Für den Prinz-Georgs-Garten braucht man ein bisschen Zeit – und jemanden, der einen einfach mal mitnimmt. Denn wie spaßig kann das sein, gemessenen Schrittes an ordentlichen Gemüsebeeten vorbei zu flanieren? Lasst Euch überraschen!
Reihenweise Obst und Gemüse, dazwischen Löwenmäulchen und Lavendel, bunte Wiesenblumen neben Johannisbeeren, kleingestutzte Apfel- und Birnbäumchen: Für die meisten von uns eine ungewöhnliche Zusammenstellung, aber ein typischer Nutz- und Ziergarten, wie er Mitte des 18. Jahrhunderts üblich war. Heute ist das in Hessen einmalig – ein Gartenkunstwerk in seinem ursprünglichen Zustand.
1748 beginnt die Geschichte: Zu dieser Zeit werden der Palaisgarten und der Prettlacksche Garten zusammengelegt. 1764 schenkt Ludwig VIII. das Areal seinem Sohn Georg Wilhelm – daher der Name Prinz-Georgs-Garten. Georg und seine Frau nutzen den Garten für ungezwungene Festlichkeiten mit der Darmstädter Hofgesellschaft. Hier, hinter der schützenden Mauer, können die Adeligen ihre höfische Etikette fallen lassen und mal so richtig Spaß haben, sogar selbst musizieren und Theater spielen.
Zum Beispiel im „Natur-Theater“: Vom Teepavillon aus blicken die Zuschauer auf eine erhöhte Fläche, die von Hecken umrandet ist (im Hintergrund sieht man heute die kleine Voliere, nur zur Orientierung). Die Anordnung der Hecken strukturiert dabei das Bühnenbild und sorgt für interessante Effekte, zum Beispiel wenn Schauspieler oder Musiker überraschend an ganz anderer Stelle wieder auftauchen. Und das ist auch heute wieder so, denn der Leiter des Gartens, Stefan Jagenteufl, hat das Heckentheater vor ein paar Jahren aufleben lassen, samt neuen Hecken natürlich.
Romantisch kann’s rund um den Teepavillon sowieso werden – denn der lässt sich für Hochzeiten mieten, auch zusammen mit dem Kübelhaus. Na ja, die Kirche ist ja gleich nebenan. Und natürlich kann man hier auch aus anderen Anlässen feiern, es muss nicht unbedingt geheiratet werden.
Den meisten Darmstädtern der anliegenden Viertel wohlbekannt: Der Gärtnerei-Verkauf. Denn vieles, was hier im Garten wächst, will auch gegessen werden. Die junge Frau, die vor mir ihr Gemüse abwiegt, behauptet sogar, hier gäbe es den leckersten und besten Salat überhaupt. Und die unkonventionelle Art des Verkaufs macht die Sache noch sympathischer: Das Angebot ist mit großen, handgemalten Schildern gekennzeichnet – zum Beispiel bei den Zucchinis „1 Kilo 2 Euro”. Daneben eine Waage, die wahrscheinlich in den Siebzigern schon auf Omas Küchentisch stand und einen sofort an erdige, schwielige Finger denken lässt. Zucchini drauf, Gewicht ablesen, selbst ausrechnen und das Geld in die kleine Plastikschale legen. Das hat was. Einkaufen mit nostalgischem Charme kann man hier werktags von 8.00 bis 15.30 (freitags bis 15.00) Uhr.
Ein Prachtstück ist auch das Prettlacksche Gartenhaus. 1710 erbaut, 47 Meter lang, nur 4,60 Meter schmal. Generalleutnant Johann Rudolf von Prettlack war der Bauherr – und hat sich damit bei den Darmstädtern als Namensgeber verewigt, obwohl ihm der Garten gar nicht lange gehörte. Das 1944 zerstörte Gartenhaus wurde 1951 wieder instandgesetzt und 2001 aufwendig saniert. Hier sind unter anderem Büro und Gärtnerwohnung untergebracht. Und noch eine schöne Idee von Stefan Jagenteufl: Das öffentliche Lesezimmer. Ein Raum mit unzähligen Büchern, an denen sich jeder einfach bedienen kann. Zum drinnen oder draußen Lesen, sogar zum Mitnehmen – aber mit der moralischen Verpflichtung, dafür ein anderes Buch mitzubringen und ins Regal zu stellen, damit der Bestand erhalten bleibt. Mit dieser und anderen sympathischen Aktionen gelingt es dem Leiter, den Garten persönlich erfahrbar und fühlbar zu machen. Für alle, die dem gegenüber aufgeschlossen sind.
Man muss halt nur machen: Früher hat Jagenteufl selbst im Prettlackschen Gartenhaus gewohnt, das jetzige Lesezimmer war sein Schlafgemach. Als er im Frühjahr 2004 auszog, sollte aus dem Raum mit dem herrlichen Ausblick ein Verkaufsraum für Prospekte werden. Zum Glück hatte er eine bessere Idee, ließ sich von einer Aktion in Hamburg inspirieren: Regale rein, ein Aufruf an die Darmstädter Bürger, in dem er die Idee des öffentlichen Lesezimmers erklärte und um Bücherspenden bat – und dann am Stichtag innerhalb von wenigen Stunden Tausende von Büchern. „Die Leute standen Schlange bis zur Schlossgartenstraße“, erzählt er und freut sich immer noch, dass die Aktion so gut ankam. Geöffnet ist das Lesezimmer wie der ganze Park, also auch Samstag und Sonntag. Und im Sommer finden hier sogar Lesungen statt: Am 08. August um 18 Uhr gibt es eine zum Thema „Sommerflirt“, das komplette Programm hängt vor Ort aus.
Ein Besuch im Lesezimmer ist auf jeden Fall empfehlenswert – auch wenn man hier nicht unbedingt top-aktuelle Literatur findet: Neben Konsalik, Steven King und „Herr der Ringe“ gibt es Krimis von Patricia Highsmith und Kinderbücher, die vor mehr als vierzig Jahren geschrieben wurden. Manches aus den Siebzigern kann man hier wiederentdecken, das ganze Ambiente ist einfach einmalig: An einem sonnigen Tag um die Mittagszeit, wenn man nur die Vögel zwitschern hört und vielleicht noch das Plätschern des kleinen Brunnens, dann will man nicht mal mehr lesen, sondern einfach nur auf den schicken roten Stühlen oder auf der Treppe vor der Tür sitzen und diesen Ausblick genießen.
Ein anderes aktuelles Projekt fürs schönere Gucken ist das neue Outfit der Schlossgartenstraße 8. Denn das schnöde Unigebäude an der Ostseite des Gartens hat lange Zeit den herrlichen Blick gestört. Seit zwei Jahren wächst eine besondere Rosenart die Fassade hoch. Stefan Jagenteufl verspricht: Noch mal zwei Jahre und die adelige Blume hat das zehn Meter hohe Gebäude komplett in ein Rosenkleid gehüllt. Dann ist dieser Garten noch schöner – und die Sicht von jedem der vielen weißen Bänkchen aus einfach traumhaft.