Foto: Jan Ehlers

Ihre Mission: „Breaking down the established boundaries of musical genres and creating something new while doing so – that is Besidos!“ That was Besidos, wird es leider schon bald heißen. Nach 15 Jahren endet die Bandgeschichte am 23. November mit einem garantiert fulminanten „Adios Besidos“-Konzert in der Knabenschule und dem Release des vierten Albums „Helsinki“.

2005 starteten Hüseyin „Bürgermeister“ Köroglu, Wendelin Hejny, Daniel Malkmus und Peter Zettl als B-Sides und interpretierten westlichen Coca-Cola-Pop und Indie-Hits instrumental. Ab etwa 2007 transformierten sie diese Songs peu à peu in süd-ost-europäische Klangwelten. Auch immer mehr Traditionals und Genre-Klassiker kamen auf die Setlist der selbst ernannten Raki’n’Roll-Band. Ab 2010 – nun auch offiziell als Besidos – schrieben die vier Darmstädter immer häufiger eigene Songs, die „nationale Grenzen auflösten und stilsicher durch die musikalische Kultur Europas wanderten“. Chapeau, Jungs! Darauf mindestens einen eisgekühlten Raki! Das P traf zwei Besidos, Hüseyin und Peter, zum Abschiedsinterview.

 

P Magazin [gibt alles]: Ihr löst Euch nicht wirklich auf, oder? Das ist doch nur wieder so ’ne billige PR-Nummer …

Hüseyin [lächelt milde]: Dass Du einen PR-Gag vermutest und die Leute es vielleicht traurig finden, zeigt ja, dass es ein guter Zeitpunkt ist, die Band aufzulösen. Bevor es zur Gewohnheit wird, auch für uns …

Also ist wirklich Schluss mit den Besidos Ende November. Uff! Überwiegt der Schwermut oder eher die Erleichterung?

Peter: Es fühlt sich vollkommen richtig an.

H: Wir leben, glaube ich, in Zeiten, in denen wir die Komfortzonen verlassen sollten, weil wir sie sowieso verlassen müssen. Wir machen uns auf den Weg, die Karawane zieht weiter.

Warum wurden die Besidos zur Komfortzone?

P: Wir haben das mehr als vierzigmal gemacht im Jahr. Manchmal ist es dann wie ins Büro zu gehen. Es klingt nur aufregender. Wir vergessen aber natürlich nicht die vielen Gigs, die was Besonderes waren: die Hochzeit im Odenwald, wo uns anfangs keiner kannte und am Ende springen alle – die punkige Enkelin und die Oma aus Schlesien – wild herum. Oder Orte im Ausland, bei denen ich nie dachte, dass ich dort mal hinkomme. Aber zwischendurch hast Du halt auch so Dienstleister-Auftritte … Das hat dann irgendwann nicht mehr zu den Lebensentwürfen aller gepasst.

H: Komfortzone auch deswegen, weil wir uns über 30 Jahre kennen und es sehr einfach ist, zusammen ziemlich viel Impact zu erschaffen, weil wir dafür so gut wie gar nicht arbeiten müssen. Das ist halt sehr komfortabel. Wir waren ja schon 1989 bis 1992 in einer Band [bei „Manhattan“, den „Toto von Darmstadt“, spielten – außer Daniel – alle Besidos, außerdem: Gyso Hilger (Tobsucht), Jens Knauf, Marcus Schnierle und Ricardo Villalobos].

Die Vorliebe für die zigane Musik Südfrankreichs, des Balkans und der Türkei sowie Griechenlands Rembetiko sind Inspiration für den Klang der Besidos. Damit hattet Ihr einen klares Alleinstellungsmerkmal als Band – weit über Darmstadts Grenzen hinaus.

H: Ja, Mann! Leider. Warum zum Teufel wissen wir nicht, wie unsere nächsten Nachbarn feiern? Wissen aber alles über Popkultur, vor allem die amerikanische und britische.

Durch die Digitalisierung der Musikwelt (Spotify und Konsorten) ist es – bei allen Nachteilen – aber schon einfacher geworden, die westlich-popkulturellen Scheuklappen abzulegen, oder?

H: Ja, es wird alles normaler – und Du bekommst alles mit, wenn Du willst.

P: Nur, was uns passiert ist, das war eher: Dass wir da hingekommen sind, Leute getroffen haben und alles direkt von den Menschen gelernt haben. Also ganz analog und persönlich.

