Nichts für Betonköpfe: Prof. Dr. Andreas Büter hat sich auf den Leichtbau spezialisiert. Sein besonderes Interesse gilt Naturfasern, die als Baustoffe verwendet werden können: Bambus, Holz und Papier. | Foto: h_da/Jens Steingässer

Seit 1997 trägt Darmstadt den Beinamen Wissenschaftsstadt im Titel und auf den Ortsschildern. Mit ihren Ideen, Projekten und Lösungen füllen Forschende an TU und Hochschule Darmstadt oder den Fraunhofer-Instituten dieses Label mit Leben. Das P zeigt Ausschnitte ihrer Forschungs- und Entwicklungsarbeit: Projekte, die sich auf Gesellschaft, Umwelt und Alltag auswirken – und die Menschen dahinter.

Es geht auch ohne Stahlbeton und Styropor: Um den wachsenden Materialbedarf zu decken und Umweltbelastungen zu reduzieren, sucht die Baubranche nach Alternativen. Eine davon ist Papier, ein uralter Werkstoff mit Stärken und Schwächen: leicht und günstig einerseits, kurzlebig und weniger tragfähig andererseits. Was beim Bauen mit Papier möglich ist und wo die Grenzen liegen, erforscht Prof. Dr. Andreas Büter von der Hochschule Darmstadt (h_da). Er sagt: „Papier ist mehr als geduldig.“

Mit dem Papierflieger hat es angefangen. Nicht bei jedem wird ein Beruf daraus. Leichtbau-Experte Büter empfängt seine Gäste heute im „BAMP-Raum“. Das Kürzel steht für „Bauen mit Papier“ – ein Zukunftsprojekt, in das die Hessische Landesregierung immerhin 4,6 Millionen Euro investiert hat. Dass es dabei nicht um Papierflieger geht, liegt auf der Hand. Hoch in den lichtdurchfluteten Raum ragt ein kathedralenartiges Gewölbe aus Pappe. Drum herum: ein Kosmos aus Karton – gefaltet, gebogen, geschichtet und verbunden zu Kugeln und Kapseln, Toren und Trägern, Platten, Fassaden- und Wandelementen.

„Seit Jahrhunderten wird Papier als Baustoff eingesetzt“, erläutert Büter, „vor allem im asiatischen Raum.“ Ein zeitgenössisches Beispiel sind die Konstruktionen des japanischen Star-Architekten Shigeru Ban. Nach dem schweren Erdbeben in Kobe 1995 errichtete er Notunterkünfte aus Papprollen, im neuseeländischen Christchurch eine Papp-Kathedrale, am Pond du Gard in Frankreich eine temporäre Brücke. Ist das die Zukunft? Professor Büter glaubt nicht, dass deutsche Häuslebauer bald auf Pappe setzen. Darauf zielt seine Forschung auch nicht ab. In seinem Fokus stehen vielmehr temporäre Bauwerke: Notunterkünfte, Messebauten oder Kunstpavillons. „Wenn wir in diesem Bereich auf mehr Nachhaltigkeit setzen, lässt sich eine Menge an Ressourcen einsparen.“

Nicht von Pappe – oder doch? Der Pavillon im Projektraum sollte eigentlich im Frühjahr 2020 auf der Architektur-Biennale in Venedig ausgestellt werden, die coronabedingt abgesagt wurde. Er besteht fast ausschließlich aus Papierelementen. Lediglich Schrauben und Winkel sind aus Metall. | Foto: h_da/Jens Steingässer

 

