Foto: SV Darmstadt 98
Foto: SV Darmstadt 98

Mainz hat eine Eugen-Salomon-Straße, benannt nach dem in Auschwitz ermordeten jüdischen Gründer des 1. FSV Mainz 05. Der FC Bayern München setzt sich für die Umbenennung des Platzes vor der „Allianz Arena“ in Kurt-Landauer-Platz zu Ehren seines früheren jüdischen Präsidenten ein. In Darmstadt erinnert bisher nichts an den jüdischen Lilien-Präsidenten Karl Heß – das soll sich nun ändern.

Karl Heß, geboren am 15. Januar 1900 in Darmstadt, war Rechtsanwalt und fußballbegeistert. Seit 1924 fungierte er als stellvertretender Vorsitzender, von 1928 bis zum Machtantritt der Nazis 1933 dann als Vereinsvorsitzender des SV Darmstadt 98. Nachdem die Nazis in Deutschland die Macht übernommen hatten, wurde Heß als Jude ein Berufsverbot erteilt. Ob er zu jener Zeit den Vorsitz der „Lilien“ freiwillig aufgab oder dazu gedrängt wurde, ist nicht klar. Der SV 98 jedenfalls würdigte noch im April 1933 Heß in der Mitgliederzeitschrift. Dieses Bekenntnis zum jüdischen Ex-Präsidenten war zu jener Zeit keine Selbstverständlichkeit.

In der Nazi-Hochburg Darmstadt sah Heß für sich keine Zukunft und floh im Sommer 1933 zunächst nach Frankreich, dann weiter nach Brasilien. Erst 22 Jahre später kehrte er in seine Heimatstadt zurück und lebte ab 1963 für zehn Jahre wieder dauerhaft am Woog. Seinen Lebensabend verbrachte Heß schließlich bei seiner Familie in Brasilien, wo er im Alter von 75 Jahren verstarb.

Der Förderverein Liberale Synagoge Darmstadt e. V. (FLS) möchte nun an diese wichtige Figur in der Geschichte der „Lilien“ erinnern. Zu diesem Zweck hat der FLS Anfang des Jahres einen Aufruf gestartet, der die Umbenennung des Platzes vor dem Böllenfalltorstadion in Karl-Heß-Platz zum Ziel hat. Der Grund für die Umbenennung ist für Martin Frenzel, den Vorsitzenden des Vereins, klar: „Ein solcher Karl-Heß-Platz stünde einem geschichtsbewussten, weltoffen-liberalen und toleranten Darmstadt heute und in Zukunft ebenso gut zu Gesicht wie der Sportstadt und dem SV Darmstadt 98.“

Neben dem neuen Namen soll – ähnlich wie bereits im Wolfkehlschen Park – eine Gedenktafel angebracht werden, die über das Leben und Wirken von Karl Heß informiert. In einem ersten Schritt werden Unterschriften und Spenden gesammelt, im Sommer dieses Jahres sollen zudem Gespräche mit dem Verein und der Stadt geführt werden. Ein Herzensanliegen von Frenzel ist es, prominente Sportler zu gewinnen, die das Anliegen unterstützen. „Es wäre schön, wenn Bruno Labbadia und Co. mitmachen“, schiebt Frenzel nach.

Der finanzielle Aufwand für eine Gedenktafel ist dabei nicht unerheblich, rund 3.000 Euro würde sie kosten, schätzt Frenzel. Auch kleine Spenden würden hier schon helfen. Zunächst gilt es aber, die Biografie von Heß aufzuarbeiten. Denn bisher sind nur Bruchstücke bekannt. Der Förderverein ist für Hinweise, Informationen, Zeitzeugen und Kontakte zur Familie dankbar. Im Sommer wird sich Frenzel mit seinen Vereinskollegen auch in die Archive begeben, um noch mehr herauszufinden.

Anschließend kommen die Gespräche mit Vereinsverantwortlichen, mit der Stadt und schließlich soll auch die Öffentlichkeit stärker eingebunden werden: „Wir planen ein Zeitzeugen-Podium im Herbst 2015 und ich widme mich Karl Heß auch in meiner Bildvortragsreihe ‚Vergessene Darmstädter Juden‘ im November 2015“, erläutert der Vereinsvorsitzende. Frenzel ist optimistisch, dass er und der Förderverein das Vorhaben in einem überschaubaren Zeitrahmen umsetzen können. „Wenn alles gut geht und wir genügend Unterstützer finden, könnte die Vision Karl-Heß-Platz im November 2016 Wirklichkeit werden.“

Doch bis dahin ist noch ein weiter Weg – und viel Arbeit zu erledigen. Die Stadt Darmstadt hebt in ihrer Antwort auf eine Nachfrage des P zwar die Verdienste von Heß hervor und erachtet eine Ehrung als folgerichtig. Festlegen will man sich aber nicht und verweist stattdessen auf den administrativen Prozess. „Über eine eventuelle Umbenennung entscheidet dann der Magistrat auf der Basis eines Vorschlags des Beirats für Straßenbenennung“, heißt es seitens der Pressestelle.