Ihr seid ja echt gut rumgekommen in diesen 15 Jahren, habt auch in Frankfurt, Wiesbaden, Paris, Athen, Skopje, Sarajevo, Istanbul und Çesme gespielt. Wie kam es dazu?

H: Der Mazedonien-Gig kam dadurch zustande, dass der Sohn des Veranstalters in Darmstadt studiert und im An Sibin gearbeitet hat. Er fand uns schon als B-Sides cool, bekam aber auch unsere Transition zu den ziganen Besidos mit. Der erste Gig, zu dem wir eigentlich als B-Sides gebucht waren, aber quasi schon voll die Gypsy-Nummer durchgezogen haben, war auf der Eberstädter Kerb 2010. Da waren natürlich die ganzen Ex-Gypsys aus Süd III vor Ort und das war total das Brett! Das hat uns ermutigt, das weiter auszuspielen, was dann zum ersten Album „Persiflajlar“ (2011) geführt hat. 2011 bis 2013 waren so Transitionjahre, da haben wir viel im Ausland gespielt. Im Juli 2011 kam die Einladung nach Mazedonien [Auftrittsort: ein antikes Amphitheater!]. Auf dem Weg zum Flughafen rief dann mein Freund Hakan aus Istanbul an und fragte mich, wann denn gute Slots für Istanbul wären. „Wow, läuft ja wie geschnitten Brot, das Ganze“, dachte ich mir da. [Lacht.] Also spielten wir in Beyoglu [damals: das Ausgehviertel in Istanbul], right on the spot, und dort wiederum hat der Öner gearbeitet, der beim Istanbuler Festival „Hidirellez“ in Parkorman 2012 als Booker dabei war. Der hat uns dann da hingeschafft. So haben wir „aus Versehen“ in Mazedonien mit Imam Baildi aus Griechenland gespielt und ein halbes Jahr später mit Burhan Öçal, Baba Zula und Dubioza Kolektiv in Istanbul. Auf einmal waren wir mittendrin.

Die genannten Bands und Künstler sind ja alle auf Eurem Abschiedsalbum „Helsinki“ als Gastmusiker dabei …

H: Ja, ich hatte allen in einem entspannten Moment mal ne Mail geschrieben, ob sie Bock hätten, mal ’n Tönsche beizutragen.

P: Wir hatten ja auch schon Raki zusammen getrunken mit denen, backstage oder im Hotel. [Lacht.]

H: Ich dachte trotzdem ganz devot „vielleicht antworten mir drei“. Dann haben aber alle geantwortet: „Yes, it’s a big pleasure for us! We are honoured …“ [Schwärmerischer Blick.]

Wie läuft so eine Zusammenarbeit technisch ab?

H: Der Hakan hatte einen Kumpel, den Nurullah, der ein richtig cooles Studio in Sisli [Istanbuler Stadtteil] betreibt. Dort konnten wir die Leut‘ dann hinschicken. Da ist zum Beispiel der Coşar Kamçi von Baba Zula hingegangen und hat seinen Kram für drei Tage aufgebaut. Ich saß hier im Martinsviertel im Orange Box Studio und wir haben uns über Skype besprochen, Files verschickt und all das. Andere haben im eigenen Studio aufgenommen und uns die Aufnahmen geschickt.

P: Das Geile daran finde ich immer noch: Nachdem die ganzen Jungs ihr Zeug gespielt und wir uns das angehört hatten, haben wir unsere Takes noch mal komplett neu eingespielt. Wir waren einfach nicht auf Augenhöhe mit denen. Wir mussten lernen und unsere Sachen besser machen, damit das zusammenpasst.

H: Wenn man uns als gute Band in diesem Gefilde bezeichnen möchte, dann lag das auch an diesem Lernprozess. Das war so krass, was die abgeliefert haben! Wir haben sieben Jahre lang produziert an diesem Album, haben es letztendlich dreimal aufgenommen. „Helsinki“ ist unser Hauptwerk, unser „Abbey Road“. So kamen wir in drei Schritten: von den Coverversions zu eigener Musik.

[Schwelgerisch] … zur universellen Weltsprache Musik … ?

H: Wir sind ja ganz schlimme, arme Kinder der 80er – mit White Lion, Bon Jovi, Kingdom Come, Saga und Toto aufgewachsen – dann ist das schon ein ganz schöner Schritt, auf einmal fachkundig zu sein in der musikalisch-kulturellen Übersetzung von Middle East nach Central Europe. Und wir haben uns das ja nicht ausgesucht, das ist uns einfach passiert.