Pappträger im Stresstest

Das interdisziplinäre Projekt „Bauen mit Papier“ startete vor vier Jahren. Acht Expertinnen und Experten von drei Hochschulen – TU und Hochschule Darmstadt sowie die Technische Hochschule Mittelhessen – haben sich dafür zusammengetan: Papieringenieure, Architekten, Maschinenbauer, Chemiker, Bau- und Umweltingenieure. Büters Spezialgebiet in diesem Projekt sind sogenannte „leichte Halbzeuge“ – Stäbe und Platten aus Papier, die zu größeren Bauteilen wie Dachbindern oder Fassadenelementen zusammengefügt werden können. Schritt für Schritt optimiert er mit seinem Team Material und Konstruktion. Ausgangsstoff ist eine Art Pappmaché. Es wird durch Zugabe naturbasierter Klebstoffe wie Leim oder Kleister formbar gemacht und mit Naturfasern wie Flachs oder Leinen verstärkt. So entsteht beim Trocknen und durch vielfaches Schichten ein festes, beständiges, aber auch dimensionierbares Material.

Und hier beginnt die eigentliche Wissenschaft: Wie kann man mit solchen Papp-Elementen maximale Tragkraft erreichen? Büter zieht ein langes, rechteckiges Kartongebilde aus einem der Stapel. Unspektakulär. Könnte der Paketbote hier abgestellt haben. Doch das Innenleben dieses Papierträgers ist das Ergebnis jahrelanger Forschung: „Durch geschickte Formgebung des Querschnitts erhöhen wir die Festigkeit“, erläutert der Ingenieur. „Der Karton wird von innen durch Querelemente verstärkt. Je nachdem, wie man sie anordnet, hält der Träger mehr oder weniger Druck stand.“ Dutzende solcher Träger hat Büter konstruiert und einem Stresstest unterzogen. Der Beste seiner Art hielt anderthalb Tonnen stand, das entspricht grob dem Gewicht von sechs Klavieren oder einem mittelgroßen Auto.

So gelang es Büter erstmals, Bauteile aus Papier zu entwickeln, deren mechanische Eigenschaften im Voraus exakt berechnet werden können: „Bislang gab es auf diesem Gebiet nur Erfahrungswerte. Jetzt haben wir die wissenschaftlichen Grundlagen, um Bauteile zu konstruieren, die bestimmte Lasten tragen können und Sicherheitsstandards gerecht werden.“ Ein Meilenstein, denn nur so können Architekten und Statiker ein Gebäude sicher planen. Schließlich soll auch in einem „House of Cards“ niemandem die Decke auf den Kopf fallen.

 

Mischen, falten, formen, schichten, pressen – und dann die spannende Frage: Wie fest ist die Platte aus Pappe? | Foto: h_da/Jens Steingässer

Und was machen die, wenn es regnet?

Bleiben noch die mächtigsten Feinde der Pappenheimer: Feuer, Wasser und alles, was Büter als „Gammel“ bezeichnet. Die etwas boshafte Frage „Was machen Sie, wenn es regnet?“ nimmt der Wissenschaftler inzwischen mit Humor, denn auch hier geht es voran: „Beim Thema Wasserbeständigkeit ist mein Kollege aus der Chemie mithilfe von Imprägnierflüssigkeiten weit gediehen.“ Eine weitere Beschichtung sorgt für den nötigen Flammschutz. Zwar wird das Recyceln dadurch erschwert, doch ein entscheidender Vorteil bleibt: Papier ist ein nachwachsender Rohstoff, es besteht zum größten Teil aus Holz.

Das Projekt „BAMP!“ läuft Ende dieses Jahres aus. Für die Forscherinnen und Forscher geht es in den kommenden Monaten darum, Industriepartner zu finden: Die neuen Bauteile sollen schon bald produziert und benutzt werden. Wer nicht dran glaubt: Auf dem Campus Lichtwiese der TU Darmstadt hat das Team ein Papierhaus errichtet, das in den kommenden Jahren Wind und Wetter trotzen soll. Der erste Langzeittest läuft – und das nachhaltige Bauen ist einen großen Schritt weiter.

 

Gastbeitrag

Christina Janssen schreibt als Redakteurin für das Wissenschaftsmagazin „impact“ der Hochschule Darmstadt (h_da) und als freie Autorin für den Deutschlandfunk. Langfassung und Fotogalerie zu diesem Beitrag findet Ihr online auf: h-da.de/impact.