Illustration: Pauline Wernig

Der vegetarische Lebensstil ist weitgehend gesellschaftlicher Konsens – und selbst der eingesessene Carnivore schiebt ab und zu mal einen fleischfreien Ernährungstag ein. Beim Veganismus – also den kompletten Verzicht auf jegliche tierische Produkte – gehen die Meinungen weiterhin auseinander, nach dem Motto: „Ich habe mich nicht an die Spitze der Nahrungskette gekämpft, um dann Salat ohne Ei, Käse und Joghurtsoße zu essen!“ Ob wirklich nur Knollen, Blätter und Beeren auf dem Speiseplan eines Veganers stehen, haben drei P-Redakteurinnen ein bis vier Wochen lang im Selbstversuch getestet. Hier ihr „Veganuary“-Erfahrungsbericht.

Um Vorurteilen entgegenzuwirken und die Menschen selbst zum Ausprobieren zu bewegen, startete die Organisation Veganuary aus Großbritannien im Jahr 2014 ihren ersten veganen Monat: Weltweit leben Menschen gemeinsam den Januar über vegan, um die Essgewohnheiten und Ideen hinter Veganismus zu verstehen – und zu erfahren. Die Initiatoren erhoffen sich, dass sich nach einem Monat Gewohnheiten gefestigt haben und die Temporär-Veganer auch danach vegan leben wollen. In Rahmen des Veganuary veranstaltete das Tibits Darmstadt, das fleischfreie Restaurant auf dem Alnatura-Campus, im Januar eine vegane Woche, in der auch Karina, Julia und Natalie aus der P-Redaktion ihre Erfahrungen mit diesem Lebensstil machen konnten.

Julias Erfahrung: #yummy

Da ist er. Ich sitze ihm direkt gegenüber und versuche, seiner Anziehungskraft zu entgehen. Zumindest in dieser Woche. Die Rede ist von dem heißen, saftigen Burger mir gegenüber, in welchen ich unter anderen Umständen nur zu gerne hineingebissen hätte. Aber ich befinde mich in meiner veganen Woche des Veganuary. Eine Woche keine tierischen Produkte konsumieren. Eine Woche, die dem Tierwohl, der Nachhaltigkeit und meiner Kalorienbilanz gewidmet ist. Gründe für einen veganen Lebensstil gibt es viele. Die unzumutbaren Zustände in der Massentierhaltung, körperliche und geistige Auswirkungen auf meine Gesundheit oder die Zuwendung zu mehr Minimalismus und Nachhaltigkeit für eine klimaneutralere Lebensweise sind nur einige Punkte, um Eier, Milch und Käse gemeinsam mit Fleisch vom Speiseplan zu streichen.

Aber zurück zu dem mich anschmachtenden Burger. Erster Tag in meiner veganen Woche – und natürlich war ich direkt verabredet. Der Burger gehört meinem Gegenüber, ich habe einen Salat mit Avocado & Co. Die vegane Auswahl auf der Karte war nicht groß, aber es lässt sich durchaus immer etwas finden oder mit ein, zwei Änderungen in etwas Veganes verwandeln. Ab Dienstag kümmere ich mich jedoch selbst um mein Essen: Chia-Pudding, Overnight Oats, Porridge. Hafermilch, Kokosmilch, Mandelmilch. Die veganen, „Miracle-Morning-auf-Instagram-liken“ Frühstücke klappen hervorragend und begeistern mich restlos. Via Social Media findet man unter Hashtags wie #veganuary oder #veganfoodie eine riesige Auswahl an spannenden Rezepten. Unter #darmstadtvegan gibt es ebenso tolle Inspirationen für Restaurants und Cafés, die einem das vegane Kochen gerne abnehmen, und mit einer wunderbaren Ideenvielfalt aufwarten.

Die Frühstücke klappten also, Mittag- und Abendessen wurden zum Teil outgesourced, zum Teil selbst gekocht. Gerade das Selbstkochen bedeutete ein Umdenken. Sich daran zu gewöhnen, morgens auf der Arbeit neue Rezepte für den Tag zu suchen. Aber gerade zum Ende der Woche war mein Vorratsschrank bestens gefüllt, und mein kreatives Foodplanning klappte hervorragend. Nach dieser Woche freue ich mich definitiv wieder auf mehr Flexibilität beim Auswärtsessen. Aber ich denke, ich werde nun doch öfter zu Cashewmus und Co. statt Sahne, Milch und Fleisch greifen. Mein heutiges Abendessen? Richtig vermutet: mein Endgegner. Burger! Aber dieses Mal aus Erbsen, nicht aus Fleisch. #yummy

Natalies Erfahrung: Vegan leben und kochen ist kein Hokuspokus.

