Die Disco in der Krone | Foto: Jan Ehlers

Prognosen sind schwierig, aber es scheint sicher, dass uns Corona noch weit ins Jahr 2021 nerven wird. Die Kulturbranche in all ihren Facetten leidet darunter mit am meisten. Der totale Lockdown galt für Klubs, Diskotheken und Konzert-Venues weit länger als für andere Branchen; die schrittweise Öffnung mit Hygienekonzepten ist in den überwiegenden Fällen nicht kostendeckend und atmosphärisch schwierig. Das P hat Darmstädter Betreiber solcher Kultur-Orte und -Räume nach ihrem Befinden befragt. Die meisten zeigen sich dabei zufrieden mit den ersten Soforthilfen, alle sind sich aber einig, dass die Maßnahmen weitreichender, langfristiger und unbürokratischer erfolgen müssen. Die Bewertung des eigenen Status quo fiel dagegen sehr unterschiedlich aus. Aber lest selbst.

 

Centralstation

Meike Heinigk, die zusammen mit Lars Wöhler die Geschäftsführung des größten Kulturbetriebs Darmstadts bildet, zeigt sich besorgt: „Rein wirtschaftlich gesehen hat sich die angespannte Situation zuletzt verschärft. Lukrative Kultur mit entsprechenden Deckungsbeiträgen fällt in Gänze aus. Das überregionale oder gar internationale Angebot geht gegen null. Der Gastronomie-Umsatz ist seit März um mehr als 95 Prozent eingebrochen.“ Eine Schließung drohe als öffentlicher Betrieb zwar nicht, da Stadt und Sponsoren genügend Rückhalt geben. Viele freie Mitarbeitende müssten aber enorme Einbußen hinnehmen, das schmerze als Auftraggeber sehr, bedauert Heinigk die Situation. Es sei aber genügend Optimismus und Idealismus vorhanden, um die Situation mit neuen Konzepten zu überstehen. „Unter Vorgabe der aktuellen Richtlinien passen [Stand: 23. Oktober 2020] maximal 100 Gäste in die Centralstation. Was geht, sind regionale Veranstaltungen, lokale Szene und ja, manchmal hat man vielleicht sogar mal eine kleine neue Idee“, erklärt die Geschäftsführerin abschließend.

 

806qm

Saskia van Eerd, „Head of Booking“ vom 806qm, dem großflächigen und genreübergreifenden Kulturort auf zwei Etagen, zeigt sich zwiegespalten: „Das 806qm ist durch die Unterstützung der Studierendenschaft der TU finanziell abgesichert. Alle Ausgaben müssen aber auf absolutem Minimum gehalten werden.“ Alle Festangestellten seien in Kurzarbeit und den studentischen Aushilfen könne man nur wenige Schichten bei den Barabenden freitags und samstags anbieten. Alternative Nutzungskonzepte könnten die Konzert- und Clubkultur nicht ersetzen, konstatiert die Bookerin. Eine Anerkennung der Kulturbranche als gesellschafts- und wirtschaftsrelevante Größe sei wichtig. Zur Perspektive sagt van Eerd: „Wir müssen diese Zeit mit Förderprogrammen und innovativen Veranstaltungskonzepten überbrücken und hoffen, dass wir im nächsten Jahr langsam zurück in den Veranstaltungsbetrieb kehren können.“

 

Hoff-Art Theater

Andy Waldschmitt vom Hoff-Art Theater e. V., dem kulturellen Hotspot im Martinsviertel und Heimat für Veranstaltungsreihen wie „Gute Stube“ und „Die besondere Platte“, ist relativ entspannt: „Unser Status quo ist finanziell, emotional, programmatisch und personell okay. Es drohen daher weder Kündigungen noch Insolvenz oder Schließung.“ Man habe viel Unterstützung durch das Land Hessen, den Bund und die Stadt Darmstadt bekommen und konnte im Sommer den Hof gut nutzen. Im Winter seien Veranstaltungen für ungefähr 50 Gäste möglich, erklärt Waldschmitt. Er sorgt sich aber um andere Kulturorte: „Eine Öffnung der Theater und Clubs, die nicht subventioniert werden, ist notwendig. Die Künstler, die Veranstalter und die Veranstaltungstechniker müssen Geld verdienen.“

 

