Sport, der in Darmstadt betrieben wird, und – Trommelwirbel – nicht Fußball ist? Vor lauter Lilienfieber ist’s ein bisschen in den Hintergrund geraten, aber: Jawohl, das gibt’s. Hier stellen wir sie vor, die Sportarten, die (noch) nicht von einem großen Publikum bejubelt werden. Zum Beispiel, weil sie bislang kaum jemand kennt. Oder weil sie eben einfach zu speziell sind, um die Massen zu begeistern. Oder vielleicht, weil man lieber unter sich bleibt? Wir gucken uns das für Euch aus der Nähe an. In dieser Ausgabe: Rollstuhlhandball.
Es sind gerade mal sechs Stufen, die hinunter in die Sporthalle am Bürgerpark führen. Sechs Stufen, die mir vor einem halben Jahr überhaupt nicht aufgefallen wären. Damals habe ich aber auch noch nicht Rollstuhlhandball gespielt. Seit ich als Fußgänger ein bis zwei Mal die Woche im Rollstuhl Sport mache, gehe ich aber mit anderen Augen durch die Welt.
Am Luisenplatz von der Straßenbahn in den Bus umsteigen? Ohne fremde Hilfe nicht möglich. Denn wegen des denkmalgeschützten Pflasters ist der Einstieg nicht ebenerdig, und die Busfahrer:innen helfen nicht über die Stufe. An der Baustelle oder bei Gehwegparkern die Straßenseite wechseln? Scheitert am Bordstein. Beim Lieblingsitaliener geht es dann nur über eine Treppe zur Toilette, und beim Asiaten nebenan ist die Tür zu eng.
Auf glattem Parkettboden
Da lobe ich mir den glatten Parkettboden in der Turnhalle der Erich-Kästner-Schule in Kranichstein. Einmal kräftig die Reifen nach vorne gedrückt und schon gleitet der Sportrollstuhl sanft bis ans Hallenende. Noch mehr Spaß macht es aber, sich schnell auf der Stelle um die eigene Achse zu drehen. Und schon ist mir kotzübel.
Dafür ist das Rollstuhlfahren super intuitiv. Nur Dribbeln ist nicht. Denn mit nur einer Hand am Rollstuhl geht es nicht vorwärts, sondern nur im Kreis. Deshalb darf der Ball in den Schoss gelegt werden, und der Rollstuhl drei Mal angeschoben werden. Oder man macht es wie Belim und wirft den Ball in hohem Bogen einige Meter vor sich. Für diese Technik benötigt es allerdings tatsächlich etwas Übung. Schließlich muss der Ball ja passgenau mit dem Rollstuhl wieder eingeholt werden.
Mein Fokus richtet sich eh gerade auf meine Hände. Denn mir fehlt schon nach wenigen Minuten Rollstuhlhandball Haut am Grundgelenk zwischen Daumen und Handballen, abgerieben am Reifen. „Das ist ganz normal“, beruhigt mich Lennart, bevor er mich beim nächsten Angriff wieder abhängt. Ach ja, und verdammt anstrengend ist es auch noch.
Empathie füreinander, Rücksicht aufeinander
Dafür macht es jede Menge Spaß. Denn beim Training des Vereins für Sport und Gesundheit (VSG) am Freitagnachmittag sollen alle zusammen spielen können. Rund ein Dutzend Menschen mit und ohne Behinderung, jeden Alters und Geschlechts kommen dabei zusammen. Jonny kann zwar ganz gut fangen, hat aber Probleme beim Werfen. Deshalb darf er für den Torwurf statt auf sechs bis auf vier Meter ans Tor heranfahren. Houschang hingegen spannt sich für die Anreise sogar ein spezielles Fahrrad vor den Rollstuhl, das er mit den Armen und elektrischer Unterstützung antreibt. Statt ein Tor nach dem anderen abzuräumen, unterstützt er die Schwächeren beim Spiel. So muss es sein.
Nur Lena geht mir so richtig auf die Nerven. Im Alltag vollständig auf den Rollstuhl angewiesen, zeigt sie in der Sporthalle keine Scham, mich bei jeder Gelegenheit auszuspielen. Eben noch in meinem Rücken, blockt sie mir urplötzlich den Weg nach vorne. Gerade noch auf meiner linken Seite, fängt sie mir blitzschnell von rechts den Ball weg. Auch beruflich ist Lena für Überraschungen gut. Sie arbeitet nämlich trotz Behinderung bei der Polizei. „Auch bei der Polizei gibt es Büroarbeit“, erklärt sie mir und lässt mich mal wieder dumm dastehen. Aber ja, da hätte ich auch selber draufkommen können. Zum Glück nimmt mir das hier keiner krumm.
Darmstadt auf dem Weg in die Bundesliga?
Schwieriger wird es samstagmorgens. Da erwartet Trainer Martin Honcu in der großen Sporthalle der Sportgemeinschaft Arheilgen (SGA) nämlich Pünktlichkeit. Und zwar um 8.30 Uhr. Denn das Ziel lautet: Bundesliga. Die Chancen darauf stehen ganz gut. Gerade mal zwölf Teams gibt es in ganz Deutschland. Auch wenn bei der VSG schon seit mehr als 15 Jahren Rollstuhlhandball gespielt wird, existiert hierzulande erst seit 2020 ein offizielles Regelwerk. Auch die Liga hat sich gerade erst gegründet. Um nächste Saison für Darmstadt mit den „Heiner-Rollis“ ganz oben mitspielen zu können, fehlt es jetzt nur noch an Mitspieler:innen. Da die Sportart inklusiv ist, sind auch Spieler:innen eingeladen, die wegen Knie- oder Hüftproblemen nicht mehr zu Fuß spielen können, erklärt Honcu. Einen eigenen Sportrollstuhl braucht es nicht. Diese werden vom Verein gestellt.
Rollstuhlhandball-Regeln, kurz und knapp
Im Vergleich zum Fußgängerhandball gibt es ein paar Unterschiede: Die Tore sind etwas niedriger und gespielt wird mit einem Ball in Größe 2 (Jugend- und Damenhandball). Die Spielzeit beträgt üblicherweise 2 x 20 Minuten (mit zehn Minuten Halbzeitpause). Statt sechs sind nur fünf Personen in Sportrollstühlen auf dem Feld. Die Position des Kreisläufers entfällt. Der Ball darf für drei Sekunden in den Schoß gelegt werden und darf von dort nicht vom Gegner aufgenommen werden. Wird der Ball mit dem Rollstuhl gestoppt, gilt das als Fußspiel und der Ballbesitz wechselt zur anderen Mannschaft.
Lust mitzumachen?
Gemeinsames Spiel für alle: jeden Freitag um 16.30 Uhr in der Schulsporthalle der Erich-Kästner-Schule in der Bartingstraße. Anmeldung per Mail an: handball@vsg-da.de, weitere Infos: vsg-darmstadt.de/rollstuhl-handball
Leistungssport: immer samstags um 8.30 Uhr bei der SG Arheilgen, Auf der Hardt 80. Anmeldung per Mail an: honcul@vsg-da.de, weitere Infos: sg-arheilgen.de/sportangebot/handball/rollstuhlhandball.php