Es ist Donnerstag. Der Schlosskeller ist fast so leer wie mein Magen, dessen Knurren langsam die Basement Grooves zu übertönen droht. Ein kolossales Problem bahnt sich an: Nachthunger! Zeit zu gehen.

Aus Westen weht ein sanfter, köstlicher Essensgeruch – ihm hinterher! Benommen torkle ich am Staatsarchiv vorbei durch den Herrngarten, den ersten Seitenausgang nehmend die Landwehrstraße runter, links in die Kasinostraße. Der Geruch wird intensiver. Stets meiner Nase folgend mache mich auf den Weg. Schon von Weitem sehe ich ein blaues Amulett, das den Träger gegen den bösen Blick schützt. Mich hingegen wird dieser Ort vor dem bösen Hunger retten – ich bin am Nazar-Center angelangt. Etwas überfordert von dem kulinarische Angebot verharre ich vor der Karte. Vom einfachen Döner über traditionelle türkische Küche bis hin zur Pizza gibt es hier wirklich alles. Ich entscheide mich für ein Pide mit Hackfleisch und Salat, was mich fünf Euro kostet: Kein Grund zu meckern. Während des Essens überlege ich mir, ob ich wohl meinen leeren Kühlschrank im angrenzenden Nazar-Supermarkt füllen sollte, der ebenfalls die ganze Nacht offen hat. Oder vielleicht doch zum Friseur?

 

nazar
Foto: Nazar Center

Nazar Center (Restaurant/Bäckerei/Supermarkt)

> Kasinostraße 36
> täglich 24 Stunden geöffnet
> Nähe: Level 6
> Auf dem Weg: ins Johannisviertel

Bevor ich auf dumme Gedanken komme, der Friseur hatte ohnehin schon zu, suche ich das Weite und laufe noch einmal in Richtung Innenstadt. Jetzt fehlt nur noch ein anständiger Nachtisch! Was gäbe ich für ein Schoko-Croissant. Da fällt mir ein: Bäcker Müller macht doch Nachtverkauf. Im nächsten Augenblick stehe ich schon vor der Backstube und wummere gegen das silberne Hoftor. Nach einer Weile erklärt mir ein angenervter Anwohner, die Backstube mache erst um 4.00 Uhr auf.

 

llustrationen: Daniel Wiesen, Foto: Linda Breidert
llu: Daniel Wiesen | Foto: Linda Breidert

Bäckerei Müller Nachtverkauf

> Grafenstraße 37
> Hinterhof (Backstube)
> Täglich ab 4 Uhr, feiertags geschlossen
> Nähe: Café Corner
> Auf dem Weg: Von Innenstadt nach überall

Verdammt! Ich will doch ein Schoko-Croissant! Also weiter durch die Nacht, zum Glück gibt es ja noch den Bäcker Breithaupt. Nach einem ordentlichen Fußmarsch bergauf Richtung Bessungen, betrete ich die duftende Backstube und werde mit einem freundlichen „Guude Morsche“ begrüßt. Ich bestelle mein Crossaint und beiße beglückt hinein – na gut, es ist seinen Preis wert!

 

Nachtbäcker (Bäcker Breithaupt)

> Karlstraße 66
> Hinterhof (Backstube)
> Mo bis Do etwas 2 bis 6 Uhr, Freitag 00 bis 6 Uhr; Samstag auf Sonntag geschlossen
> Auf dem Weg: Von Innenstadt nach Bessungen / Paulusviertel

Langsam schlägt meine Futterodyssee ein bisschen aufs Geld, doch mein Magen gibt noch immer keine Ruhe. Ich lege einen Verdauungsspaziergang zur nächsten Tanke am Böllenfalltor-Stadion hin und kann dort dem netten Studenten hinter der Theke mit seinen „alten Backwaren“ behilflich sein. Beladen mit zwei Tüten voller Brötchen laufe ich zurück in die Stadt. Freudig verschenke ich auf dem Weg einige Leckereien an andere Nachtschwärmer und finde viele neue Freunde. Auf dem Weg vernehme ich ein Knurren. Ein Tier im Busch? Nein! Das kann nicht sein. Es ist noch immer mein Magen, ich nimmersatter Heiner. Ich beschließe: Heute ein König, letzte Station „Krone“-Döner! Ich komme an und bleibe wie angewurzelt stehen: Der „Kröner“ ist zu!!

 

„Kröner”

> Holzstraße an der „Krone“
> So bis Do von 11 Uhr bis „nichts mehr los ist“, Fr + Sa von 11 Uhr bis 5 Uhr
> Auf dem Weg: Innenstadt nach überall

Es muss wirklich spät sein. Ob wohl noch jemand im Schlosskeller ist? Ich trotte gerade zum Marktplatz, als mein Weg von einem eleganten älteren Herr mit Schal gekreuzt wird. Interessiert schaue ich ihm nach. Nicht gerade das übliche Schlosskeller-Publikum. Zielsicher öffnet er im Glockenbauhof des Schlosses eine große hölzerne Tür und verschwindet im alten Gemäuer. Neugierde packt mich, noch nie zuvor ist mir diese Tür aufgefallen. Ich trete näher und lese an einem unauffälligen Briefkastenschild „Kellerklub“. Es riecht nach Essen, mehr noch: Es duftet nach Delikatessen. Ich öffne, steige verschüchtert die Treppe hinunter und ende vor der nächsten Türe. „Eintritt nur für Mitglieder“ lese ich darauf. Während ich noch davor stehe und zweifle, öffnet sich ein Fenster in der Tür und eine Stimme mit hessischem Dialekt fragt: „Was gibts?“

Um diese Uhrzeit bin ich nur noch zur Wahrheit fähig. „Hunger hab‘ ich!“, sage ich und die Tür öffnet sich. Wo bin ich hier? Die Wände sind mit allerlei Kunstwerken behangen und Kerzen sorgen für schummeriges Licht. Ich bin eine andere Welt abgetaucht und auch die Speisekarte möchte mich nicht in die Wirklichkeit zurückholen: Gegrillte Gambas, spanischer Wein, gebratenes Kaninchen und andere Gaumenfreuden lachen mich an. „Leute, die für Stress und Ärger sorgen, haben hier nichts zu suchen“, sagt der Betreiber (und Koch) entschuldigend, seiner barschen Begrüßung an der Tür wegen, und setzt sich zu mir. „Diesen Klub hier gibt es seit 60 Jahren, er wurde damals von Künstlern gegründet, die einen Platz für ihr nächtliches Beisammensein suchten. Schon seit langem wissen Kenner unsere Küche zu schätzen.“ Ich bestelle gegrillte Gambas und erlebe meinen kulinarischen Höhepunkt des Abends.

 

llustrationen: Daniel Wiesen, Foto: Linda Breidert
llus: Daniel Wiesen | Foto: Linda Breidert

Kellerklub (Künstlerkeller) > WIRD AKTUELL RENOVIERT, WIEDERERÖFFNUNG: VORAUSSICHTLICH ENDE 2016!

> Marktplatz 15 im Schlosshof (Aufgang Bastion)
> Geöffnet täglich von 20 Uhr bis etwa 4 Uhr, Montag Ruhetag
> Nähe: Schlosskeller
> Auf dem Weg: Von Innenstadt nach überall

Beschwingt von dem einmaligem Erlebnis dieses Ortes verlasse ich den „Kellerklub“ und sehe die Sonne aufgehen – Zeit für Frühstück!