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Foto: Jan Ehlers

Linus Volkmann ist Autor, Fanzine-Macher, Kommunikator und stellvertretender Chefredakteur des Musikmagazins Intro. Er lebt in Köln, hat aber als Jungspund ein paar Jahre in Darmstadt verbracht (1993 bis 1995) und dort in der Fanzine- und Musikszene mitgemischt. Beim Wohnzimmerkonzert von Sea & Air Anfang März liest er in der altehrwürdigen Oetinger Villa vor – gute Gelegenheit, ihm mal ein paar Fragen zu stellen. Als wir zusammen den Backstage-Raum der Villa betreten, fällt ihm ein, dass er hier vor rund 20 Jahren sein erstes Interview geführt hat. Verrückt.

P-Magazin: So, jetzt bist Du wieder hier in der Oetinger Villa. Nach so vielen Jahren. Wie fühlt sich das an, bist Du ein bisschen melancholisch?

Linus: Na ja, ich hatte immer mal wieder Veranstaltungen in Darmstadt und habe hier auch noch Freunde. Deshalb ist der Kontakt nie abgerissen. Aber als ich vorhin am Bahnhof ankam – ich bin sonst immer mit anderen Verkehrsmitteln gekommen – hab ich schon gestaunt. Weil ich Darmstadt noch hässlicher in Erinnerung hatte und dachte: Ist ja fast lebenswert mittlerweile. Kommt mir das nur so vor – aus Altersmilde – oder ist es tatsächlich … äh … etwas schöner, wenn man nicht mehr hier wohnt?

Und jetzt hier backstage zu sein, fördert auch keine Melancholie oder „Zum Glück bin ich hier weg“ oder was?

Hier hatte ich mein erstes Interview, mit The Lost Lyrics, die Band gibt’s glaub ich nicht mehr. Meine Freundin hat damals im Karlshof gewohnt und danach gab’s irgendwie Stress, weil ich hier so lang bei dem Interview war und der ganze Emo-Trouble, den man auch aus dem Privatfernsehen kennt … das kommt hier schon wieder ein bisschen hoch.

Du hast ja hier in Darmstadt ein Fanzine gemacht: „Spielhölle“. Da warst Du recht provokant unterwegs.

Na ja, provokant [ziert sich] … oder prätentiös. Das war damals eben eine wichtige Pose für mich. Wenn ich das jetzt lese, denke ich: Oh je, oh je, was fürn eingebildeter Stuss.

Aber dadurch hast Du doch auch Sachen angestoßen?

[lacht] Im Kleinen. Also ich wollte damals unbedingt von zu Hause weg. Und bin dann nach Darmstadt, zum Studieren. Ich hab mir die Haare lang wachsen lassen, und dachte, die TU Darmstadt wäre so ne linksradikale Kaderschmiede und wenn man studiert, geht die Revolution los.

Und warst dann ein bisschen enttäuscht.

Ja. Obwohl: Es war auch sehr aufregend. Ich hab die Uni gar nicht verstanden, was man da machen muss. Ich hab mich so eingeschüchtert gefühlt und klar, es waren nicht die 68er, aber in meiner Welt schon irgendwie. Dann machte ich eben dieses Fanzine – und in den Neunzigern war es ja auch noch viel wichtiger, Teil dieser alternativen Szene zu sein. Da gab’s noch besetzte Häuser und es gab noch eine Subkultur, die nicht vermarktet war. Es gab wirklich noch Szenen abseits vom Mainstream, in denen was passierte.

Hast Du das Gefühl, dass es das heute nicht mehr gibt?