Auch der SV 98 wagt sich noch nicht aus der Deckung. Zwar begrüße der Verein das Vorhaben, den Platz vor dem Böllenfalltor in Karl-Heß-Platz umzubenennen, erklärt Pressesprecher Tom Lucka, aber ob sich der Verein aktiv dafür einsetzt oder sich finanziell beteiligt, lässt er sich nicht entlocken. Die öffentlichkeitswirksame Unterstützung durch den erfolgreichen Verein, der Karl Heß so sehr am Herzen lag, würde dem Unterfangen von Martin Frenzel und dem Förderverein sicherlich gut tun – und auch für die „Lilien“ sprechen.

 

Update 05.11.2015:

Nachdem wir im Juni 2015 über Karl Hess, seine Geschichte bei den „Lilien “ und das Vorhaben des Fördervereins Liberale Synagoge (FLS) berichteten stimmte jetzt der Vorstand des SV Darmstadt 98 zu: Darmstadt bekommt einen Karl Hess-Platz! In Zeiten allgemeiner Fußball-Euphorie setzt der Verein auch ein klares Zeichen des Erinnerns an einen Wegbereiter unserer Lilien. Hier die Pressemitteilung der Initiatoren:

Der Förderverein Liberale Synagoge Darmstadt e.V. hat gestern eine sehr positive Nachricht erhalten: Demnach unterstützt der Vorstand des SV Darmstadt 98 einstimmig (!) die Idee und Initiative des Fördervereins Liberale Synagoge, vorm Merck-Stadion am Böllenfalltor einen Karl Hess-Platz im November 2016 mit Gedenktafel einzuweihen. Damit will der Förderverein Liberale Synagoge den heute weitgehend vergessenen Lilien-Präsidenten, Deutschen jüdischen Glaubens und Rechtsanwalt Dr. Karl Hess (1900 – 1975) in angemessener Form ehren. Wörtlich heißt es in der Info seitens des SV Darmstadt 98 an den Förderverein: „Das Präsidium des SV Darmstadt 98 hat zwischenzeitlich einstimmig beschlossen, Ihre Initiative zu unterstützen.“

„Wir freuen uns sehr über dieses positive Signal des Lilien-Vorstand um Klaus-Rüdiger Fritsch, das gibt uns starken Rückenwind für unsere ‚Darmstadt braucht einen Karl-Hess-Platz vorm Merck-Stadion am Böllenfalltor November 2016“-FLS-Kampagne des Fördervereins Liberale Synagoge“, so dazu der Vorsitzende des Fördervereins Liberale Synagoge, Martin Frenzel. Und weiter: „Wir freuen uns sehr über diesen starken Bündnispartner in der Frage Karl Hess-Platz“.

Man wolle mit der Benennung des Platzes vorm Stadion und dazugehörigen Gedenktafel in Sachen Karl Hess einen Beitrag gegen das Vergessen leisten. „Zukunft braucht Erinnerung gilt auch und gerade für die Sportgeschichte unserer Stadt“, so Martin Frenzel weiter. Mehr noch: „Im Falle Karl Hess gelte ausnahmsweise der Grundsatz: Vom FC Bayern München und Mainz 05 lernen, heißt siegen lernen!“. So hätten diese beiden Fußballvereine ihre deutsch-jüdischen Präsidenten Karl Landauer und Eugen Salomon in vorbildlicher Manier geehrt. Ziel sei es, so der Förderverein Liberale Synagoge weiter, den Karl Hess-Platz vorm Merck-Stadion am Böllenfalltor mit einer Gedenktafel am Freitag, 4. November 2016, im Vorfeld des 78. Jahrestags der Darmstädter Novemberpogrome von 1938 einzuweihen.

Bereits am Dienstag, 17. November 2015, 19.30 Uhr informiert der Historiker, Buchautor und FLS-Vorsitzende Martin Frenzel im Justus-Liebig-Haus in seiner Vortragsreihe „Vergessene Darmstädter Juden“ in einem Bildvortrag auch und gerade über den vergessenen SV Darmstadt 98-Präsidenten Dr. Karl Hess (1900-1975). Der FLS-Infoabend findet im Wintergarten, 1.Stock , des Liebighauses statt, Eintritt 5 Euro, Beginn 19.30 Uhr.

Zudem bittet der Förderverein Liberale Synagoge Darmstadt e.V. alle Bürgerinnen und Bürger, die Karl Hess kannten oder etwas über ihn wissen, sich zu melden. „Insbesondere suchen wir Fotos von Karl Hess“.

Mehr Infos per E-Mail: martin.frenzel@liberale-synagoge-darmstadt.de