Der Sommer verwandelt die innerstädtischen Vergnügungsflächen in Freiluftbars. Dabei landen viele Flaschen im Müll. Aber nur für kurze Zeit. Denn immer mehr Pfandsammler suchen nach den Cent-Schätzen. Auch die Anzahl der Pfandspendeprojekte nimmt zu: Noch nie war es so einfach, sein Leergut mit gutem Gewissen loszuwerden – ob im Freien, Zuhause oder am Rückgabeautomaten. Das P klärt auf.
Pfand im Freien frei lassen
Der jüngste Spross der Pfandprojekte ist die Pfandkiste. Sie wächst bevorzugt an innerstädtischen Laternenpfählen. Die Idee, Leergut gut sichtbar abzustellen, stammt von den Hamburger Limonadenmachern von Lemonaid und breitet sich in Deutschlands Großstädten aus. Einzig Frankfurt duldete sie eine Zeit lang nicht. Dafür hat unser hessischer Nachbar einen Pfand-Paternoster (www.pfandpaternoster.de).
Aber zurück zur Pfandkiste: Für kurze Zeit hingen die umfunktionierten Getränkekisten auch in unserer Heimatstadt – gesehen wurden sie im Herrngarten und in der Weststadt. Allerdings nicht lange. Warum, fragt sich das P? Sind die 1,50 Euro teuren Pfandkisten gierigen Sammlern zum Opfer gefallen? Oder waren Vandalen am Werk? Die Darmstädter Müllabfuhr (der EAD) ist wohl nicht Schuld am Verschwinden: „Unter sozialen Aspekten ist das ein interessantes Projekt, uns aber noch nicht bekannt“, antwortete man auf die P-Nachfrage, wie denn der EAD zu Pfandkisten stehe. Zur Familie der Outdoor-Pfandprojekte gehört auch die Initiative „Pfand-gehört-daneben“. Es gilt dasselbe Prinzip wie bei der Pfandkiste. Sticker und stylische Anzeigen werben dafür, Pfandflaschen nicht achtlos in den Müll zu werfen, sondern sie sammelfreundlich „daneben“ zu platzieren. Eine gute Idee, die schon viele Herrngarten-Chiller von sich aus beherzigen.
Pfandspenden für Faule
Bei wem sich die Flaschen zuhause türmen, für den hat die Webseite www.pfandgeben.de die Lösung. Dort können Flaschenhorter auf einfache Art und Weise Pfandabholer im eigenen Stadtteil finden, per Handy kontaktieren und das Leergut abholen lassen, wie der Berliner Designer und Initiator Jonas Kokoschka auf seiner Seite erklärt. Mittlerweile sind über 600 Pfandsammler aus ganz Deutschland registriert. Darmstadt glänzt erst mit EINEM Stadtteil-Eintrag in der Liste. In „Darmstadt Industriegebiet“ holt „FUBU“ bei Euch die Flaschen ab. Das ist ehrenwert, aber eindeutig zu wenig. Also liebe P-Leser, bitte sprecht Pfandsammler auf diese Idee an und tragt sie über Euer Smartphone direkt ein. Selbst Buxtehude hat schon zwei Pfandabholer in der Liste.
Spenden per Knopfdruck
Den Klassiker unter den Pfandspenden gibt es in zwei Varianten in Supermärkten: Entweder als „Spende per Knopfdruck“ am Rückgabeautomaten oder als Pfandbox daneben hängend, in den die Kunden Ihren Pfandbon einwerfen können. Die „Knopfdruck“-Variante finden Spendenwillige in Lidl-Filialen. Das Geld kommt den Tafeln zugute. Seit 2008 wurden dabei schon über vier Millionen Euro deutschlandweit gesammelt. Die Pfandbox haben wir in Darmstädter Einkaufsmärkten noch nicht gesichtet. Es wird Zeit, auch sie zu installieren. Die Anleitung gibt’s unter www.pfandtastisch-helfen.de.
Also Heiner, gebt das Pfand frei!
Interview mit einem Darmstädter Pfandforscher
Fabian Kraus (Jahrgang 1983) ist Soziologe und promoviert an der TU Darmstadt. Sein Thema: Flaschenpfand.
P: Wie bist Du auf die Idee gekommen, das Pfandsammeln zu erforschen?
