Foto: Louisa Galow

Die Pyramiden, der Nil, Urlaub am Roten Meer. Das sind die Dinge, die einem beim Gedanken an Ägypten als erstes in den Kopf schießen. Seit 2011 denken viele wohl auch an den Arabischen Frühling, den Sturz von Mubarak und das anschließende Chaos, über das die Medien hierzulande ausführlich berichteten. Gleichzeitig war das Land der mumifizierten Könige für viele deutsche Touristen damit vorläufig entzaubert. Dass Ägypten, dessen Kultur mit dem Fall der Pharaonen natürlich nicht stehen geblieben ist, viel mehr zu bieten hat, zeigt der Ägyptische Verein Darmstadt. Mit Vorträgen, Ausflügen, Lesungen, Festen – und Begegnungen mit den hier lebenden Ägyptern.

So auch während des islamischen Fastenmonats Ramadan, der von Mai bis Anfang Juni andauerte. Jeden Freitag wird in den Vereinsräumen in der Pallaswiesenstraße gemeinsam das Iftar begangen, das Fastenbrechen nach Sonnenuntergang. Tagsüber wird weder getrunken, noch gegessen – oder geraucht. Doch sobald die Sonne untergegangen ist, beginnt das Schlemmen. Gemeinsam mit Freunden, Familie oder eben im Verein.

Kurz vor Sonnenuntergang steht im Flur zum Vereinszimmer eine Tischreihe mit zahlreichen Speisen, die zu einer kulinarischen Reise in den Orient einladen. Bamia, ein Gemüseeintopf mit Lamm und Okraschoten, Fetir, ein Blätterteig mit Käse, auch „ägyptische Pizza“ genannt und Basbousa, arabischer Grießkuchen. Dazwischen finden sich auch hierzulande bekannte Speisen: Rote Grütze, Streuselkuchen, Quark mit Früchten. Dass jeder Gast etwas mitbringt, führt zu einer bunten Auswahl. Ein paar der Gäste breiten ihre Gebetsteppiche im Flur aus, Blick Richtung Treppenhaus. Drinnen ertönt der Gebetsruf aus einem Handy – er klingt leicht wie Gesang. Über 40 Personen sind gekommen, vorwiegend Studenten.

Da ist zum Beispiel Ziad [Name von der Redaktion geändert], der seit 2011 in Deutschland lebt und seinen Master in Mechatronik macht. Nach seiner Ankunft hat er sofort zum Verein gefunden: „Ich wollte mehr Ägypter kennenlernen, ein soziales Umfeld aufbauen und weniger Heimweh haben.“ Damals waren, so sagt er, weniger Leute aus seiner Heimat hier. Und viele davon schon älter. Das habe sich inzwischen geändert. Seit dem Arabischen Frühling kommen wieder mehr Studenten aus Ägypten nach Deutschland. Er selbst habe damals auf dem Tahrir-Platz für den Sturz der Regierung demonstriert. Ihn störten nicht nur die Militärregierung, der ewige Ausnahmezustand, die Armut und die Korruption, sondern auch das seiner Meinung nach unzureichende Bildungssystem. Er kam für ein besseres Studium nach Darmstadt. Doch es dauerte, bis er sich hier zu Hause fühlte. „Ich reiste alle drei Monate für zwei Wochen nach Hause“, erzählt er. „Erst nach vier Jahren habe ich gemerkt, dass ich so tue, als sei ich hier im Knast, so ging es nicht weiter. Hier ist jetzt meine Heimat.“ Er meldete sich im Fitnesscenter an, begann Gitarre zu lernen, wurde aktiv und bekam mehr deutsche Freunde. Ziad ist inzwischen der Sportreferent des Vereins und wirbt neue Mitglieder an. Auf die Frage, ob es etwas gibt, was ihm die Integration erschwert, sagt er: „Mir wird dauernd diese komische Frage gestellt: Möchtest Du in Deutschland Fuß fassen?“ Er habe nichts gegen die Frage nach seinen Zukunftsplänen, aber bei dieser Formulierung, wisse er nicht, ob die Person möchte, dass er wieder zurückkehrt. „Wenn ich qualifiziert bin und einen Job bekomme, dann bleibe ich.“

