Foto: Feministischer Streik Darmstadt

Die Welt verändert sich. Und mit ihr unsere Gesellschaft, deren Bedürfnisse und Werte. Wenn Du nach einem Auslöser suchst, suche nicht mehr. Vollkommen vorhersehbar. Corona. Die Pandemie hat vieles auf den Kopf gestellt – im Guten wie im Schlechten. Sie wurde zum Lackmustest für Schwächen im System. Das dokumentieren unter anderem der Rückfall in alte Rollenbilder im Haushalt, das permanente Jonglieren zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung, Personalmangel in Kitas, die Unterbezahlung der Pflegekräfte. Es sind immer noch überwiegend Frauen, die sich um Haushalt, Kinder, Pflege kümmern. Am Internationalen Frauen*tag am 08. März gehen die Aktivist*innen des Feministischen Streiks Darmstadt auf die Straße und kämpfen dafür, dass diese Arbeit finanziell als auch gesellschaftlich anerkannt wird. Wir fragten Gerti Wolf, Giulietta Bender, Laura Guntrum nach ihrer globalen Agenda, welche Alternativen es für die Zukunft gibt – und danach, wie auch Du unsere moderne Gesellschaft aktiv mitgestalten und gerechter machen kannst.

Wer ist an der Arbeit hinter den Kulissen des Bündnisses Feministischer Streik in Darmstadt beteiligt?

In Darmstadt hat die Interventionistische Linke 2016 den internationalen feministischen Kampftag wieder auf die Straße geholt. Unter dem Motto „Unser Feminismus ist antirassistisch“ positionierten sie sich nach der Kölner Silvesternacht gegen die Behauptung, Sexismus sei ein importiertes oder gar migrantisches Problem. Mit einem Stuhlstreik am 08. März 2019 gründete sich dann das Bündnis Feministischer Streik Darmstadt. Im Streikbündnis sind wir über zehn Aktive – private Einzelpersonen und aus Organisationen. Wir treffen uns ein- bis zweimal monatlich und planen Aktionen zu Anlässen wie dem 08. März, dem Safe Abortion Day (Tag für sichere Schwangerschaftsabbrüche am 25. September), dem Tag gegen geschlechtsspezifische Gewalt (am 25. November) oder gegen Feminizide. Das Bündnis sieht sich als Teil der globalen Bewegung. In über 50 Ländern haben FLINTA* (Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre, trans und agender Menschen) 2017 zum International Women’s Strike am 08. März aufgerufen – für gleiche Bezahlung, gegen häusliche Gewalt und Feminizide und für körperliche und sexuelle Selbstbestimmung. [Anm. d. Red.: Bereits beim ersten Women’s Strike for Equality am 26. August 1970 marschierten Tausende Frauen durch New York und weitere Städte in den USA.]

Am diesjährigen Weltfrauen*tag findet der feministische Widerstand zum fünften Mal (online oder offline) in Darmstadt statt. Welche Themen werden in diesem Jahr hervorgehoben?

2022 rücken wir die Sorgearbeit in den Mittelpunkt – unter den bundesweit gemeinsamen Slogan: ,Überlastet, ungesehen, un(ter)bezahlt. Wir streiken! Gemeinsam gegen Patriarchat und Kapitalismus‘. Wir wollen die unbezahlte Sorgearbeit, die wir täglich leisten, niederlegen und gemeinsam mit Beschäftigten in Kitas, Einrichtungen für behinderte Menschen und anderen sozialen Einrichtungen für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. In diesen Berufen sind über 80 Prozent der Beschäftigten FLINTA*. Doch die Belastung in diesen Berufen bekommen nicht nur die Beschäftigten zu spüren, sondern auch alle, die zu Hause Sorgearbeit leisten. Schlussendlich gehen gute Bedingungen in diesen Berufen uns alle etwas an, denn jede*r braucht früher oder später Hilfe und Unterstützung – egal ob im Krankheitsfall, im Alltag oder im Alter. Als FLINTA* leisten wir einen Großteil der unbezahlten Arbeit im Privaten, verdienen weniger Geld, sind häufiger von Altersarmut betroffen und Gewalt gegen uns steigt seit Jahren. Die Klimakrise, Europas Grenzregime und antisemitischer Hass machen uns bange, die neoliberale Politik mit der Streichung von Sozialleistungen bei steigenden Mieten und Kosten für das alltägliche Leben macht uns das Leben schwer. So kann es nicht weitergehen!

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Wirtschaft und Politik sind rasant. Wie wirkt sich die Corona-Lage auf Gleichstellung und Sorgearbeit aus?

Unsere Arbeit hält nicht erst seit der Covid-Pandemie unter prekärsten Bedingungen die Gesellschaft am Laufen. Kindererziehung, emotionale Fürsorge von Freund*innen und Familie, Hausarbeit oder die Pflege von Angehörigen erledigen im Privaten vor allem wir. Auch in der Kita, im Krankenhaus, Altersheim oder der Assistenz werden Berufe hauptsächlich von uns ausgeführt, besonders von den migrantisierten FLINTA* unter uns, die oft unter noch prekäreren Bedingungen arbeiten. Es fehlt zunehmend an Personal, Zeit, Material und geeigneten Räumen, um uns angemessen um die Menschen zu kümmern. Wir kommen an unsere körperlichen und psychischen Grenzen und bekommen nicht genug Sichtbarkeit, Anerkennung und Entlohnung. Und die zusätzlichen Belastungen durch die COVID-19-Pandemie machen nicht vor der Haustür halt. Weltweit hat die häusliche Gewalt an FLINTA* zugenommen. Während den Ausgangsbeschränkungen kam es vermehrt zu sexualisierter Gewalt und Vergewaltigungen. Wir müssen dafür sorgen, dass patriarchale Gewalt aufhört und Hilfsorganisationen weiterhin genügend Geld haben, um betroffene Personen zu schützen. Dies ist natürlich keine Symptombehandlung, aber für den Status quo und für die schnelle Unterstützung von großer Relevanz. Auch in Deutschland müssen – unter anderem nach der Istanbul-Konvention – mehr Frauenhausplätze und Plätze für Betroffene von sexualisierter Gewalt geschaffen werden.

