Foto: Jan Ehlers

„Partyamt Print Premiere“ – diese drei Worte prangten auf dem Cover der allerersten Ausgabe des P Stadtkulturmagazins. Gemeinsam mit Cem Tevetoğlu, der heute noch federführend dabei ist, rief Martin Geelhaar vor zwölf Jahren das P ins Leben. Und das wäre nicht möglich gewesen, hätte es als Basis nicht die beste, beliebteste und übersichtlichste Darmstädter Kultur- und Party-Wegweiser-Website Partyamt.de gegeben, ebenfalls von Martin gegründet. Beim P blieb Martin nur eine Ausgabe lang an Bord (Genaueres dazu in der P-Ausgabe #128), doch beim Partyamt-Dampfer gibt er seit nunmehr 20 Jahren den Steuermann und Kapitän. 20 Jahre! Das muss man sich mal vorstellen! Mal schauen, ob er sich auch wirklich an alle Darmstädter Bands erinnert, die er in dieser Zeit angekündigt, veranstaltet, gehört und gesehen hat.

 

Kackophonia „Keine Startbahn West“

Eine Darmstädter Punklegende covert die andere: Kackophonia um unseren Fotografen Nouki und Basti Brückner covern für eine Tribute-LP 2006 die Arschgebuiden, die sich in den 80ern dem Anti-Startbahn-Protest angeschlossen hatten. Gemeinsamer Nenner der beiden Bands: der spätere Stadtverordnete Jörg Dillmann.

Martin [grinst in sich rein, dann plötzlich wie aus der Pistole geschossen]: Arschgebuiden?

So ähnlich. Das sind Kackophonia. Hier covern sie aber einen Arschgebuiden-Song.

Oh, fuck! Lang‘ nicht mehr gehört! Schöner Punk, das hat schon ’ne starke Energie. Ich muss aber gestehen: Ist bei mir jetzt nicht täglich auf dem Tablett …

Der Song stammt von einer Arschgebuiden-Tribute-LP namens „Noch eine Platte zum Bier“.

Die Original-„Platte zum Bier“ hab ich auch daheim.

Hast Du damals den Dillmann gewählt?

Ja, klar! Wann war das eigentlich?

Ich glaub 1993. [Als Kämpfer für die vernachlässigte Jugend und alternative Subkultur erhielt Jörg Dillmann bei der ersten Darmstädter Oberbürgermeister-Direktwahl beachtliche 3,9 Prozent.]

 

The Data Break „White Cat“

Die Elektro-Punker haben mit „Clap!“ 2005 ein für die Darmstädter Szene einzigartiges Debüt-Album rausgehauen. „White Cat“ stammt aus der Spätphase der Band und ist leider nie offiziell erschienen.

Martin [lächelt in sich rein und nickt mit]: Ach, das ist schon ’ne fiese Nummer … Sind das Data Break mit dem André Liegl und dem Lari Eiden?

Genau!

Ganz am Anfang bei dem leisen Plucker-Intro dacht‘ ich noch, es ist vielleicht Fnessnej oder so. Data Break mag ich sehr gern – das macht Laune, da hätte ich gern mitgemacht! Ich hab‘ sie leider nur einmal live gesehen, in der Oetinger Villa oder im Knabenschul-Keller.

Mädness „Arbeit/Urlaub“

Der „Original Gude“ dürfte mittlerweile auch über HipHop-Auskenner-Kreise hinaus bekannt sein: born in Eppertshausen, living in Berlin (mehr dazu in P-Ausgabe #118) … hier mit einem arbeitsphilosophischen Track aus seinem 2019er-Erfolgsalbum „OG“.

Martin [nickt mit und hört lange aufmerksam zu, dann unvermittelt]: Das ist Mädness, oder?

Ja, genau.

Am Anfang hab ich kurz an Manges gedacht … deshalb hab ich abgewartet. Also … ich bin sehr spät zum HipHop gekommen, aber inzwischen ist dieser Herrngarten-Jam am Aktivspielplatz eines meiner Lieblingsevents in Darmstadt. Ich konnte mich damit früher nie identifizieren, außer vielleicht mit den Beastie Boys. Aber Manges und Mädness haben mir die Augen geöffnet.

Und was sagst Du zum Thema des Songs? „Am Ende der Arbeit ist alles Urlaub, am Ende des Urlaubs ist alles Arbeit.“

Hmm … wir leben ja heute in einer Zeit, in der das stärker vermischt ist, aber ich bin durch meinen Hauptberuf und meinen „Nebenberuf Partyamt“ automatisch dazu gezwungen, das sehr stark zu trennen. Und wenn ich Urlaub hab‘, ist das Erste, was ich mache, das Handy wegzulegen. Denn eins ist sicher: Die besten Momente des Lebens sind offline.

 

Okta Logue „Diamonds And Despair“

Titelsong des 2016er Durchbruchsalbums des Darmstädter Psych-Quartetts.

Martin [beim sphärischen Intro]: Geht’s schon los oder ist das die Klospülung, harr harr? … Das kenn‘ ich auf jeden Fall: Okta Logue! Logisch … die mag ich auch sehr gerne.

