Foto: Johanna Hilbig

Oftmals sind Empfehlungen besonders wertvoll, um Neues zu entdecken. Also fragen wir für Euch namhafte Darmstädter nach ihren fünf liebsten Favoriten in drei Kultur-Kategorien. In unserer ersten Folge stellt Wolfram Knauer, Musikwissenschaftler und Leiter des renommierten Jazzinstituts Darmstadt, uns seine liebsten Tonträger, Bücher und Filme vor und erzählt, warum er gerade diese ausgewählt hat.

 

Top 5 Bücher

Richard Powers: The Time of Our Singing (2003) – deutsche Ausgabe: Der Klang der Zeit

Richard Powers beschreibt durch Musik die Geschichte der amerikanischen Zerrissenheit zu Zeiten der Bürgerrechtsbewegung. Das Buch handelt von den verschiedenen Seiten des Rassismus, von Liebe und Schuldgefühlen, und kommt all diesen Themen durch empathische Beschreibungen musikalischer Kreativität nahe.

Thomas Mann: Doktor Faustus (1947)

Im „Doktor Faustus“ ist es Thomas Mann gelungen, Musik durch Sprache erlebbar zu machen und zugleich musikästhetische Entscheidungen als Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen zu interpretieren.

Arno Schmidt: Brand’s Haide (1951)

„Brand’s Haide“ ist vielleicht einer der „romantischeren“ Kurzromane Arno Schmidts, den ich auch bei wiederholter Lektüre als ungemein intensiv empfunden habe. Bis heute wirken Arno Schmidts Schriften auf mich wie spannende Rätsel, deren Lösung man suchen kann, sie aber nicht finden muss, um ihre Sprachschönheit zu genießen.

James Baldwin: Another Country (1962)

Ein Buch, das den Jazz genauso atmet wie die Großstadtluft New Yorks, das die komplexen Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe im rassistischen Amerika durch das Thema der Liebe zu erzählen versucht.

Alan Rusbridger: Play It Again. An Amateur Against the Impossible (2013) – deutsche Ausgabe: Play It Again. Ein Jahr zwischen Noten und Nachrichten

Alan Rusbridger ist Herausgeber des Guardian, außerdem Amateurpianist, und er entschloss sich 2010, innerhalb eines Jahres Chopins Ballade g-Moll, op. 3 auswendig einzustudieren, während er zur gleichen Zeit beruflich mit den Wikileaks-Enthüllungen zu tun hatte. Sein tagebuch-artig geschriebenes Buch bietet eine faszinierende Lektüre, die Mut macht, auch auf nicht professionellem Level nach dem Höchsten zu streben.

 

Top 5 Tonträger

Duke Ellington: Ellington at Newport (1956), Columbia Records

Eigentlich war Ellington 1956 kurz davor, seine Bigband aufzugeben, dann gab ihm die Publikumsreaktion beim „Crescendo and Decrescendo in Blue“ neuen Auftrieb. Die Aufnahme dokumentiert, welche Kraft hinter dieser damals bereits 20 Jahre alten Komposition steckt und wie ein langes Solo des Tenorsaxofonisten Paul Gonsalves eine ganze Karriere verändern kann.

Earl Hines: Quintessential Recording Session (1970), Chiaroscuro Records

Earl Hines zählte zu den wichtigsten Swingpianisten. Hier sucht er sich zum Ende seiner Karriere Titel einer Aufnahmesitzung aus den späten 1920er-Jahren heraus, die er neu einspielt und dabei in seiner Experimentierlust moderner wirkt als viele weit jüngere Kollegen.

Charles Mingus: Changes One / Two (1975), Atlantic Records

Ich erlebte Charles Mingus im Sommer 1975 zum ersten Mal beim Festival in Antibes. Er spielte Titel dieser Platte, „Remember Rockefeller at Attica“ und „Sue’s Changes“, und die Blues-Verbundenheit, die emotionale Direktheit und die musikalische Kraft dieses Quintetts sind mir bis heute in den Ohren geblieben.

Heinz Sauer + Michael Wollny: Don’t Explain. Live in Concert (2012), ACT

Heinz Sauer ist für mich einer der großartigsten Saxofonisten des Jazz. Er spielte 1997 den ersten Ton im Gewölbekeller des Jazzinstituts. Diese CD, 2012 live in der Stadtkirche Darmstadt aufgenommen, gehört mit zu den intensivsten Produktionen des Duos, das Sauer seit Anfang der 2000er-Jahre mit Michael Wollny pflegt.

Ton Koopman: Johann Sebastian Bach. Das Kantatenwerk (1994-2005)

Bach, sagt man, sei der Vater aller Musik. Und Ton Koopman zeigt, dass „swingen“ nicht nur im Jazz möglich ist. Mich beeindruckt immer wieder die rhythmisch-melodische Kraft dieser Aufnahmen, die aber nicht nur für Jazzer eine Offenbarung sein können.

 

Top 5 Filme

Round Midnight (1986), Regie: Bertrand Tavernier; mit Dexter Gordon

DER Jazzfilm überhaupt! Dexter Gordon spielt einen in Paris lebenden amerikanischen Musiker, irgendwo angelegt zwischen den realen Vorbildern Lester Young und Bud Powell, tatsächlich aber hundertprozentig Dexter Gordon. Seine schauspielerische Leistung wurde für einen Oscar nominiert; er hätte ihn verdient gehabt.

Jack Smith and the Destruction of Atlantis (2006), Regie: Mary Jordan

Ich entdeckte Jack Smith durch Zufall bei einem mehrtägigen Symposium im Frankfurter Mousonturm, bei dem etliche seiner Filme gezeigt wurden. Ich war überwältigt von der Bildkraft, aber genauso davon, dass ich noch nie zuvor von ihm gehört hatte. Diese Dokumentation erklärt ein wenig, warum das so ist …

A Night at the Opera (1935), Regie: Sam Wood, mit den Marx Brothers

Irgendwie konnte ich nie verstehen, dass die Marx Brothers mit ihrem anarchischen Humor in Hollywood Erfolg haben konnten. Merkte denn niemand, dass sie in ihren Späßen alles, aber auch wirklich alles auf den Arm nahmen? In der Geschwindigkeit ihrer Gags sehe ich dabei bis heute eine enorme Weisheit.

As Good As It Gets (1997), Regie: James L. Brooks, mit Jack Nicholson und Helen Hunt

Wahrscheinlich der Film, den ich am häufigsten gesehen habe (und über lange Zeit die einzige DVD in meinem Besitz). Leicht, voller Witz und trotzdem mit viel Tiefe …

Hail Caesar (2016), Regie: Joel and Ethan Coen

Eine köstlich kitschige Satire über das Hollywood der 1950er-Jahre, in der jede Geschichte in eine andere überzugehen scheint, jede Handlung von der nächsten Szene umgedeutet wird. Ich habe selten das Bedürfnis, einen Film mehrmals zu sehen; diesen schon!