P [überlegt]: Aber Musik-Profis müssen natürlich auch ihr Equipment als Kosten sehen und erspielen. Das müssen wir nicht. Bei uns ist es eher das Hobby.

F: Aber Hobby klingt so abwertend … Wir stecken doch genauso viel Herzblut rein. In Deutschland ist die Sichtweise aber eher so: Die einen verdienen Geld, das sind Künstler. Die anderen verdienen kein Geld, das sind keine. Aber es gibt auch viele Künstler, die verdienen kein Geld, machen aber richtig gute Kunst. Und das ist doch die Frage: Hat das künstlerischen Bestand, hört man das auch noch in 20 Jahren?

P: Für mich ist das kein Kriterium.

F: Und was ist mit den Beatles?

P: Vielleicht erinnert man sich an die nur, weil sie so unglaublich viele Platten verkauft haben. Und in Deinem Nachbarsgarten macht vielleicht jemand unglaublich tolle Skulpturen, aber die sieht nie jemand!

H: Aber es gibt auch Gegenbeispiele wie Nick Drake, der zu Lebzeiten völlig verkannt war und erst lange nach seinem Tod entdeckt wurde. Durch eine VW-Reklame!

P: … oder Miroslav Klose, der bis 24 nur in der Kreisklasse Fußball gespielt hat.

 

Ein New-Wave-Dancefloor-Klassiker der Joy-Division-Nachfolge-Band aus Manchester. Er kam die Urheber teuer zu stehen …

H: Ah, das kennt man doch! Ist das New Order? „How Does It Feel“?

Fast. Der Song heißt „Blue Monday“. Die Legende besagt, dass die Band 1983 gemeinsam mit ihrem Label Factory entschied, den Song, den es nur auf Maxi-Single gab, in einem Cover zu veröffentlichen, das wie eine Floppy-Disc gestaltet war, inklusive teurer Ausstanzungen. Dadurch waren die Produktionskosten letztlich ein paar Pence teurer als der Verkaufspreis. Die Band dachte sich, dass sie ein paar Tausend Exemplare verkaufen würde und die Differenz verkraften könnte. Es wurde aber die bestverkaufteste Maxi-Single aller Zeiten … in späteren Auflagen wurde der Spaß mit der Ausstanzung folglich weggelassen.

P: Das ist doch ein geiles Beispiel dafür, wie gute Ideen ausgebremst werden.

Wobei New Order bei einem idealistischen Indie-Label waren, nicht bei der Industrie, und dadurch einen fairen Deal hatten.

F: Aber was sind schon faire Deals? Bezüglich Schallplatten ist das Thema eh durch, denn damit verdient man heute kaum Geld, also ist das für die Industrie irrelevant.

P: Aber es ist eine gute Geschichte…

H: … und ein guter Song, auch wenn ich mit der Musikrichtung ansonsten nicht viel anfangen kann.

 

Ein früher Vorläufer dessen, was man später als Euro-Trash bezeichnen sollte … das gab es also auch schon 1988, sogar in Österreich!

F [sofort]: Das ist Edelweiss … ich hab das geliebt, dieses Lied: „Bring Me Edelweiss“! Das lief im Radio rauf und runter.

Kann es sein, dass das das erste Lied ist, das Du erkannt hast heute? Edelweiss passt übrigens auch gut zu den Idealisten-Bands, die bisher vorgespielt wurden: Ein Freund hat mir mal erzählt, der Sänger von Edelweiss habe Suizid begangen und in seinem Abschiedsbrief verkündet, dass sein ganzes Hab und Gut an die Fans gehen soll. Ich fand allerdings keine Belege dafür im Netz. Anscheinend erfreuen sich alle von Edelweiss bester Gesundheit; der einzige, dessen Wege nicht ergründet werden konnten, war der Toaster Big Bad Busy Bee …

P: Wenn wir das auch machen, wäre es interessant zu sehen, wer da kommt … Aber mal zum Song: Ich find ihn jetzt sogar noch besser, als ich ihn damals fand.

F: Ich hatte sogar die Single seinerzeit!

P: Aber was mich interessieren würde: Was macht Dich zu einem „Edelweiss“-Fan? War das eine Band? Trug jemand Band-T-Shirts von denen?

Heiko [skeptisch]: Heiße Nummer jedenfalls …

F: Romantik hoch drei: „If you really love me, bring me Edelweiss!“

Und von wem ist der Refrain geklaut?