Tag eins: verschlafen. Schnell Zähne putzen, anziehen, Rucksack packen, Essen für den Weg schnappen – oh toll, es gibt noch Kuchen! Nein, Moment. Ein Montagmorgen, wie ich und andere ihn wohl schon oft erlebt haben. Aber der Kuchen, der auf meinem WG-Küchentisch steht, enthält Ei – und Ei ist nicht vegan. Schade.

Im Prinzip fasst dieser erste Morgen meine ganze Woche gut zusammen. Denn, vegan sein bedeutet nun mal Einschränkung. Ich habe auf Süßigkeiten und Snacks verzichten müssen, die mir angeboten wurden. Ich habe meinen Freunden bei einem Wochenendtrip zusehen müssen, wie sie die obligatorische Berliner Currywurst verputzen, während ich Pommes hatte. Ich habe auf einen schwarzen 6-Uhr-Morgenkaffee zurückgreifen müssen, weil ich im Darmstädter Hauptbahnhof kein Lädchen gefunden habe, das Kaffee mit Milchersatz verkauft. Und ja, das hat mich genervt. [Update: Bei „Mein Reiseproviant“ am Quersteig über den Gleisen gibt es auch Kaffeespezialitäten mit Sojamilch.]

Was ich aber auch gelernt habe ist, dass die Einschränkung nur da herrührt, dass meine Umwelt nicht auch vegan lebt. Durch meinen Selbstversuch habe ich die Menschen, die von mir umgeben waren, zu einem gewissen Teil mit ins Boot geholt. Der wöchentliche Kochabend war vegan, meine Mitbewohner haben sich die Hafermilch mit mir geteilt und für den Wochenendtrip-Großeinkauf wurde ein bisschen umgeplant, damit ich überall mitessen kann. Das war für alle okay und niemand hat es groß hinterfragt. Außerdem hatte ich leckere vegane Frühstückspancakes, ein tolles Buffetessen im Tibits und ich habe sogar meine neue Lieblingsschokolade und Hafermilch für mich entdeckt.

Von heute auf morgen vegan zu leben, ist natürlich nicht ganz so unkompliziert. Man ernährt sich einfach bewusster, plant mehr, schaut auf Inhaltsangaben und sucht Alternativen. Nach einer Woche ist der mit einhergehende Umstellungsprozess noch lange nicht abgeschlossen, ich denke aber, dass es nach einiger Zeit weniger aufwendig ist, vegan zu leben. Sobald man raushat, was man essen kann und was nicht und dann ganz selbstverständlich vegan durch den Alltag geht.

Weitere Erkenntnis: Vegan leben und kochen ist kein Hokuspokus – und mir ist aufgefallen, wie oft ich sowieso schon unbewusst vegan esse, und der Gedanke, keine tierischen Produkte zu mir zu nehmen, gefällt mir. Grundsätzlich denke ich, wenn man einer Philosophie folgt, verzichtet man auch gerne auf Dinge und Veganismus ist eben genau das: eine (Lebens-)Philosophie.

Karinas Erfahrung: Ich bin angefixt.

Der vegane Monat zeigte mir nochmals (ich lebte vorher drei Monate mehr oder weniger konsequent vegan), wie intensiv man sich mit seiner Ernährung auseinandersetzen kann. Ganz egal, ob ich mich mit Freunden traf oder alleine in einem Café saß: Ich musste mich immer darauf einstellen, den Mitarbeitern auf die Nerven zu gehen, „ob sie denn auch etwas Veganes verkaufen“. Manchmal vergaß ich aber auch, dass Cappuccino nicht automatisch Sojamilch enthält und nippte an dem Kaffee, ohne an meinem Selbsttest zu denken.

Nach der Anmeldung auf veganuary.com konnte ich mich täglich auf Rezepte, Hintergrunddetails und Motivationssprüche per E-Mail freuen. Außerdem lernte ich, was es für Kühe heißt, wenn ich jeden Tag Milch trinken kann oder wie viel Wasser ein Steak verbraucht. Aber auch, woher ich als Veganer mein Protein bekommen und wie ich Schokolade selbst herstellen kann. Und auch, dass, falls ich zwischendurch ein Käsebrot esse, keine „vegane Polizei“ vor meiner Tür stehen wird. Die eigentliche Veränderung könne nicht von heute auf morgen geschehen. Sich langsam an eine neue Ernährung zu gewöhnen, sei das Richtige.

