Gestaltung: Silke Widdericht
Gestaltung: Silke Widderich

„Das ist mir zu Yoga.“ Als ich diesen Satz vor einigen Jahren von einer Arbeitskollegin hörte, schüttelte es mich bis ins letzte Atom. Hatte sie damals wohl noch die Intention, mit diesem Kommentar lustig zu wirken, nimmt besagte Kollegin derweil selbst die wöchentliche fast schon zum Pflichtprogramm eines trendbewussten Bürgers gehörende Yoga-Stunde in einem Fitnessstudio in Anspruch. Der Begriff „Yoga“ ist mittlerweile in fast jeden Haushalt vorgedrungen, selbst die „Bunte“ wirbt damit auf dem Titelblatt und das Dorf Ueberau bei Reinheim hat gar ein eigenes Yoga-Zentrum.

Es ist mittlerweile also allgemein bekannt, dass Yoga seine Wurzeln mehrere tausend Jahre zurückliegend in Indien hat, und dass jene, die Yoga intensiv praktizieren, ihren Körper mitunter extrem zu verdrehen und verbiegen vermögen. Was sich aber tatsächlich hinter diesem Begriff verbirgt, wissen die Wenigsten. Grob verkürzt beschreibt der legendäre indische Gelehrte Siddha Patanjali Yoga vielmehr als eine innere Haltung vollkommenen Gleichmuts – anstatt ihn auf das bloße Ausführen einzelner Körperstellungen oder anderer Techniken zu reduzieren. Diese sind lediglich Mittel zum Zweck, sind also nicht Yoga selbst, sondern der Weg zum Yoga.

Wie man nun diese innere Haltung des Gleichmuts entwickeln kann, lehrt die Yoga-Schule. Gewähren wir uns hierzu einen ganz persönlichen Einblick in den Werdegang eines „Darmstädter Yogis“:

Gestaltung: Silke Widderich
Gestaltung: Silke Widderich

Mein Yoga-Weg begann 1997. Müde war ich des nächtelangen Herumziehens auf der Suche nach einem Quäntchen Glück. Ein guter Freund gab mir zwei verstaubte Bücher aus dem Regal seines Vaters: Paul Bruntons „Von Yogis, Magiern und Fakiren“ und Yoganandas Autobiografie. Sie schlugen ein wie der Blitz und nicht eine Sekunde zweifelte ich an ihrer Authentizität. Da war er also, der richtungsweisende Impuls. Es brauchte noch eine Weile von der Theorie zur Praxis, aber letztlich fand ich den Weg in das damals einzige Yoga-Zentrum Darmstadts. Körperliche Entspannung und eine zufriedene innere Haltung waren das Resultat der ersten Yoga-Stunde. Mit meinen 21 Lenzen war ich aber der weitaus jüngste und vitalste Teilnehmer unter all diesen Menschen, die meine Eltern oder Großeltern hätten sein können. Ich fühlte mich weder ausgelastet noch emotional am richtigen Platz.

Der nächste Kurs war ein Angebot der VHS Darmstadt. Mit allerlei Hilfsmitteln wie Korkblocks, Gurten und Stühlen praktizierten wir den sehr intensiven Hatha Yoga nach B.K.S. Iyengar. Auch mit dem Lehrer hatte ich Glück: Bei ihm fand ich Inspiration und Motivation. Zumindest eine Zeit lang. Dann verließ er Deutschland, um auf den Fidschi-Inseln im Ashram seines Gurus zu leben.

In Eigenregie versuchte ich danach in meiner freien Zeit wechselweise Iyengar-Yoga zu üben und die Lehrbriefe Yoganandas zu studieren. Es blieb meist beim Versuch. Zu anstrengend und unstrukturiert erschien mir Iyengars Yoga und zu trocken die theoretischen Abhandlungen Yoganandas. Dann fiel mir ein Buch des indischen Lehrers Sri Sri Ravi Shankar (nicht der indische Musiker Ravi Shankar!) mit dem Titel „Gott liebt Spaß“ in die Hände. Das klang vielversprechend! Die praktische Essenz seiner Kurse war eine für mich unglaublich kraftvolle Atemtechnik, die mich binnen weniger Minuten aus der aufrecht sitzenden Position in die Waagerechte katapultierte!

Der richtungsweisende Impuls

Zahlreiche Kurse, wöchentliche Sitzungen und fast tägliches Üben: Fünf Jahre blieb ich Sri Sris „Art of Living“ treu, bis es mich weiter zog. Ich kehrte dorthin zurück, wo ich mich am Anfang meiner Odyssee durch den Yoga-Dschungel befand. In Yoganandas Autobiografie las ich einst über die mythologische Figur Babaji. Seine Faszination auf mich war nie verebbt. Als ich sein Bild auf dem Cover eines Buches sah, kaufte ich es, las es und wurde – wie man im Yoga-Slang zu sagen pflegt – „eingeweiht“ in die Techniken des Kriya Yoga. DAS war es und ist es noch heute, sieben Jahre später. Seit 2006 unterrichte ich selbst Babajis Kriya Yoga. Es wirkt positiv auf sämtliche körperliche Funktionen, die Regulation von Emotionen, die Konzentrationsfähigkeit und das Auflösen von Egoismus.

So weit mein Weg zum Yoga-Lehrer. Doch wie verläuft eigentlich eine typische Yoga-Stunde bei mir?

Gestaltung: Silke Widderich
Gestaltung: Silke Widderich

Nachdem von uns direkt nach der in Rückenlage praktizierten Anfangsentspannung allen Ernstes verlangt wird, wieder aufzustehen, begegnen wir zunächst der Pein. Erste Dehnungen erinnern uns an den Mangel körperlicher Geschmeidigkeit. In der ersten Übungsabfolge, dem Sonnengruß, kommen wir außer Atem. In weiteren Asanas werden wir aufgefordert, der recht intensiven Dehnung und der damit verbundenen Anspannung nicht auszuweichen, sondern diese zu halten, sie auszuhalten, uns dabei zu beobachten und gar eine innere Haltung von Hingabe zu entwickeln.

Die ersten Schweißperlen bilden sich auf unserer Stirn, Ungeduld kommt auf. Außerdem muss man GENAU JETZT dringend ein Stück – oder besser eine ganze Tafel – Schokolade essen. Und etwas trinken. Und pinkeln. Aber nein, bitte „hingebungsvoll in der Haltung bleiben“. Gut, dass man da nicht alleine durch muss. Beruhigend: Andere ächzen und stöhnen genauso. Und irgendwann ist es dann doch geschafft. Es geht zurück in die mittlerweile lieb gewonnene Rückenlage zur finalen und vollständigen Entspannung, in die uns die sanfte Stimme des Übungsleiters trägt. Nach dem abschließenden Singen des Friedensmantras ist tatsächlich etwas geblieben von einem fast vergessenen Körpergefühl: entspannt, aber vital zugleich, begleitet von einem Moment des klaren Geistes, der uns zuflüstert: „90 Minuten sind nicht nur auf dem Sofa vor einem Champions-League-Spiel gut investiert … .“

In diesem Sinne: Om Shanti Shanti Shanti.*

* Shanti steht für die innere Haltung des Gleichmuts und des Seelenfriedens.