Öhm, neee, das gibt’s in der Form nicht mehr. Die Repräsentation von Subkultur ist durch das Internet so mannigfaltig geworden – was ja auch positiv ist – aber es ist in dem Moment keine Subkultur mehr. Jeder Gag ist schon out, bevor er jemanden erreicht hat. Und vor dem Internet waren Fanzines ja nicht nur Unterhaltung, sondern Informationsmedium. Es gab das „Zap“, so ein großes Hardcore-Fanzine, und da sah man dann, welche Hardcore-Bands aus Amerika hier touren und was so los ist. Also so eine Art Geheimwissen, eine Art Gegenwelt. Das hab ich in der Subkultur auch immer sehr geschätzt. Und in Darmstadt war ich dann eben Teil davon und fand das auch super – hatte aber nach zweieinhalb oder drei Jahren, als ich dann weg bin, das Gefühl, es ist ausgereizt. Da gab’s dann halt n paar coole Bands, Dead Beat oder Narsaak, weiß nicht, ob du die kennst, es gab hier schon ne Szene. Aber die haben dann so ’n bisschen ihr Ding gemacht.

Du hast mal irgendwo geschrieben: Mit Blogs, Fanzines etc. kann man Lebensraum gestalten. Hast Du das Gefühl, jetzt wo Du Dich den 40 annäherst, dass Du ein bisschen den Biss verlierst?

Hm, also das hab ich immer gehasst, auch an Bands: Wenn man merkte, dass die späteren Sachen eher schick werden. Deshalb ist es auch so eine Selbstverbesserungssicht, dass ich immer denke: Oh Gott, man darf bloß nicht nachlassen. Als ich angefangen habe, dachte ich allerdings, es gäbe wirklich die Möglichkeit, eine Gegenkultur zu etablieren und was ganz tolles Eigenes zu machen. Mit eigenen Regeln, eigener Moral. Daran glaub ich halt jetzt nicht mehr. Und deshalb möchte ich nur im Rahmen dessen, was ich noch gestalten kann, ein Refugium bieten. Für Leute, die eben auch antisexistisch, antirassistisch arbeiten und ihren Alltag gestalten wollen. Und die das nicht repräsentiert sehen im Mainstream oder im Leben draußen – also sucht man sich eine Szene, in der man das anders machen kann und das ist dann halt so ein bisschen die eigene Waffe. Und der eigene Anreiz.

Was glaubst Du, warum so vielen Leuten so vieles egal ist?

Es gibt auch heute eine Klientel, die einfach was anstößt und auf irgendwas Bock hat – natürlich unter anderen Rahmenbedingungen – und es gibt Idioten oder Leute, die nix merken, das war ja schon immer so. Wir dachten ja früher auch: Boah, alle werden Bankkaufmann um mich rum.

Du bist jetzt bei der Intro – wie viel Zeit bleibt Dir eigentlich noch für deine Sachen? Hast Du einen Fulltime-Job?

Ja, ich hab schon eine Art Fulltime-Job. Aber ich habe nicht fünf Tage Präsenz, bin nur drei Tage die Woche im Büro und kann deshalb noch n bisschen …

… Deine anderen Sachen machen …

Ja, es ist natürlich anstrengend. Also …

… vor allen Dingen, wenn man älter wird …

Ja, die Sauferei, das ist schon sehr anstrengend, die dann im Alter wieder abzugleichen … [kippt sich den zweiten Jägermeister in seine Afri-Cola]

Erzähl mal was von der „Schinken-Omi“, Deinem aktuellen Fanzine.

[lacht] Also das Fanzinemachen hat mir wirklich wahnsinnig viel Spaß gemacht und das war sehr identitätsstiftend, was ich damals in Darmstadt gemacht hatte. Und dann hab ich das halt professionalisiert, verdiene heute quasi mein Geld damit. Die Intro hat ne hohe Auflage, um die 130.000, das ist schon irgendwie toll. Aber es ist natürlich auch ein sehr formaler Ort. Also, es ist klar, wie eine Plattenkritik aussieht und wie man über ne Band spricht – und da ist natürlich wenig Platz, mal auszubrechen. Und dann irgendwann dachte ich mit einem Kollegen: Mann ey, das soll mal SO aussehen, und warum können wir nicht DAS schreiben, ach, machen wir doch mal wieder ein Fanzine.

In Deinem Intro-Profil steht bei Interessen: Klassenkampf, Neo-Liberalismus, Hass, Nagetiere, Salat, Spuk, Distanz. Was ist so interessant an Salat?