Ihr habt Euch wirklich gemausert: von der „Coca-Cola-Rockband im Sommerurlaub“ [Zitat Hüseyin] zu kulturellen Brückenbauern, „Datterich 2.0“-Soundtrack-Komponisten und „Soundkitchen“-Integrationsprojektleitern im Staatstheater. Aber das kam alles ganz organisch, oder?

P: Ja, es gab da keinen Masterplan. [Lacht.] Die Frage ist ja, wenn Dir so etwas passiert: Nimmst Du’s an? Das ist vielleicht unsere Leistung: Dass wir offen dafür waren.

H: Wir haben dabei auch persönlich viel gelernt. Zum Beispiel, wie die Welt aussieht, wenn man die außereuropäische Brille aufgesetzt bekommt. Die verdichtete Multikulturalität hat uns spätestens 2013 politisiert. Wir waren im März 2013 in Istanbul – und zwei Monate später brannte der Taksim-Platz. Wir hatten unseren Gig beim Schlossgrabenfest und dafür den Coşar aus Istanbul eingeflogen. Nach der ersten Probe hingen wir die ganze Nacht vor den Rechnern. Auf der Istiklal Caddesi sah es aus wie nach dem Krieg. Dann waren wir alle auf einmal direkt involviert. Die Leute, mit denen wir gefeiert und die uns applaudiert und so krass geholfen haben, kämpften auf einmal im Pfefferspray und Tränengas um für uns ganz normale Dinge.

Durch die Gezi-Proteste und die direkt betroffenen Freunde fand also das Politische den Weg in Eure Musik?

H: Wir haben schon 2011, 2012 ganz viele Syrer kennengelernt und Freundschaften geschlossen, weil eine Freundin von uns aus Darmstadt ein halbes Jahr in Damaskus gelebt hatte. Deren Freunde waren auf einmal im Exil in Istanbul. Da haben wir uns damals schon gefragt: Mal sehen, wann das hierher schwappt? Für die Politik kam das dann ja scheinbar total überraschend. [Schüttelt den Kopf.] Wir waren dann auf einmal an einem ganz anderen Puls – und der war ein bisschen vorne dran vor dem, was hier in großer Gemütlichkeit und Selbstzufriedenheit abläuft. Da gab’s bei uns auf einmal Hunger. Es bekommt einfach eine ganz andere Konnotation, ob Du „Killing in the name of“ zum Spaß im 9/8-Rhythmus gespielt hast, oder ob das plötzlich der Protestsong ist, den Du zusammen mit Dubioza Kolektiv als Solidaritäts-Track auf Youtube raushaust.

Wenn man diese spannenden gemeinsamen Erlebnisse und Geschichten hört, kann man sich noch schwerer vorstellen, dass die Besidos sich jetzt wirklich auflösen …

H: Wir zerstören ja nur die Coca-Cola-Plastikflasche, die Hülle. Aus einem Spaß-Projekt ist sehr viel Lebensinhalt geworden. Das Wichtigste ist ja aber: Wir werden auch die nächsten 40 Jahre Freunde sein.

P: Wenn Leute unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie das Schiff zu steuern ist, ist es manchmal besser so. Weil die Freundschaft wichtiger ist als die Band.

H: Die Magic von Besidos lag ja darin, dass wir zusammen Abenteuer erleben. Aber die Vorzeichen sind im Moment eben nicht abenteuerfähig. Da zwingste die Kuh halt net aufs Parkett irgendwie.

Und weshalb sind die Vorzeichen „nicht mehr abenteuerfähig“, was hat sich verändert?

P: Jeder lebt so sein eigenes Leben, hat Jobs, hat seine eigene Reiseflughöhe.

H: Jeder hat auch ein eigenes Bedürfnis der Reiseflughöhe. Der eine findet’s voll okay, mit dem Ballon ein bisschen über die Lande zu kurven. Und der andere möchte vielleicht trotzdem noch mal wissen, wo die Stratosphäre endet. Deswegen muss man sich ja nicht streiten.

Was hofft Ihr, bleibt bei Eurem Publikum hängen als „Besidos Spirit“?

H: Was mich an dieser Balkan-Party-Scene immer gestört hat: Das ist halt einfach nur die Party … hoch die Tassen und den Arsch gewackelt. Aber die Party entspringt einem ganz anderen Geist. Es ist schon interessant, wie subversiv-intelligent-kritisch die Menschen, die nicht zum „Club der glücklichen EU’ler“ gehören, auf die Welt blicken. Die haben einen supercoolen, tiefgründigen Humor, der eigentlich auch aus der Musik und den Partys spricht. Das sollte man einfach wissen. Von alleine followed das brain nicht, wenn man den ass mooved.