H: Ist doch klar: Abba! „SOS“! -> LINK FÜR ONLINE: https://www.youtube.com/watch?v=cvChjHcABPA

 

Dieser Song einer Münchner Leopoldstraßen-Kommune von 1969 hat einem ganzen Genre einen Namen gegeben: dem Krautrock. Und auf Youtube hat er bisher sage und schreibe 14 (!) Aufrufe …

P: The Cramps? Klingt so, ist es aber nicht …

H: Dieser archaische Rhythmus spricht mich an. Ich mag so anarchisches Rumgedängel und Gejamme, hab ich früher mit dem Jens Engemann [Ex-Schlagzeuger der Woog Riots, langjähriger Krone-Resident-DJ, P-Anzeigen-Checker und führender Vertreter des Lilien-Fanclubs „Cestonaros Erben“] viel gemacht. Hat was von dem Guru-Guru-Typen und seinem Finkenbach Festival, so krautrockmäßig.

Damit liegt Ihr gar nicht so verkehrt.

F: Can?

H: Ash Ra Tempel?

Auch mit A.

H: Amon Düül?

Richtig. Die 1967 gegründete Kommunen-Band spaltete sich übrigens schon bald in Amon Düül 1 und 2 auf. Eine Fraktion nahm jeden auf, der Musik machen wollte, die andere, Amon Düül 2, legte Wert auf musikalisches Können. Fun Fact am Rande: Bei Amon Düül 2 spielte später auch Stefan Zauner mit, der spätere Sänger der Münchener Freiheit.

F: Münchener Freiheit, die hatten auch so einen Song, auf den ich total gestanden habe als Kind: „Ohne Dich“! Ich seh mich noch bei meinem Opa vorm Radio stehen.

Das hast Du dann wohl immer im Wechsel mit Edelweiss gehört …?

P: Ich hab‘ eher Truck Stop gehört!

F: Die fand ich auch gut – „Ich möchte so gern Dave Dudley hör’n“ …

Im Folgenden werden neben Truck Stops großem Hit lautstark noch weitere Evergreens von Klaus Lage, Hans Hartz sowie die Intro-Melodie einer Aerobic-Instruktions-Platte intoniert.

 

Die Punk-Pioniere mit einer Anti-Reagan-Hymne aus dem Jahr 1984. Der erzkonservative Gitarrist Johnny soll den Song gehasst haben …

H: Auch wieder 80er!

P und F [gleichzeitig]: Ramones!

F: Das ist „Bonzo Goes To Biburg“. Ich kenn‘ die ganzen Sachen, ich bin ein großer Ramones-Fan!

Im Gegensatz zu den bisher gehörten, unkommerziell denkenden Idealisten-Bands waren die Ramones ja eine Karriere-Band. Sie konnten sich über einen langen, langen Zeitraum gar nicht leiden, blieben aber wegen der Kohle zusammen.

F: Ja, der Gitarrist Johnny hat dem Sänger Joey relativ früh die Freundin ausgespannt und sie sogar geheiratet. Danach haben die beiden Köpfe der Band nicht mehr miteinander geredet, aber noch 20 Jahren miteinander Musik gemacht. Da kam auch kein Scheiß‘ raus … selbst das letzte Album war grandios gut.

Die Band blieb also nur zusammen, weil sie so ihr Geld verdient hat …

P: Und trotzdem: Alle sagen, bei den Ramones sind live selbst ganz am Ende immer die Funken gesprüht.

F: Ich hab sie dreimal live gesehen. Manchmal dauerte eine Show in der Spätphase nur 45 Minuten und Joey war fix und fertig … aber in der Zeit haben sie auch 25 Songs gespielt!

P: Aber das mit dem Einander-Ignorieren würde ich gern sehen, wie hat man sich das vorzustellen? Der Sänger und der Gitarrist reden nicht miteinander. Gehen die dann auch nicht durch dieselbe Tür aus dem Backstageraum raus?

H: Wird bestimmt bald verfilmt. Mir hat übrigens auch mal ein Bassist die Freundin ausgespannt. Mit der Band ging es dann noch ‘ne Weile gut, aber net lang …

Habt Ihr noch eine abschließende Message an die P-Leser?

F: Lest mehr P! Ich find, das ist ’ne gute Zeitung, die öfter auch was Neues ausprobiert … und nicht so festgefahren.

H: Und lasst Euch auf die neuen Musiktipps dort ein …

F: … weil’s einfach um gute Musik geht.

Das habt Ihr schön gesagt. Wir sehen uns Mitte Juni im Künstlerkeller!

 

Immergrün live!

Das Beste aus 16 Jahren Bandgeschichte – und „auch einige neue Lieder“:

Künstlerkeller (Keller-Klub im Schloss) | Sa, 15.06. | 20 Uhr | Eintritt: Zahle nach Gusto!

Win! Win! Das P verlost 3 LPs „Jeder andere ein Held“. Einfach eine Mail mit dem Betreff „Mama Düül und ihre Sauerkrautband spielt auf“ an verlosung@p-verlag.de schreiben. Wer den Betreff falsch schreibt, kriegt nur einen Aufkleber!

www.grünimmer.de