Ist aber kein HipHop …!

Ja, klar. Aber: Die Band ist für mich berechtigterweise eine Erfolgsgeschichte. Ich hab‘ die mal unter dem alten Bandnamen Zaphire Oktalogue für die „Frischzelle“ [langjährige Mittwochs-Veranstaltungsreihe im Keller der Knabenschule] gebucht. Die neueste Platte ist nicht mehr so meins, die psychedelic-artigen Alben dagegen heben total meine Glücksgefühle! Das ist für mich absolute Urlaubsmusik. Ich hab mich mit Philip Meloi, dem Gitarristen, mal sehr lange über Musik unterhalten, über Jimi Hendrix und was weiß ich noch alles.

Soweit ich weiß, sind sie ja Imker. [Fast richtig. Robert Herz, der Schlagzeuger, ist der Imker hinter dem „Okta Gold“-Honig aus Griesheim, siehe P-Ausgabe #102]

Keine Ahnung, über so private Dinge haben wir nicht geredet.

 

Die Gobs „Ola Ina“

Die Gobs, ganz am Anfang noch mit dem Adjektiv „Incredible“ vorweg, waren in und um Darmstadt als Schrammel-Trio in den frühen 90ern sehr umtriebig. Hier ein Song von ihrem ersten und einzigen Album „Luz Sonido Demencia“ von 1994.

Martin [verzieht das Gesicht]: Es gab mal ’ne Band namens „Abenteuer Tierleben“. Die klangen so ähnlich … Vom Schlagzeug her klingt’s ein wenig hektisch … fast wie ’ne Schülerband.

Na, viel älter waren sie damals wohl nicht.

Ich glaub, ich muss passen.

Das sind die Gobs.

Natürlich, die Gobs, die Incredible Gobs! Jetzt kramst du aber in Zeiten, in denen ich mein Gedächtnis verloren habe …! Das war zu Zeiten meiner ersten Band … das ist 31 Jahre her! Es gab ja in Darmstadt mal so einen kleinen Gobs-Hype, das muss so um 89 gewesen sein. Ich hab mit meiner ersten Band, den Cabbage Heads, frei nach Helmut Kohl, mal mit denen in Messel in einer Garage gespielt. Nach drei Liedern von uns riefen die Leute „Wir wollen die Gobs!“. Aber wir haben natürlich weitergespielt – Rock’n’Roll, hähä!

 

Woog Riots „Uranus“

In gewisser Weise ist dieses Stück eine Auftragsarbeit, aber auch eine „labour of love“: Für den P-Sampler „In Darmstadt ist es prima“ haben vor zehn Jahren Darmstädter Musiker*innen Darmstädter Musiker*innen gecovert. In diesem Fall das Pop-Duo Woog Riots einen der großen Hits der Avantgarde-Exzentriker The Dass Sägebett.

Martin [singt beseelt mit]: „Uranus ist keine Nuss … man kann sie auch nicht KNAK- KEN!“ Ja, das ist das Sägebett. Den Song kenn‘ ich eigentlich nur in der Live-Version – wenn Hardy Zech immer so schreit, in der Krone … Das hier ist aber wohl ein Remix … von … weiß nicht … Don’t Can DJ oder so.

Nee, das ist eine eigene Version, von einem Darmstädter Duo.

Ach, sind das die Woog Riots? Das ist schon fast mutig. Ich find’s cool: Sie sind ja vom Sound her sonst eher bei diesem Lo-Fi-Ding angesiedelt. Aber der Song hier geht ja fast in Richtung Nena … featuring Westbam, haha!

 

Turbolenzia „Wie man lebt“

Kurzlebige, aber sehr quirlige und kreative Darmstädter „Indie-Supergroup“, die es tonträgertechnisch leider nur auf eine Demo-CD (2004 eingespielt) brachte – mit dem Partyamt-Begründer am Gesang!

Martin [schmachtend]: Ach, geil … der Sänger ist der Beste!!! Das war Turbolenzia, 2004 ungefähr … mit Aki Fresh an der Gitarre, Sebastian Brandt am Bass, Christian Groß am Schlagzeug und Evie Wonder am Keyboard. Das war eine meiner Herzensangelegenheiten. Auch schön, dass Du ausgerechnet diesen Song ausgesucht hast.

Warum gab’s von Euch nach einigen fulminanten Konzerten eigentlich nichts mehr zu hören?

Nun … jedes Projekt entsteht im Proberaum und bringt so auch seine Probleme mit sich: Wie ernst nimmt man das? Wo will man hin mit der Band? Aber egal: Wir hatten nicht viele Auftritte, aber das kreative Moment in dieser Band hat immer ’ne Menge Spaß gemacht!

… und ein paar Jahre später brachten Tocotronic das Album „Wie wir leben wollen“ raus – merkste was?

Klar! Daran sieht man: Diese Band hatte so was von Potenzial. Mich wundert, dass wir nicht … heute noch Superstars sind … haha!