Bei Euren Konzerten entsteht immer ein Gemeinschaftsgefühl, das Publikum lässt sich im positiven Sinne gehen, am Ende tanzen alle zusammen und fühlen sich united. Wie macht Ihr das?

H: Wir wären schon gerne von Anfang an an dem Ort, wo alles total egal ist. Wir freuen uns, wenn die Leute etwas mitnehmen können. Und auch Gemeinsamkeiten entdecken. Wenn der 9/8-Takt der Bauchtanz-Groove in der Türkei ist, ist interessant zu sehen, dass der „Walkürenritt“ von Richard Wagner auch in 9/8 notiert ist. Das ist eben nicht nur Türkenkram. Wir wissen eben sehr wenig über uns selber. Wenn Du aber mehr über Dich selbst weißt, dann hast Du auch nicht so viel Schiss, den anderen zuzulassen, der „so anders“ ist.

Und was bleibt für Euch hängen von diesen 15 aufregenden Jahren?

H: Besidos war wie ein fliegender Teppich und hat uns eine Random-Reise verpasst. Die hat auch dazu geführt, dass alle schön zu sich gekommen sind. Es hat aber auch persönliche Umwälzungen zur Folge gehabt. Die Besidos als Initialenergie sozusagen. Der Teufel wollte es eben, dass sich Lebensplanungen sehr gefestigt haben, auch sehr zum Vorteil aller Beteiligten. Im „Datterich“ heißt es ja: „Was interessiert mich Ihr Lebensglück?“ Besidos hat das Lebensglück seiner Mitglieder sehr wohl interessiert und es sind alle in ihrem Lebensglück gelandet. Von daher könnte man jetzt philosophisch sagen: Die Aufgabe von Besidos hat sich erledigt. Und sie war gar nicht darin begründet, die Welt zu retten …

P: … sondern uns zu retten.

Dankeschön, dass Ihr Euch habt retten lassen und uns mitgenommen habt auf Eure Reise. Das Beruhigende: Ihr seid ja jetzt nicht aus der Welt und bleibt natürlich auf unserem Radar – auch als Teile von Blood Money (Tom-Waits-Coverband von Wendelin und Daniel), bei Lucie Paradis (Hüseyin) oder dieser neuen coolen Funk-Rock-Band, die aktuell noch einen Sänger mit Rockröhre sucht (Peter).

 

„Adios Besidos“ – das Abschiedskonzert

Mit vielen Freunden und Gefährten (auch aus Istanbul) und dem Release des neuen Albums „Helsinki“.

Vor und nach dem Konzert: DJ Kumanova (Balkan Grooves)

Ouisams Cusina sorgt den ganzen Abend über fürs leibliche Wohl.

Bessunger Knabenschule (Halle) | Sa, 23.11. | 20 bis 3 Uhr | 12 € (ausverkauft!)

Win! Win! Das P verlost 2 x 2 Tickets für das Konzert.

 

Sag zum Abschied laut „Helsinki“!

Zum Abschluss ihres Bestehens veröffentlichen die Besidos ein Album, das ihren musikalischen Exkurs in die süd-ost-europäischen Musikgefilde samt des dabei entstandenen Netzwerks klangvoll auf den Punkt bringt. „Helsinki“ besteht zum Großteil aus Eigenkompositionen der Band, durchmischt mit ein paar Klassikern ihres Genres. Das Album ist gespickt mit Gastdarbietungen von Bands wie Baba Zula oder Imam Baildi, auch Rap-Legende Kurtis Blow hat es sich nicht nehmen lassen, einen 16er [16 bars, also 16 Zeilen] beizusteuern.

Das Album eröffnet dem Hörer musikalische Einblicke in die Abenteuer, die die Band im Laufe ihres 15-jährigen Bestehens erleben durfte, und ist gleichzeitig eine Liebeserklärung an die musikalisch-kulturelle Vielfalt Europas, für die die Band jahrelang stand und wofür sie im Jahr 2016 auch mit dem Darmstädter Musikpreis ausgezeichnet wurde.

„Helsinki“ (2019): 18 Titel, 73 Minuten, Doppelvinyl (180 Gramm), Auflage: 500 Exemplare, Artwork: Mehrdad Zaeri

 

Diskografie

„Persiflajlar“ (2011)

„Chapkamatik Raki’n’Roll“ (2014)

„Datterich“ (2017)

„Helsinki“ (2019)

 

www.besidos.de