Sport, der in Darmstadt betrieben wird, und – Trommelwirbel – nicht Fußball ist? Vor lauter Lilienfieber ist’s ein bisschen in den Hintergrund geraten, aber: Jawohl, das gibt’s. Hier stellen wir sie vor, die Sportarten, die (noch) nicht von einem großen Publikum bejubelt werden. Zum Beispiel, weil sie bislang kaum jemand kennt. Oder weil sie eben einfach zu speziell sind, um die Massen zu begeistern. Oder vielleicht, weil man lieber unter sich bleibt? Wir gucken uns das für Euch aus der Nähe an. In dieser Ausgabe: Aerial Yoga.
Fragst du zehn Yogi:nis, was Yoga ist, bekommst du zehn verschiedene Antworten. Fragst du zehn Yogi:nis, wie viele Yogastile es gibt, variieren die Antworten zwischen „3“ und „200“. Google antwortet auf diese Frage mit rund 100, ChatGPT ist mit der Frage überfordert und antwortet ungefähr so diffus, wie ich es tun würde: „Es gibt so viele Yogastile da draußen, dass es schwer ist, eine genaue Zahl zu nennen. Einige der bekanntesten sind Hatha, Vinyasa, Ashtanga, Bikram, Kundalini und Yin Yoga. Jeder Stil hat seine eigenen Besonderheiten und Schwerpunkte.“ So weit, so gut – die meisten dieser Yogastile sind mittlerweile zumindest regelmäßig praktizierenden Yogi:nis bekannt. Und bei allen Unterschieden haben sie eine Gemeinsamkeit: Sie werden auf der Matte praktiziert. Mal langsam und bedacht, mal dynamisch, mal bei 40 Grad Celsius.
Aerial Yoga ist anders. Es kombiniert traditionelle Asanas mit akrobatischen Bewegungen in einem großen Tuch, das von der Decke hängt und die Praktizierenden gleichzeitig in schaukelnde Bewegungen versetzt und im Spiel mit der Schwerkraft herausfordert. Klingt nach ziemlich viel Spaß! Deshalb wurde es dringend Zeit, dass ich das „Yoga in der Hängematte“, wie es gerne irreführend genannt wird, mal ausprobiere. Angeboten wird es in Darmstadt im Balance Yoga in der Kirchstraße sowie im Satya Yoga am Marktplatz – und die Plätze sind stets begehrt. An einem Samstag im Oktober hatte ich Glück und konnte eines der sieben Tücher im einladenden Balance Studio ergattern. Natascha, die ihre Yogalehrerinnen-Ausbildung in Thailand gemacht hat und im Balance einen Vinyasa-Flow- und Aerial-Yoga-Kurs anleitet, hat die Tücher bereits aufgehängt und schaut mit mir nach der richtigen Höhe: „Wenn Du das Tuch zusammenraffst und Dich mit den Händen leicht hineinstützt, sollte es auf Höhe Deiner Beckenknochen, deutlich unterhalb Deines Bauches sein“, erklärt sie mir. Noch schnell eine Matte unter dem Tuch ausgebreitet – und los geht es!
Ein Tuch, zwei Tuchstränge, unzählige Möglichkeiten
Aber Moment: Was für ein Tuch ist das denn eigentlich? Mit einer Hängematte haben die rund drei mal vier Meter großen Tücher, die entweder an einer Ein- oder Zwei-Punkt-Aufhängung befestigt sind und durch Karabinerhaken wie im Klettergurt in ihrer Höhe variiert werden können, wenig zu tun. Zum einen hängen die Tuchenden wesentlich enger beieinander, zum anderen ist der Nylon- oder Polyamid-Stoff durch die querelastische Webung nachgiebiger – was es mir ermöglicht, nach dem Einstieg ins Tuch relativ schnell und halbwegs elegant in eine erste Aerial Asana, den „Reiter“, zu kommen. Dafür raffe ich einen der Tuchstränge zusammen, lehne mich in den anderen und hebe mein Bein durch das Tuch zur anderen Seite. Wenn ich den Tuchstrang hinter mir nun aufziehe, meine Ferse in der Tuchkante platziere und die Beine anwinkele (aus dem Boden-Yoga kennt man diese Position als „Schmetterling“) bin ich sofort in meiner eigenen kleinen Welt und kann hier in eine kleine Meditation starten. So weit, so entspannt!