 

Rookie „Hack My Mind“

Rooki ist das Solo-Projekt der umtriebigen Sängerin Nathalie Schäfer (mehr dazu in P-Ausgabe #121). Ihr Debüt-Album „Hooray for Today“ aus dem letzten Jahr, von dem dieser Song stammt, überzeugt durch eine fette und ausgefuchste Produktion … und viele Ukulele- und Kazoo-Einlagen!

Martin [lacht und stutzt]: Was ist das? Ach, das ist die Nathalie Schäfer – mit Nekta, oder? Ich kenne sie schon lange; sie hat auch bei meiner Band Los Caipirinhos ’ne Zeit lang gesungen.

Woran hast Du es erkannt? Am Kazoo-Solo?

Ja, auch … Rooki kenn‘ ich jetzt noch nicht, das ist ja auch relativ neu und ich glaube, die angekündigten Konzerte im Frühjahr fielen Corona zum Opfer [das Release-Konzert am 11. März fand gerade so noch statt – und war hammer!]. Aber das ist wahnsinnig gut produziert … klingt cool!

 

FNFN „Sadangel91 @ web.de“

Ach, hieß jetzt die Band Fnessnej und das Album FNFN oder war es andersrum? Auf jeden Fall hießen sie nie „Jens Senf“. Und eine Zeit lang waren Benni Bascom und seine Bande mit ihrem Frickel-Indie in aller Munde. Hier ein Hit aus ihrem 2013er-Album.

Martin [guckt ratlos aus der Wäsche]: Hmm …

Kleiner Tipp: Eine Darmstädter Band, die es nicht mehr gibt, die in einem Kollektiv zu Hause war und von der es viele Nebenprojekte gab und gibt.

Ist das vom Benni …? FNFN?

Stimmt genau!

Bei Fnessnej war ich noch eher dabei, bei diesem Math Pop. Die haben in Darmstadt neue Maßstäbe gesetzt … aber bei FNFN hab‘ ich dann so langsam ausgefaded … Ich hab Benni sogar neulich mal geschrieben, dass ich ihn in Darmstadt musikalisch sehr vermisse. Ich steh‘ ja auf solche zappaesken Sachen. Aber ich muss auch gestehen: Die erste Fnessnej-LP hab‘ ich wesentlich häufiger gehört. [Am nächsten Morgen bekomme ich per SMS die Nachricht, dass Martin nun die Wissenslücke schließt und zum Frühstück die FNFN-LP auflegt.]

Hast Du noch eine abschließende Botschaft an die P-Leser?

Ich find‘s schön, in Darmstadt zu leben. Mich freut das, hier zu leben und die kulturelle Vielfalt zu erleben: Es gibt so viele Kollektive und Vereine, die enthusiastisch an Kultur arbeiten. Aktuell wünsch‘ ich allen viel Kraft zum Durchhalten! Aber ich bin überzeugt, dass es hier weitergeht mit der Umtriebigkeit und dass immer wieder junge Leute nachrücken! Und wie damals Fred Hill schon anmerkte: „In Darmstadt ist es prima, besser wie in China.“

Wo wir schon dabei sind: Wie siehst Du die Entwicklung des Darmstädter Nacht-, Musik- und Kulturlebens in den letzten 20 Jahren seit Gründung des Partyamts?

Oh Gott … ich behaupte ja gern, dass früher mehr los war als heute. Aber die Anzahl der Events bestätigt das nicht. Ich kann mir vorstellen, dass die Veranstalter das heute professioneller machen als wir damals. Es sind immer mal wieder neue Orte dazugekommen: Room 106, die Klause, das Stella, heute der Osthang oder die „Gute Stube“. Und ich bin ja in 20 Jahren auch älter geworden, dadurch hat sich mein Blick verändert. Ich glaube, wir haben früher mehr Party gemacht, heute gibt es mehr in Richtung Poetry Slam, Kunst, junge Theaterformate … das ist vielleicht alles vielfältiger geworden. Früher war das eher getrennt: Die Krone und das Tanzen für die Jungen, die Hochkultur für die Erwachsenen …

Und wie sieht Deiner Meinung nach Darmstadts Veranstaltungskultur nach Corona aus?

Ach, Du Scheiße … ! Hmm … Ich hoffe und glaube, dass wir neue Wege finden, wie man feiert. Ich bin mal gespannt, ob es das Schlossgrabenfest noch geben wird. Ich glaube auch, „nach Corona“ ist auch „mit Corona“. Es wird nicht mehr so werden, wie es war. Ich glaube, dass es neuer Konzepte bedarf … damit jeder genug Platz und Freiraum bei Veranstaltungen hat.

Alles klar, Martin, vielen Dank für Deine Einschätzungen, bis in spätestens 20 Jahren zur nächsten Hörspiel-Runde … hat viel Spaß gemacht!

 

Partyamt und das P

Partyamt und das P sind Freunde und Brüder im Geiste – und für Darmstädter Veranstalter von doppeltem Nutzen: Alle Events, die bis 15. des Vormonats auf Partyamt.de eingetragen wurden, werden automatisch im Kalender des P Stadtkulturmagazins abgedruckt. In beiden Fällen kostenfrei, versteht sich.

partyamt.de