Foto: Neckar5
Foto: Neckar5

Wer in Darmstadt eine Wohnung sucht, kennt das Problem. Es ist unheimlich schwierig eine Wohnung in einigermaßen zentraler Lage mit genügend Wohnfläche zu bezahlbarer Miete zu finden. „Vor allem zu Semesterbeginn hat man keine Chance,“ meint Katrin* von Neckar5, die selbst über ein halbes Jahr auf Wohnungssuche war. Da verwundern leerstehende Gebäude, die seit Jahren ungenutzt sind, wie das Haus Nr. 5 in der Neckarstraße.

Wie alles begann …

Im April 2010 schloss sich die Gruppe Neckar5 zusammen. Ihr Ziel: mehr Wohnraum in Darmstadt erschließen. Die Aktivisten wollten den Wohnungsmangel und die daraus resultierenden horrenden Mieten nicht mehr akzeptieren. „Es gab viel Diskussionsbedarf“, erzählt Julian* von Neckar5. Jeder konnte sich einbringen und alles wurde gemeinsam entschieden. „Da tritt man auch oft auf der Stelle und dreht sich im Kreis“, erklärt Julian. Nach und nach entstand jedoch ein neues Wohnkonzept: eine Wohngemeinschaft, basierend auf Kollektivität, Solidarität und basisdemokratischen Grundstrukturen.

Für Mitbewohner einer solchen WG bedeutet das, nicht nur mit den anderen Mitbewohnern zusammen zu wohnen, sondern auch gemeinsam Entscheidungen zu fällen, zu diskutieren, politische und kulturelle Veranstaltungen auf die Beine zu stellen sowie zusammen zu kochen und eine regelmäßige Volxküche zu veranstalten. Da Wohnen zu den Grundbedürfnissen eines Menschens gehöre und der Wohnort zudem Einfluss auf das soziale und gesellschaftliche Leben nehme, solle niemandem der Zugang auf Grund eines geringen Einkommens verwehrt bleiben.

Deshalb fordert die Gruppe Neckar5 mietfreies Wohnen. Was nach Utopie klingt, halten die Mitglieder durchaus für realisierbar. Denn in Darmstadt gibt es viele leerstehende Gebäude, wie beispielsweise die Anlage der ehemaligen US-Kaserne Lincoln Village. Wohnraum, der nur darauf wartet, genutzt zu werden. Aus dieser Vision wurde der Plan, dem die Gruppe ihren Namen verdankt: die Hausbesetzung des ehemaligen Telekom-Bürogebäudes Neckarstraße 5.

Die Besetzung

Am späten Abend des 2. Juni stiegen die Mitglieder von Neckar5 durch ein offenes Fenster im ersten Stock in das verlassene Bürogebäude ein. Das Haus schien optimal für ihre Zwecke, seit langem leerstehend von der Telekom nicht mehr genutzt und scheinbar in Vergessenheit geraten. Ein Irrtum, wie sich später herausstellen sollte, denn die Telekom hatte das Büro-gebäude bereits weiterverkauft. Der von außen unauffällige Gebäudekomplex mit grauer Rauputzfassade und roten Fensterrahmen würde bis zu 30 Bewohnern Platz bieten. Außerdem gebe es mehrere große Säle und Konferenzräume, die die Hausbesetzer für politische und kulturelle Events nutzen wollten.

So fanden sich im viertägigen Programm für die Hausbesetzung mehrere Infoveranstaltungen über die Aktion, aber auch über andere politische Themen. Zudem waren täglich öffentliche Frühstücke, Kaffeetrinken und Volxküchen angesetzt. Kurz nach Besetzungsbeginn öffnete Neckar5 mit einer Party die Türen, beziehungsweise das Fenster, für jedermann. Rund 150 feierfreudige und neugierige Menschen folgten dem Aufruf. Ungünstigerweise ging die Gleichung – je mehr Leute im Haus sind, desto weniger können wieder rausgeworfen werden – die Neckar5 in ihrem Blog aufstellte, nicht auf. Kurz nach Mitternacht ging bei der Polizei eine Beschwerde wegen Ruhestörung ein.

Die Polizei nahm Kontakt zu den Hausbesetzern auf. Diese räumten um 15 Uhr des folgenden Tages das Bürogebäude freiwillig. Ihnen wurden Gespräche mit der Stadt zugesichert, bei denen man sich ihr alternatives Wohnkonzept anhören und über ein Ersatzobjekt verhandeln wolle. Der Eigentümer verzichtete auf eine Anzeige und die Hausbesetzung nahm ein verfrühtes, aber friedliches Ende.

Wie es weiter geht …

Das Gespräch mit der Stadt führte laut Neckar5 zu keinem nennenswerten Ergebnis. Jugend- und Sozialdezernent Jochen Partsch sagte den Besetzern von Neckar5 gegenüber, er wisse nichts von dem Angebot eines Ersatzobjektes. Er würde aber versuchen mit Eigentümern leerstehender Häuser in Kontakt zu treten, und sich dann wieder melden. In einer E-Mail teilte er Neckar5 schließlich mit, dass beim Immobilienmanagement Darmstadt angefragt wurde, die Stadt Darmstadt aber kein Gebäude zur Verfügung stellen könne.

Den Vorschlag, ein Konzept für die Nutzung der ehemaligen US-Kaserne Lincoln Village vorzulegen, lehnt die Gruppe derzeit ab. „Das Projekt steht im Gegensatz zu den Zielen unserer Aktion“, erklärt Katrin. Denn für die Wohnanlage soll ein Käufer gefunden werden und dieser wäre mit Sicherheit mit dem Konzept des mietfreien Wohnens nicht einverstanden. Außerdem fordert Neckar5, dass aus Wohnungen kein Profit geschlagen wird. Für die Instandhaltung trage das Kollektiv die Verantwortung. Trotz der gescheiterten Gespräche und einem fehlenden Projektvorschlag für Lincoln Village seitens Neckar5 gibt die Gruppe nicht auf.

„Wir haben viele Leute erreicht und ein positives Echo bekommen“, sagt Julian. Wie es weiter geht, bleibt offen. Aktuell konzentriert sich die Gruppe auf die Organisation einer Demo gegen Leerstand und Wohnungsnot, sowie Leistungszwang im Bildungssystem. Sie soll am Samstag, dem 16. Oktober, um 17 Uhr am Hauptbahnhof stattfinden. Weitere Hausbesetzungen seien im Moment nicht geplant, sagt Katrin.

Allerdings heißt es auf Transparenten und in ihrem Blog „Nach der Räumung ist vor der Besetzung!“. Wir können also gespannt sein, wie es weiter geht.