Doch dann kommen wir in Bewegung. Allein der erste Ausstieg aus dem Tuch via Rolle rückwärts ist eine kleine Überwindung – und das wird nicht die letzte bleiben! Neben Balance-Übungen wie dem „Baum im Tuch“ (ein Fuß steht im Tuch, der zweite ist einmal um den Tuchstrang gelegt), die mein Gleichgewicht und meine Rumpfstabilität ordentlich herausfordern, gibt es nämlich auch viele Asanas, die mein Vertrauen in Nataschas Anleitung, das Tuch und vor allem meinen eigenen Körper an seine Grenzen bringen. Etwa, wenn wir uns aus dem Schulterstand im Tuch in den „Vampir“ fallen lassen und das Tuch plötzlich nur noch Schultern und Unterschenkel hält. Dieses Fallenlassen, Loslassen ist es aber tatsächlich, was mir am Ende der Stunde am positivsten in Erinnerung bleibt: Das Überwinden der eigenen Ängste und der entscheidende Schritt aus der Komfortzone, der mich dazu bringt, wortwörtlich die Perspektive zu ändern.
Dann fliege ich kopfüber in der „hängenden halben Taube“, spüre, wie sich der Stoff um meine Hüfte schmiegt und das Blut in meinen Kopf fließt, und auf einmal wird wirklich alles ganz leicht. Und: Die Schmerzen im unteren Rücken, mit denen ich morgens aufgewacht war, sind endgültig weg.
Die Komfortzone verlassen und gelenkschonend abhängen
Natascha weiß als praktizierende Physiotherapeutin genau, wie positiv sich Aerial Yoga auf den Körper auswirkt: „Wir machen im Tuch viele Asanas, die die Muskeln stärken und die Gelenke flexibel machen, wie beim Bodenyoga auch“, erklärt sie. „Das Schöne im Tuch ist aber, dass kein Gewicht auf der Wirbelsäule lastet und die Gelenke entlastet werden: In den Umkehrhaltungen etwa hast Du keinen Druck auf Deinen Bandscheiben und kannst Dich so richtig schön aushängen lassen.“
Darüber hinaus, merke ich, kann ich im Tuch Asanas ausprobieren und vorbereiten, für die ich vom Boden aus noch nicht genug Kraft habe – den Handstand oder den „Skorpion“ etwa. Das motiviert ungemein und macht Lust auf mehr! Doch nach einer knappen Stunde werden die Bewegungen im Raum ruhiger, bis wir uns schließlich mit einer letzten Mutprobe nach hinten ins geöffnete Tuch fallen lassen und im „Shavasana“ landen. Mit den Tuchenden über den Füßen, den Armen und dem gesamten Kopf im Tuch – und dann trifft das mit der Hängematte plötzlich doch noch zu. Ich schließe die Augen, das Schaukeln des Tuchs erinnert mich ans Meer, mit ein bisschen Fantasie hängt mein Tuch plötzlich zwischen zwei Palmen am Strand. Wie in einem Kokon fühlt man sich beim Shavasana im Tuch, geborgen und gehalten. Da bekommt das „Alles loslassen“ in der Endentspannung noch mal eine ganz andere Bedeutung.
Aerial Yoga in Darmstadt
Vor jeder Aerial-Yoga-Stunde solltest Du jegliche Schmuckstücke ausziehen und darauf achten, keine Kleidung mit Reißverschlüssen zu tragen, damit keine Löcher in den Tüchern entstehen. Auch auf Make-up darfst Du zum Schutz der Tücher gerne verzichten. Zudem werden Oberteile mit Ärmeln empfohlen.
Balance Yoga: Kirchstraße 4, Innenstadt | balanceyoga.de/darmstadt
Satya Yoga: Marktplatz 5, Innenstadt | satyayoga.de