Foto: Photostudio Wick Natzijl
Foto: Photostudio Wick Natzijl

Punkt zehn Uhr läuten die Glocken und es beginnt zu klackern. Es ist ein stetes Klackern, wie der Hufschlag vieler Pferde. Solch ein Geräusch gibt es in Deutschland so gut wie nie, denn hier tragen die Menschen keine Holzschuhe. Zumindest nicht viele – und schon gar nicht, wenn sie dabei auf Tragebahren gewaltige Laiber mit Käse durch die Stadt schleppen. In Alkmaar ist diese Käseschlepperei seit Jahrhunderten ein elementarer Bestandteil des Stadtbildes. Heute reklamiert der Käsemarkt für sich den Anspruch, die über 400 Jahre alte Tradition der Feilscherei zu bewahren.

Für Touristen ist dieses Spektakel eine nette Retroshow, bei der alles noch so abläuft wie im Jahre 1622, als der Markt erstmals veranstaltet wurde. Weiß bekleidete Männer mit Klackerschuhen wuchten den honiggelben Käse zu Kollegen, die wiederum den Marktwert der Laiber bestimmen. Immer freitags zwischen Frühjahr und Herbst ist in Alkmaar Käsemarkttag. Kenner reservieren sich früh dafür einen Freiluftsitzplatz in einem der hübschen Cafés entlang des Marktplatzes. Sie ordern Appelgebak mit Slagroom und einen Kaffee verkeerk. Dazu riechen sie den markanten Käseduft. Wenn japanische Videofilmer nicht die Sicht versperren.

In gut fünf Stunden Autofahrt gelangt man normalerweise von Darmstadt nach Alkmaar. Da rund um Amsterdam allerdings grundsätzlich Stau ist, dauert die Reise in der Regel eine Stunde länger. Der Alkmaarreisende rollt über ein kluges Ringnetz in die Innenstadt und stellt sein Auto in einem der sehr engen Parkhäusern ab (in denen die Deutschen überall ihre Spuren an den Wänden hinterlassen, weil sie mit den Minivans beim ersten Mal nicht um die Kurven kommen). Wenige Momente steht er schon mitten in der Altstadt: Kleine Kanäle, alte Häuser – und Ruhe. Kein Autoverkehr, allenfalls bimmelnde Fahrradfahrer.

Nach Alkmaar fährt die ganze Provinz Noord-Holland zum Einkaufen – schöner shoppen kann man hier nirgendwo. Da stört auch den Ladenschluss um 18.30 Uhr niemanden. Der Tourist will aber nicht nur shoppen, sondern auch etwas sehen. Der Touristenklassiker ist freilich das Käsemuseum. Wobei das „Nationale Biermuseum“ mit der grandiosen Kneipeneinrichtung inklusive echtem Tressen aus weit vergangenen Tagen als Blickfang. Das Ensemble erinnert an eine Puppenstube. Vor 400 Jahren scheinen hier Zwerge gelebt zu haben.

Alkmaar ist kleiner als Darmstadt, aber die rund 95.000 Einwohner gehen nicht nur in eine schönere Innenstadt zum Einkaufen – sie gehen auch in ein schöneres Stadion, um Fußball zu schauen. Der AZ Alkmaar wurde vorige Saison niederländischer Meister, eine Sensation. Mittlerweile ist Trainer Louis van Gaal bei Bayern München angestellt und AZ steht kurz vor der Insolvenz, weil der Hauptsponsor DSB-Bank pleite ist. Andererseits ist ein finanziell maroder Fußballverein in Darmstadt auch nichts Ungewöhnliches.

Unbedingt ansehen sollte man sich in Alkmaar das Beatles-Museum in der Straße Kanaalkade 28. Es ist leicht zu finden, da es sich auf dem Weg zum Zentrum befindet. Es ist zwar nicht groß, aber voll gestopft mit hübschen Erinnerungsstücken und einem Museumschef, der damals dabei war, in den Sechzigern, als die Beatles in Noord-Holland aufgetreten sind. In einem riesigen Kuhstall, wie man sich heute noch schwärmerisch erzählt.

Foto: Photostudio Wick Natzijl
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Heute geht der kulturinteressierte Alkmaarer zum „Canada Plein“, einem Platz, auf dem eine kulturelle Mischung aus Musik und Neuen Medien unaufdringlich und in harmonischer Gestaltung präsentiert wird, wie es in städtebaulichen Tumoren wie dem „Darmstadtium“ nie möglich sein wird.

Wer fertig ist mit Käse, Bier und den Beatles, benötigt mit dem Auto nur 15 Minuten, um ein Naturidyll zu erreichen. Es sieht aus wie ein Miniatur-Gebirge, ist aber nur eine gewaltige Düne. Diese Düne rund um das Städtchen Bergen ist die größte Noord-Hollands und das Zentrum einer Komposition von Stadt und Natur, wie sie stimmiger nicht sein könnte. In Alkmaar arbeiten und in Bergen wohnen, das ist die perfekte Mischung – wenn man genug Geld verdient. Bergen wirkt wie ein gewaltiges Freiluftmuseum für Architektur aus dem 17. Jahrhundert. Die bewaldete Düne durchquert man mit dem Rad, oder zu Fuß, aber auf keinen Fall mit dem Auto. Dahinter sind das Meer, viel Wind, ansonsten Ruhe. Nicht einmal die Klackerschuhe klackern.