Nichts erinnert heute mehr an sein früheres Aussehen. Das unübersichtliche Chaos ist Ende 2009 geometrischer Ordnung gewichen. Aus dem überwiegenden Grün ist weißer Sichtbeton geworden. Er ist kein Durchgangsort mehr, sondern ein Ort zum Verweilen. Die Rede ist vom Georg-Büchner-Platz, besser bekannt als „Platz vorm Staatstheater“. Denn die wenigsten kennen ihn unter seinem offiziellen Namen. Macht aber nichts, schließlich zählt er (noch) nicht zu den Wahrzeichen Darmstadts – und auch auf Postkarten sucht macht ihn vergebens.
Dabei nennt Arno Lederer, der Architekt des Platzes, ihn in einem Atemzug mit großstädtischen Plätzen wie dem Petersplatz in Rom und dem Berliner Gendarmenmarkt. Ein „Platz von Welt“ sozusagen, der es locker mit anderen weltberühmten Plätzen aufnehmen kann.
Sobald das Wetter es zulässt, nehmen den Platz vor allem junge Darmstädter in Beschlag. Zwar finden einige ihn zu kühl und stören sich an dem vielen Beton, für den Großteil ist es jedoch gerade die Gestaltung, die seine besondere Qualität ausmacht. Mitten in der City besticht er durch seine Größe, Weite und Offenheit, die man sonst nur in den Parks der Stadt findet. Es ist die gestalterische Leere, die diesen Platz bestimmt und diese Leere muss gefüllt werden. Aber wie? Schließlich verrät die Gestaltung wenig darüber, wie der Platz überhaupt zu nutzen sei. Er ist, bis zu einem gewissen Grad, nutzungsoffen. Das verwundert kaum, bedenkt man, dass das Ziel der Architekten vor allem war, das Staatstheater im Stadtraum präsent zu machen. Aus dieser Perspektive ist der Georg-Büchner-Platz vor allem eines: Repräsentationsfläche für das Theater.
Das Theater als Teil der Kulisse
Nichts lenkt den Blick auf das Theater ab, es steht, in gestalterischer Hinsicht, auf der Bühne, im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wechselt man jedoch die Perspektive und schaut sich an, wie der Platz tatsächlich genutzt wird, erkennt man, dass das Theater Teil der Kulisse ist. Der Platz selbst wird zur Bühne und gewinnt über seine Aneignung und Nutzung an Bedeutung. So erklärt sich auch, warum er – trotz seiner für Darmstadt untypischen Gestaltung – zu einem Teil der Stadt werden konnte. Denkt man zum Beispiel an das Darmstadtium, das genauso futuristisch daherkommt wie dieser Platz, ist es nicht selbstverständlich, dass das passiert.
Die Frage nach dem „Sinn“ des Platzes haben die Darmstädter also selbst beantwortet, indem sie ihn aktiv angeeignet haben. Sie haben den „Sinn“ erst gemacht. Seine offene Gestaltung lässt viele Möglichkeiten der Nutzung und Aneignung zu – oder anders ausgedrückt: Der Georg-Büchner-Platz ist ein Raum zum Aneignen. Was nicht zuletzt auch der Architektursommer 2011 gezeigt hat, als eine imposante und kunstvolle Welle aus Sperrmüll („The Big Crunch“) ihn zum Ausstellungsort machte, der mit jeder Menge Kultur bespielt wurde.
Aber was genau machen die Menschen auf dem Georg-Büchner-Platz? Vor allem herumsitzen, die Sonne genießen und einfach ihre Zeit verbringen – verweilen eben. Kein Wunder, dass ihn deshalb viele als Ort der Ruhe schätzen [im Sommer verkehrt sich das nachts bisweilen ins Gegenteil, die Nachbarn können ein Lied davon singen, Anm. d. Red.]. Auch sportlich kann es auf dem Platz zugehen. Er wird zum Long- und Skateboarden benutzt und die zahlreichen Mauern, Treppen und Geländer dienen Traceuren zum Üben, ohne dass dabei die Ruhe der auf dem Platz Chillenden gestört wird. Auch das zeichnet diesen Ort aus, denn in ein und demselben Raum können unterschiedliche Aktivitäten stattfinden, ohne dass sie sich gegenseitig behindern.
Platz oder Park? Beides!
Es scheint eine generelle Qualität des Platzes zu sein, Unterschiede zu vereinen: Er ist weder ein Platz im klassischen Sinne, noch eindeutig ein Park (trotz seiner Rasenstreifen). Er ist besonders in seiner Gestaltung – und dennoch alltäglich in seiner Nutzung. Einerseits ist er klar, streng und geometrisch gegliedert, andererseits offen in der Nutzung. Obwohl es sich vorrangig um einen jungen, eher studentischen Ort handelt, wird er regelmäßig auch von älteren Menschen und Familien mit Kindern genutzt. Der ursprüngliche Sinn des Platzes, Repräsentationsfläche für das Theater zu sein, wird durch die Nutzer umgekehrt, sodass der Platz selbst ins Zentrum rückt.
Schon Le Corbusier wusste: „Es ist immer das Leben, das Recht hat, nicht der Architekt.“ Der Georg-Büchner-Platz beweist das. Die Bedeutung oder eben der Sinn von Architektur ist nicht planbar. Architekten können Räume materiell gestalten. Was danach mit diesen Räumen passiert, darauf haben sie keinen Einfluss, darüber entscheidet dann das Leben – also die Menschen, die ihn nutzen. Im Fall des Georg-Büchner-Platzes haben die Darmstädter ihn sich aktiv angeeignet und ihm somit (s)einen Sinn gegeben. Er ist zum festen Bestandteil der Stadt geworden und nicht mehr aus ihr wegzudenken.
Im Mai 2009 (P-Ausgabe 14) berichteten die P-Redakteure Erik Röthele und Alexander Heinigk bereits über die Neugestaltung der Georg-Büchner-Anlage. Weitere Eindrücke gibt’s HIER in Form eines Videos.