Fabian Kraus: Es war eine Idee, die mir als Student kam. Ich hab im Schlosskeller oft die Nächte durchgetanzt und mit meiner Bierflasche im Hof gesessen. Da kam immer wieder ein bekannter Pfandsammler vorbei, über den auch viele Gerüchte im Umlauf waren – wie zum Beispiel, dass er ein Auto fährt. Da habe ich mich gefragt: Wie kann das sein? Warum hat er es scheinbar noch nötig, sich die Nächte um die Ohren zu schlagen und Pfand zu sammeln? Das war einer der vielen Impulse, dem wissenschaftlich nachzugehen.
Wer sammelt denn hier in Darmstadt Flaschenpfand?
Die meisten glauben, dass nur Obdachlose Pfand sammeln. In Darmstadt ist das eher die Ausnahme, höchstens am Bahnhof. Bei meinen Beobachtungen habe ich meistens ältere Menschen gesehen, zumeist im Rentenalter. Auf drei ältere Menschen kommt vielleicht einer, der jünger ist. Man kann es schon als ein Phänomen der Altersarmut beschreiben.
Wo wird denn hauptsächlich Leergut gesucht?
Gesucht wird immer da, wo entweder viele Leute vorbeikommen, die auch Getränke konsumieren wie an Bahnhöfen – in Frankfurt mehr als in Darmstadt – oder wo sich viele Menschen treffen wie in der Innenstadt am Luisenplatz, in der Fußgängerzone oder dem naheliegenden Herrngarten. Je nachdem, ob sich um einen Ort handelt oder um Wege, entwickelt sich das Phänomen zum Routen- oder Reviersammeln, die auch zur Not verteidigt werden. Man könnte also grob zwischen stationärem und Routensammeln unterscheiden. Unter die erste Kategorie fallen auch die Event-Sammler, das heißt Menschen, die Veranstaltungen wie das Schlossgrabenfest oder ein Lilienspiel zum Anlass nehmen zu sammeln.
Wie hat sich das Phänomen in den letzten Jahren entwickelt?
Das ist eine schwere Frage. Es gibt dazu keine Untersuchungen. Da kann ich nur auf meine eigene Wahrnehmung zurückgreifen oder auf die ansteigende Zahl an Medienberichten. Pfandsammeln nimmt immer mehr zu – nicht nur in Großstädten. Ich glaube aber, dass es nicht nur auf eine zunehmende Verarmung zurückzuführen ist. Je mehr darüber berichtet wird, je mehr Leute es wahrnehmen, desto mehr Menschen denken: Das könnte ich auch ausprobieren.
Was sagst Du zu Projekten wie der Pfandkiste oder „Pfand-gehört-daneben“?
Interessanterweise wird ein Großteil solcher Projekte von Designern initiiert. Das deutet darauf hin, dass das Pfandsammeln auch ein ästhetisch-moralisches Problem darstellt. Ich unterstelle Designern einen besonderen Blick für ästhetische Ordnungen, zum Beispiel im öffentlichen Raum. Pfandsammler durchbrechen diese Ordnung, indem sie in das Ünberührbare – den Müll – greifen. Beim Beobachter löst das einen Fremdschäm-Effekt aus. Pfandkisten stellen diese ästhetische Ordnung wieder her, in dem sie den Müll aus dem Pfandsammeln heraushalten. Ob diese Aktionen dem einzelnen Sammler allerdings dienlich sind, ist fraglich. Je einfacher es ist, an Pfand zu kommen, desto mehr werden zugreifen und desto weniger wird für den einzelnen Sammler übrig bleiben.
Was können P-Leser für Pfandsammler tun?
Pfandsammeln ist mit einem Stigma belegt. Wer sammelt, outet sich als Bedürftiger. Aber oft geht es den Sammlern nicht nur um das Geld, sondern auch um den sozialen Umgang. Also einfach mal auf wertschätzende Weise ansprechen.
Danke für das Gespräch.
Mitmachen!
Pfand-Forschung des Darmstädter Soziologen Fabian Kraus:
www.pfand-sammeln.de
Pfandspenden im Freien:
www.pfand-gehoert-daneben.de
www.facebook.com/LemonAid.Trinkenhilft
www.pfandpaternoster.de
Pfandspenden Zuhause:
www.pfandgeben.de
Pfandspenden im Supermarkt:
www.pfandtastisch-helfen.de
www.tafel-pfandspende.de