Fotos: Antje Herden
Foto: Antje Herden

Es heißt, er sei „Made in Darmstadt“, der sonnenuntergang-rote Drink namens „Spritz“, den so mancher Darmstädter auch schon kurz nach Sonnenaufgang zum Beispiel im Minicafé zu sich nimmt.

Man nehme zwei Drittel eines trockenen Weißweins, ein Drittel Mineralwasser, Eiswürfel sowie einen Schuss Campari und garniert das (nicht zu kleine) Glas mit einer Zitronenscheibe. „Spritz“ ist der Name für diesen Aperitif, den Darmstädter gerne als lokale Erfindung preisen, ohne genau definieren zu können, ob es das Getränk als solches, seine Mischung oder lediglich die Schreibweise des Namens ist, die in Heiner-City erfunden worden sein soll. Eine „Spritztour“ durch Darmstadt lüftet das Geheimnis um das Getränk und seinen vermeintlichen Kultstatus.

Eine Patenturkunde mit der Bezeichnung „Spriz“ hängt stolz gerahmt im Pino‘s in Bessungen, in der Getränkekarte schreibt es sich „Spritz“ – und überhaupt fragt man sich, was genau hier patentiert worden sein soll. „Ich habe den Spritz bereits Anfang der Achtziger im Minicafé kennengelernt, die echten Fans trinken es mit Campari, während seit 15 Jahren auch wahlweise das weniger alkoholhaltige Apérol gewählt wird“, berichtet der erfahrene Centralstation-Barkeeper Pascal Angelbeck, während er mein Spritz Apérol mit einer Orange garniert, wie es sich für die „süßere“ Variante gehört. Im „San Remo“ in der Grafenstraße muss ich nur den Finger heben und schon knallt mir der Kellner mein zweites und drittes Spritz, kalt und frisch, aber ganz undekoriert im Weinglas, auf den Tisch.

Das Getränk bestellen Männer wie Frauen gleichermaßen, ergeben meine Recherchen, wenngleich es eher ein Ü25-Getränk ist, quasi das „Wodka Red Bull für Alte“. Die Suche nach dem Anteil Darmstadt in diesem Drink gestaltet sich jedoch zäh. Stefan Zitzmann, der die urbanste Cocktailbar Darmstadts zwischen Sonnenunter- und -aufgang, die Hillstreet American Bar No. 73 (in der Hügelstraße 73), betreibt, scheiterte vor zehn Jahren im italienischen Ferrara folgendermaßen an dem Versuch, die Darmstädter Erfindung in die Welt hinauszutragen: „In einer kleinen Bar vis a vis des Castello Estense, habe ich damals etwas umständlich ‚un bicchiere‘ mit ‚mezzo di vino bianco‘, ‚mezzo die aqua minerale‘ und einem ‚po´ Campari‘ bestellt, worauf die Kellnerin ganz trocken meinte: ‚Un Spritz!‘ Da ich eine ganz coole Sau bin, habe ich mir natürlich nicht anmerken lassen, dass ich bis in die Grundfesten erschüttert war – unser Regionalheiligtumgetränk!! – und habe sie ein bisschen dazu ausgefragt.“ Und schlussendlich erfuhr Zitzmann, dass den Spritz die Österreicher erfunden haben, die annähernd einhundert Jahre „Besatzungsmacht“ in Norditalien waren, bevor sie sich ab 1867 sukzessive aus der Region zurückzogen.

Auch die Spritz-Fanseiten in Facebook sind nicht hessisch, sondern italienisch. Aber: Auf die Mischung kommt es nunmal an! Während in Italien statt Mineralwasser oft Prosecco verwendet wird und nebst Zitrone auch eine Olive nicht fehlen darf, leuchtet in Darmstadts Cafés eher die puristischere Variante auf den Tischen. Während das Spritz in anderen (Groß-) Städten Deutschlands eher erst in den letzten Jahren zum Modegetränk wurde, ist es in Darmstadt längst etabliert, behauptet sich neben dem Grohe Bier und schlägt dem Odenwälder oder Frankfurter Äbbelwoi ein Schnippchen. Und wer weiß: In Zeiten der Rezession erlebt das Darmstädter Kultgetränk vielleicht noch eine zweite Karriere, handelt es sich doch um einen Aperitif, der in vielen Bars nicht teurer ist als ein Pils oder eine Bionade.

Vielleicht ist ja auch nur die Aussprache das einzig Darmstädtische dieses Getränks, is‘ mir aber eigentlich auch egal – ich bestell‘ mir lieber noch ein viertes „Schschpritz“.