Wie kann die Aufwertung der unbezahlten Sorgearbeit erreicht werden?

Um die zum Himmel schreiende Ungleichheit zu überwinden, müssen wir endlich veraltete und männlich dominante Strukturen brechen. Die schlechten Bedingungen in der bezahlten und unterbezahlten Sorgearbeit haben System: Kapitalistische Gesellschaften brauchen die Unterdrückung und Ausbeutung von FLINTA*, um reproduktive Arbeiten billig zu halten. Dabei werden Zeit und Mittel für Sorgearbeit – ob unsichtbar unbezahlt zu Hause oder unterbezahlt im Beruf – so weit reduziert, dass diese Arbeit nicht mehr dazu dienen kann, dass es den Menschen wirklich gut geht, sondern nur dazu, Menschen ausreichend fähig für den Arbeitsmarkt zu halten und lohnarbeitsunfähigen Menschen gerade so ein Überleben zu sichern. Darunter leiden Kinder, Patient*innen, Klient*innen sowie deren Angehörige, und natürlich die Beschäftigten, die systematisch ausgebeutet und bis übers Limit überlastet werden. Sorgearbeit ist das Rückgrat des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Und das nicht erst seit der Corona-Pandemie, vor deren Brennglaswirkung niemand mehr die Augen verschließen sollte. Wir fordern, dass diese Arbeit auch den entsprechenden gesellschaftlichen Stellenwert bekommt, ausreichend Mittel zur Verfügung stehen und sie gerecht aufgeteilt wird – zwischen den Geschlechtern, über Klassen hinweg und ohne Care Chain. Wer Sorgearbeit leistet, darf nicht verarmen oder in Altersarmut geraten.

Wie können Männer die FLINTA* unterstützen?

Es gibt gute Gründe, dass Menschen jeglichen Geschlechts feministisch kämpfen für eine andere und gerechte Gesellschaft. So war auch die Beteiligung an den bisherigen Demonstrationen zum 08. März sehr bunt, im letzten Jahr mit circa 800 Menschen in Darmstadt. Auch in diesem Jahr rufen wir wieder auf, gemeinsam zu streiken und auf die Straße zu gehen. Alle Menschen, die unsere Forderungen teilen, sind herzlich eingeladen, sich zu beteiligen. Wichtig ist jedoch, dass alle Menschen – unabhängig vom 08. März – Solidarität bekunden und sich aktiv für einen Systemwandel einsetzen. Nur so kann langfristig eine gerechtere Gesellschaft entstehen.

 

Equal Care Day am 01. März

Di, 01.03., von 09 bis 18 Uhr, digital und hybrid: Städtekonferenz mit Vorträgen, Workshops und Panels zum Equal Care Day; Tickets und Programm unter equalcareday.de

 

Veranstaltungen des Frauenbüros der Wissenschaftsstadt Darmstadt am 05. März:

Sa, 05.03., von 11 bis 15 Uhr, Luisenplatz: Straßenaktion des Bündnisses „Gemeinsam gegen Altersarmut von Frauen“ und des Frauenbüros zum Equal Pay Day. Unter dem Motto „Pack’s an!“ werden Bürgerinnen und Bürger zu einem Lebensverlaufsspiel eingeladen, das strukturelle Fallstricke weiblicher Erwerbsarbeit sichtbar machen soll.

Sa, 05.03., ab 16 Uhr, Aktivspielplatz im Herrngarten: Netzwerktreffen „Zusammen draußen!“ von Frauenbüro, dem Verein „femkom“ und dem Jugendamt zum Internationalen Frauentag; Vorstellung des Projekts „Vivavittoria – Gegen Gewalt an Frauen!“

 

Darmstädter Aktionen zum Internationalen Frauen*tag am 08. März:

Di, 08.03., 15 Uhr, Friedensplatz (Startpunkt): Demo zum internationalen feministischen Kampftag in Darmstadt

Di, 08.03., von 15 bis 21 Uhr, Georg-Büchner-Platz vorm Staatstheater: Zum Weltfrauen*tag laden die Critical Friends als Prolog der durch Darmstadt wandernden Reihe „Stadtkantine“ zu partizipativen Veranstaltungen ein – mit gutem Kaffee, einer Soundinstallation mit feministischen Statements, Workshops, einer Lesung, Gesprächen und vielen Möglichkeiten zur Begegnung. Mehr unter: www.staatstheater-darmstadt.de/veranstaltungen/frauen-welt-stadt-tag-kantine.1091

Di, 08.03., 15.30 bis 17.30 Uhr, Ludwigsplatz, Darmstadt: Infostand von Amnesty International Darmstadt. amnesty-darmstadt.de

Di, 08.03., von 19 bis 21 Uhr, Stream via instagram.com/verdijugendhessen: Veranstaltung zur Zusammenarbeit der un(ter)bezahlten Sorgearbeiter*innen

 

Kontakt zum Feministischen Streik Darmstadt über: fstreik.da@riseup.net und facebook.com/fstreikda

 

1. Darmstädter Gleichstellungsbericht in Druckform

Abholung ab sofort im städtischen Bürgerinformationszentrum (im Neuen Rathaus, am Luisenplatz 5a) möglich: Mo bis Do, 08 bis 17.30 Uhr + Fr, 08 bis 15 Uhr. Die Online-Version steht unter frauenbuero.darmstadt.de