Nach einer Woche nahm mich meine Familie ernst und achtete auf Nahrungsmittel für mich beim wöchentlichen Einkauf. Mein Vater machte Bulgursalat, meine Mutter versuchte, Waffeln mit Mandelmilch und Ei-Ersatz zu backen und auch mein Freund fand Gefallen an Hummus.

Und ganz ehrlich: Ich bin angefixt. Wenn du dich darauf einlässt und dich von den Posts im Nemo-Style wie „Friends not Food“, auf dem eine Frau ein Schwein umarmt, nicht abschrecken lässt, dann verstehst du irgendwann die Philosophie hinter dem großen Wort Veganismus. Es geht nicht darum, irgendjemanden zu bekehren, sondern sich damit zu beschäftigen, wie sich das menschliche Verhalten auf die Um- und Tierwelt auswirkt. Und wie man es ändern kann.

Die Vielfältigkeit dieser Ernährungsweise geht über Salatblätter und Luftreinheit hinaus, Ersatzprodukte gibt es genügend. Gesund sind sie nicht automatisch, aber auch darum geht es: Ich greife nicht gleich zu allem, nur weil darauf ein Veganlogo aufgedruckt ist, sondern blicke auf die Inhaltsstoffe, informiere mich über die Marken und entscheide dann, ob ich das Produkt kaufe.

Ähnlich begann der Ernährungstrend Vegetarismus und seht, wo wir heute sind: Selbst in globalen Burgerrestaurants gibt es die Möglichkeit, Vegetarisches oder vereinzelt sogar Veganes zu bestellen. Vermutlich hat das am Anfang nicht jeder gedacht und den Trend mit einem spöttischen Lächeln quittiert.

INFOBOX 1:

Veganismus – eine echte Alternative?

Veganismus geht über Vegetarismus hinaus und ist eine Lebens- und Ernährungsweise, die zudem auf tierische Produkte wie Eier, Käse und Honig aus ethischen Gründen verzichtet. Dahinter verbirgt sich die Philosophie, dass es keine Gründe gebe, Mensch und Tier, also Wesen im Allgemeinen, zu schaden. Dieses vermeidbare Leid soll durch den Verzicht auf tierische Produkte – auch Lederkleidung, Pelze sowie Schminke und Kosmetik, deren Inhaltsstoffe durch Tierversuche getestet wird – reduziert werden. Vegane Organisationen weisen auch darauf hin, dass durch eine vegane Ernährung weniger Schadstoffe in die Umwelt gelangen und weniger Ressourcen verbraucht werden.

Ein Tipp am Rande: Die Youtuber Aljosha Muttardi und Gordon Prox klären auf ihrem Kanal „Vegan ist ungesund“ unter anderem über das Vorurteil, Veganismus sei Mangelernährung, humorvoll auf und informieren über verschiedene Teilthemen rund um den Veganismus.

 

Vegan essen gehen in Darmstadt

Je größer die Stadt, desto mehr Möglichkeiten hat ein Veganer, auswärts essen zu gehen. In folgender, bestimmt nicht ganz vollständiger Liste findet Ihr Lokale und Restaurants in und um Darmstadt, die vegane Gerichte anbieten oder deren Köche gerne eigene Gerichte passend umstellen. Denn Darmstadt hat mehr zu bieten als eine vegane Brezel vom „Ditsch“.

Martins- und Johannesviertel: Bedouin, Schwarz Weiß Café, Schuknecht, Café Bellevue, 3klang, Mono, Baobab, Happy Wok, Timm’s Café

In der Nähe vom Marktplatz: Ratskeller, Mosch Mosch, Coccola (nur Eis)

In der Nähe vom Luisenplatz: Ertan’s Gemüse Kebap, Çiğköftem, Vapiano, Beste Freundin, Café Fräulein Mondschein, Mondo Daily, Tajine Marrakech

Innenstadt: Haroun’s, Suppkult Elisabeth, La Lucha, Woodrich, Sausalitos, Green Sheep, Sitte

Nicht ganz zentral: Tajinerie, Rumpelstilzchen, Nuss & Maus, Papa’s Burger, Corroboree Aussie Bar & Grill, Enchilada, Domino’s Pizza, Streusel und Olive, Shiraz, Danny’s Burger, Vinocentral, Tibits

Außerhalb: Menschenskinder in Kranichstein, Radieschen in Eberstadt, Kibar in Griesheim sowie Veggie House und Immergrün („im Loop 5“)

Darüber hinaus findet Ihr auf www.wandelbaresdarmstadt.de alles rund um das Thema Nachhaltigkeit – egal ob Events, Restaurant oder für den wöchentlichen Einkauf.