Auch Mohammed Alim ist seit 2011 hier. Er studiert Fitnessökonomie und gehört zur ägyptischen Kraftdreikampf-Nationalmannschaft. Er habe sechs Monate gebraucht, um die deutsche Kultur zu verstehen. Dafür hat er sich Youtube-Videos angesehen, zum Beispiel den Channel „Easy German“. Auch seine deutschen Mitbewohner haben ihm dabei geholfen. Er besucht den Ägyptischen Verein Darmstadt zum Iftar, um seine Freunde zu sehen und die ägyptische Atmosphäre zu genießen. „Ich fühle mich hier, als sei ich in Ägypten.“ Und fügt hinzu: „Ich habe hier eine zweite Familie gefunden.“

Jasmin kennt den Verein schon seit ihrer Kindheit. Die 27-Jährige wurde in Deutschland geboren und ist durch ihre ägyptischen Eltern zum Verein gestoßen. „Für mich ist es hier wie ein zweites Zuhause, wo ich mich immer wohlgefühlt habe. Und es ist für Leute fern von ihrer Familie ein schöner Rückzugsort, gerade zu Ramadan.“ Jasmin organisiert den Studenten-Treff, der jeden ersten Freitag im Monat stattfindet, mit.

Freundschaften pflegen, das Heimweh abmildern, Arabisch sprechen, ägyptisch essen – deshalb kommen die Besucher hier zusammen. Es sind dieselben Motive, die den Verein zum Leben erweckt haben. Es war im Jahr 1955: Zwischen der Bundesregierung und Ägypten gibt es einen regen Austausch in Kultur und Wissenschaft. Drei deutsche Schulen existieren im Land am Nil und technisch versierte Fachkräfte bilden sich in Deutschland fort. Einige Ägypter kommen auch nach Darmstadt, an die damalige Technische Hochschule. Sie schlossen sich zusammen, um ihre Kultur und Sprache in der Ferne lebendig zu halten und sich gegenseitig zu helfen.

Damals gab es kein Skype, kein Whats-App, kein Facebook. Telefonate ins Ausland waren teuer und umständlich, Briefe brauchten sehr lange und auch Flugreisen in die Heimat waren für Studenten unerschwinglich. Daher schafften sich die Studenten einen eigenen Raum.

„So richtete sich der Verein auch erst einmal nur an Ägypter“, erzählt Fahima Nokraschi. Die 76 Jahre alte Frau ist seit zehn Jahren Vorsitzende des Vereins. Sie kam 1963 mit dem Schiff über Venedig nach Deutschland, um ihrem Mann zu folgen, der in Darmstadt seinen Doktor in Ingenieurwissenschaft machte. „Wir wollten wenigstens hier nicht Deutsch sprechen müssen”, erinnert sie sich. „Doch wir merkten schnell, dass es für den kulturellen Austausch gut war, Deutsche im Verein zu haben.“ Der Andrang war groß, denn die Deutschen interessierten sich für Ägypten – und auch manche Vereinsmitglieder hatten deutsche Ehepartner. Also gründeten sie den Deutsch-Ägyptischen Freundeskreis. Dieser organisierte Ausflüge zu Ausstellungen, Vorträgen und Lesungen. Während der Ägyptische Verein ein Ort blieb, an dem sich die Besucher auf Arabisch austauschen, ihre traditionellen Speisen genießen und Feste aus der Heimat feiern. Dennoch sind Deutsche und auch alle anderen Nationen stets willkommen. „Wir sind offen für alle“, betont Fahima.

