Der Weg zum Interview führt über wenig vertrauenserweckende Dielen in den vielleicht 40 Quadratmeter großen Bauch eines Hausbootes. Das Hausboot „Venus“ liegt in Frankfurt-Höchst vor Anker und ist an diesem Abend die Location für die in Darmstadt und Schlüchtern beheimatete Rockformation Diskokugel. Nach knapp 15 Jahren Bandgeschichte, sechs Alben und unzähligen Konzerten in ganz Europa wird nun bald ihr jüngstes Werk „The Boy With The Zorn In His Side“ veröffentlicht. Bei Bier und Döner stehen Bassist Mathias Hill und Keyboarder Magnus G. Schmerfeld Rede und Antwort.
Ihr spielt heute Abend auf einem Hausboot. Ist das die außergewöhnlichste Location, in der Ihr bisher gespielt habt?
Mathias: Das Hausboot ist auf jeden Fall ziemlich weit vorne. Beim Berliner-Pop-Marathon Ende der 1990er war es auch spannend. Das Konzert war im Kellergeschoss eines ehemaligen Schuhladens und im alten Lager war die Umkleidekabine – dort waren allerdings auch ein paar Ratten zuhause.
Magnus: Der Weg in den Kellerraum führte über eine wacklige Hühnerleiter, aus ganz einfachen Brettern. Die Bretter bogen sich sehr durch und wir mussten mit unserem ganzen Equipment darüber laufen. Wir hatten Angst.
Mathias: Angst hatten wir auf dem Hausboot noch nie.
[In diesem Moment kracht es im Hintergrund. Eine Diele ist durchgebrochen]
Mathias [lachend]: Okay, das war zu erwarten.
Magnus: Die wird schon wieder repariert.
Gut, dann machen wir mal weiter. Eure Musik ist äußerst tanzbar. Seid Ihr im Club eher Tänzer oder Steher?
Beide: Spätestens ab dem dritten Gin Tonic bewegt sich jeder von uns.
Mathias: Am Anfang waren wir es auf unseren Konzerten gewohnt, dass die Leute tanzten. Wenn keiner tanzte, dachten wir: scheiß Auftritt. Manchmal achten die Konzertbesucher aber auch nur auf die Texte. Wir haben gelernt: Es muss kein schlechtes Konzert sein, wenn die Leute nicht tanzen.
Magnus: Als wir im Münchner Atomic Café spielten, sagte man uns: Hier tanzt nie jemand. Wir haben sie eines Besseren belehrt.
[Der Geräuschpegel steigt merklich. Alfred, der Besitzer des Hausbootes, sägt aus einem Brett eine neue Diele und nagelt sie an die Bruchstelle.]
Es scheint in vielen Texten so, als ob Ihr permanent unzufrieden seid. Was hält Euch vom Zufriedensein ab?
Mathias [lachend]: Als nächster Plattentitel ist im Gespräch: „Auf der Suche nach der Wurzel meiner Unzufriedenheit“. Aber eigentlich sind wir mit uns im Reinen. Außerdem spricht uns nicht jeder Song direkt aus der Seele. „Der Tag mit Sid Vicious“ beispielsweise ist aus der Sicht von Johnny Rotten geschrieben.
Der Song ist ein Gedankenspiel: Wer wäre Sid Vicious heute, wenn er nicht 1979 gestorben wäre. Mit welcher verstorbenen Person würdet Ihr gerne mal ein Gespräch führen?
Mathias: Auf jeden Fall nicht Sid Vicious, ich glaube, er hatte keine große Botschaft.
Magnus: Ich hätte gerne John Peel [2004 verstorbener englischer Radio-DJ, Anm. d. Red.] getroffen. Er war zwar kein Musiker in dem Sinne, aber eine herausragende Persönlichkeit.
Mathias: Es gibt ja den Spruch „Never meet your heroes“. Aber Ian Curtis [Sänger von Joy Division, Anm. d. Red.] hätte ich zumindest gerne altern gesehen. New Order mit Ian Curtis wäre sicher spannend gewesen.
Auch Gesellschaftskritik ist aus Euren Texten herauszuhören. Seht Ihr Euch als politische Band?
Mathias: Nicht wirklich, dafür sind wir zu abstrakt. Wir würden niemals singen: „Kauft im Bioladen oder stoßt Eure Deutsche-Bank-Aktien ab.“
Magnus: Wenn wir etwas scheiße finden, haben wir mit der Band ein Medium, das auch zu äußern – nur eben nicht direkt, sondern kryptisch. Es macht Spaß, subtil zu motzen.
Könnte es sein, dass Ihr Fans von den „Smiths“ seid?
Magnus [lacht]: Ich glaube, Du hast die zwei größten Süd- und Mittelhessens vor Dir.
Mathias: Der Song „Weich wie mein Handschlag“ besteht im Grunde nur aus Smiths- und Morrissey-Titeln, echte und ausgedachte.
Das erklärt dann auch den Titel Eurer neuen Platte „The Boy With The Zorn In His Side“, frei nach dem Smiths-Song „The Boy With The Thorn In His Side“. Ist das Album mehr Rock oder mehr Disko?
Mathias: Definitiv mehr Rock. Ich weiß nicht, ob wir jemals eine richtige Disko-Phase hatten.
Magnus: Der Bandname ist immer eher ein Wortspiel.
Mathias: Wir haben am Anfang gedacht, dass es zwei Gegensätze sind, die sich ausschließen. Entweder Rock oder Disco. Das sollte im Grunde sein wie…
Magnus: … Feuer und Wasser.
Mathias: Genau. Aber das ist ja heute nicht mehr so.
Gefällt Euch das Dasein als musikalische Außenseiter oder wollt Ihr lieber vor 1.000 Zuschauern spielen?
Magnus: Das haben wir als Vorband und auf Festivals schon öfter getan. In Düsseldorf haben wir mal vor 3.000 Menschen gespielt.
Mathias: Ab 400 Leuten muss man diese „Bono-Ansprachen“ machen, das sind wir nicht gewohnt – und da haben wir auch keine Lust drauf.
Magnus: Der Aufbau der Band ist sehr demokratisch, da ist es schwierig die heroische Pose anzunehmen.
Euch gibt es jetzt seit 15 Jahren. Wann kommt der Durchbruch?
Magnus: Wir wollten nie große Popstars werden. Das wurde uns immer nur angedichtet.
Mathias: Wir sind alle voll berufstätig, da fehlt die Zeit.
Magnus: Mit fast 30 haben wir uns erst gegründet. Die ersten Illusionen, ins Pop-Geschäft zu gelangen, waren da schon vorbei. Es ist immer schön, Zuspruch zu bekommen. Dabei bleibt es dann aber auch.
Ihr habt also schon das erreicht, was Ihr mit der Band erreichen wolltet.
Mathias: Genau. Diese Wachstumsdoktrin muss durchbrochen werden. Wir sind die erste Band, die ökologisch wächst …
Magnus: … und mit dem zufrieden ist, was sie hat.
Vielen Dank für das Gespräch.
P.S.: Beim anschließenden Konzert sind übrigens alle Dielen heile geblieben.