[lacht] Ich ernähre mich ja fleischlos oder tierproduktfrei, auch vegan, und das ist quasi die Entsprechung dazu.

Was interessiert Dich überhaupt nicht?

Das weiß ich zufällig: Autos. Also Autos. Und leider auch Technik allgemein.

Ja, sonst hättste mir vorhin auch helfen können (mit der Tonaufnahme)….

Also da schalt ich immer ab … da denk ich immer so…

… können ja auch andere machen.

Es ist ja auch so! Können ja auch andere machen, warum soll ich dann noch hintendran aufholen? Deshalb bin ich halt einfach total abgehängt bei Technik.

Du hast mal gesagt: Alles, was peinlich sein kann, ist ein sehr starker Impuls. Kannst Du das heute noch so unterschreiben?

Auf jeden Fall. Das denk ich auch immer, wenn ich auf der Bühne bin – was ja für mich eine unangenehme Situation ist. Ich versuche jegliche Peinlichkeiten nicht zu vermeiden. Weil ich immer davon ausgehe, dass Peinlichkeit etwas ist, was auch das Publikum spürt. Weil es so ein starkes Gefühl ist. Es kann also nichts peinlich genug sein, denn dadurch entsteht schon was …

… eine gewisse Sympathie?

Eben. Ich bin mir da eigentlich für nichts zu schade. Und in den Texten ist das natürlich auch so. Denn es ist ja nichts ungeiler, als wenn Leute immer versuchen, in Texten oder auf Bühnen so souverän rüber zu kommen und einen zu überzeugen, wie geil sie sind. Dafür bin ich ja nicht in Punk gegangen, damit irgendjemand mir sagt, wie geil er ist. Wir möchten natürlich diese ganzen Deformationen, die wir mit uns rumtragen, auch gespiegelt bekommen und … das biete ich an.

Noch eine Frage, die Du selbst früher bei Interviews gestellt hast: Band-T-Shirts – trägst Du welche?

Ja, durch den Job bekomme ich ja immer Merchandise und das trag ich auch.

Nachts im Bett?

Ja, zum Schlafen. Aber meinen Räuberhöhle-Kapuzenpulli hab ich mir sogar bestellt. Den trag ich gerne.

Also Du bezahlst auch Geld dafür?

Da muss ich ja nix bezahlen. Aber ich hätte bezahlt. Ich kauf mir schon auch selber Sachen. Ich hatte mal so einen Slime-Pulli, den hab ich mir auch selber bestellt.

Wie findest Du die neue Platte von Slime?

Ich lese ja grade das Buch über Slime. Die neue Platte, na ja, das ist halt so Thekenmusik. Man hätte es sich wirklich schlimmer vorstellen können. Die hatten ja vorher mit Rubber-Slime so eine Re-Union, zusammen mit Rubbermaids, und das war wirklich scheiße. Das Neue da, mit ihren Erich-Mühsam-Texten und so, das winke ich noch durch.

Also bist Du tatsächlich etwas milder geworden?

Nein! Aber bei vielen Musikredakteuren wird es wahnsinnig schnell geschmäcklerisch. Alle wissen es dann immer besser und, hach, jetzt hat er die Platte raus, jetzt find ich’s schon nicht mehr gut, bei den ersten zwei EPs war’s ja noch interessant. Und das ist so eine Attitüde, so ein Musikredakteursding und so ein Männerding. Also diese ganzen Männerchecker, wenn sie über Musik reden und sich über Musik definieren, das fand ich persönlich immer abstoßend. Deshalb gebe ich mich gerne so weit offen dahingehend. Und hör auch jeden Scheiß. Ich hör auch noch Culture Beat, wenn Mister Vain kommt. Wo jeder andere denkt: Oh Gott, damit sieht er schlecht aus, sage ich: Ist mir egal.

Dir ist halt nix peinlich…

Ja, doch schon. Ich möchte ja nicht rüberkommen wie so ne Art Karnevalstyp. Mir ist schon sehr wichtig, was gehört wird und was nicht gehört wird. Aber ich finde es wichtig, dass man sich nicht nur darüber definiert.