Integration ist zwar nicht das oberste Ziel des Vereins, denn „Ägypter haben die Gabe, sich sehr gut anzupassen“, so Fahima, die sich selbst als international orientiert ansieht. „Unsere Integration funktioniert so, dass wir ein Vorbild sind für diejenigen, die hier ankommen. Wir zeigen ihnen, dass wir was erreichen konnten.“ Zudem ist der Verein bei interkulturellen Veranstaltungen der Stadt präsent, zum Beispiel beim Internationalen Bürgerfest.

Die meisten Besucher beim Iftar sind Studenten, doch der Verein hat auch ältere Mitglieder. Aber die kommen seltener zu den Veranstaltungen: „Deren Kontakt läuft eher über Skype”, sagt Nadia Nokraschi. Sie ist die Tochter von Fahima und hilft im Verein, wo sie kann. Sie hat das Gefühl, dass es früher noch mehr Aktivitäten gab. Ihre Erklärung: „Das Gefühl in der Fremde zu sein, ist nicht mehr so stark wie früher.“ Heute gibt es viele internationale Studenten, Moscheen wurden errichtet, arabische Restaurants eröffneten, Reisen wurden günstiger und Kommunikation dank des Internets schneller. Doch der Verein weiß sich das auch zunutze zu machen: So gibt es zum Beispiel für die jüngere Generation eine Whats-App-Gruppe.

Trotz seines Alters von über 60 Jahren hat der Ägyptische Verein Darmstadt seinen studentischen Charakter bis heute bewahren können. 1955 von Studenten für Studenten gegründet, zieht er auch jetzt noch überwiegend junge Leute an, die zum Studium nach Darmstadt gekommen sind. Nicht nur Ägypter, sondern auch Tunesier, Syrer, Marokkaner, Deutsche. Christen, Muslime und Atheisten, die gemeinsam Ramadan, Ostern, Weihnachten und alte Feste aus der Pharaonenzeit feiern. Es ist ein multikultureller, jugendlicher Ort – und repräsentiert damit perfekt das heutige Ägypten.

www.aev-darmstadt.de

 

Politik und ihre Folgen

Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen dies- und jenseits des Nils hatten auch Einfluss auf den Ägyptischen Verein in Darmstadt. Fahima Nokraschi, seit Anfang der 60er im Verein, hat die Veränderungen miterlebt. Zu dieser Zeit kamen viele ihrer Landsleute über Stipendien des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an die hiesigen Unis. Das legte sich, als die ägyptische Regierung unter Präsident Nasser sich der Sowjetunion annäherte. Doch als Nasser 1970 starb und sich das Land wieder dem Westen zuwandte, kamen vermehrt Studenten nach Darmstadt. „Das war ein richtiger Aufschwung für unseren Verein. Viele der neuen Studenten brachten komplette Familien mit”, erinnert sich Fahima. Auch ab 2011, als die anfängliche Euphorie des Arabischen Frühlings zudem das ägyptische Volk erfasste, nur um dann wieder von der weiteren Entwicklung ernüchtert zu werden, bekam der Verein wieder mehr Zuwachs an jungen Leuten. Was laut Fahima aber weniger an der Revolution als an dem Engagement einiger Mitglieder lag, die den eingeschlafenen Verein wieder wachrütteln wollten – mit Erfolg.

 

Orientalisches Barbecue

Der Ägyptische Verein Darmstadt feiert das islamische Opferfest diesen Sommer mit einer Grillparty. Der Grill steht bereit, die Besucher bringen eigene Speisen mit, auch Shishas sind gerne gesehen. Getränke verkauft der Verein gegen Spende. Und da nicht nur Essen gesellig ist, sondern auch Spiele, gibt es Boule, Federball, Fußball und andere Ballspiele. Auch Backgammon – ein sehr altes Brettspiel, von dem ähnliche Varianten schon vor mehr als 3.000 Jahren im Alten Ägypten gespielt wurden. Orientalische Musik untermalt das Grillfest.

Grillhütte Eberstadt | So, 11.08. | ab 13 Uhr | Eintritt frei, Speisen bitte mitbringen