Galerie Kurzweil

Alper Sepik, zusammen mit Juan Gravalos Betreiber des Klubs mit der fetten Soundanlage und dem feinen Booking, dagegen erklärt sarkastisch: „Wir haben schon mal mehr gelacht. Bis Ende des Jahres sind die Reserven aufgebracht. Dann wird es eng.“ Die Soforthilfe von 8.000 Euro sei zwar erfreulich gewesen, aber längst aufgebraucht, da ja null Einnahmen zu Buche stünden und man keine Zuschüsse vonseiten der Stadt bekäme. Der Galerie-Kurzweil-Booker empfindet es auch als schade, dass sich „niemand von Stadtseite“ mal bei den nichtsubventionierten Kulturorten nach dem Befinden erkundige. Man stünde komplett alleine da. Sepik erklärt desillusioniert: „Ein gescheites Programm für 2021 zu booken, wird auch schwierig, da wir immer mindestens ein halbes Jahr Vorlauf brauchen. Mal sehen, ob sich das jemals wieder normalisiert.“

 

Linie Neun

Florian Schropp, langjähriger Geschäftsführer der Linie Neun, dem kulturellen Fixpunkt Griesheims, sieht die Lage derzeit stabil: „Dank guter Biergartensaison ist es bei uns finanziell zurzeit noch unbedenklich. Wir bedauern das Fehlen kultureller Veranstaltungen, werden uns aber mit der Gastronomie eine Weile über Wasser halten können.“ Die Stadt Griesheim habe außerdem die Pacht für drei Monate erlassen und Nebenkosten gestundet. Bei kälterer Witterung drohten aber Einbußen, die Umsätze hätten sich jetzt schon schlagartig halbiert. Diesbezüglich wünscht sich Schropp eine Verlängerung der reduzierten Mehrwertsteuersätze und eine Reduzierung der Gewerbesteuer. Langfristig sieht er auch für die Linie Neun Risiken: „Ein komplettes Frühjahr 2021 ohne Veranstaltungen und eine schlechte Biergartensaison würden uns das Genick brechen.“

 

Goldene Krone

Katrin Jaehnig, Bookerin des stadthistorisch wohl legendärsten Kulturortes in Darmstadt (Geschäftsführer: ihr Bruder Julius Gleichauf), gibt sich optimistisch: „Wir sind im Krönchen guter Dinge, denn wir können aufgrund unserer Vielschichtigkeit flexibel auf die Situation reagieren und unser Programm dementsprechend anpassen.“ Anstatt Disco-Events veranstalte man Cocktail-Abende, richte viele kleine Konzerte aus, mache Quiz-Abende und Karaoke. „Wir nehmen die Corona-Pandemie sehr ernst, erfüllen alle vorgegebenen Hygienevorschriften und sind trotzdem in der Lage, den ausgehwütigen Heiner*innen ein breitgefächertes Programm zu bieten“, erklärt Gleichauf. „Die Krone“ sei daher nicht von einer Schließung betroffen und man hoffe, noch viele Jahrzehnte eine Rolle in Darmstadts Kulturleben spielen zu dürfen.

 

Sumpf

Hannes Lüpertz, einer der Betreiber der runderneuerten, weiterhin urigen Kneipe mit Live-Bühne und DJ-Pult, ist eher skeptisch: „Wir stehen finanziell mit dem Rücken an der Wand. Wir werden demnächst zwei weitere Abende öffnen, aber wenn sich diese nicht rentieren, wird es richtig eng.“ Das Team bleibe aber positiv, man habe 40 Jahre überlebt und wolle auch diese Krise überstehen. Lüpertz bemängelt aber die Regularien für Soforthilfen: „Fördergelder haben wir leider keine bekommen, weil wir zu klein sind. Wir wünschen uns Fördergelder auch für die kleinen Läden jeder Art!“ Wenn es keinen weiteren Lockdown gebe, würde man es aber irgendwie schaffen, glaubt er. Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die Nachricht: „Aufgrund der derzeitigen Situation in Darmstadt haben wir uns dazu entschlossen, unseren geliebten Sumpf vorübergehend zu schließen, bis sich die Lage wieder entspannt hat.“

 

Zucker

Martin Neitzke vom Zucker, dem kleinen, schnuckligen Raum für „selbst gemachte Events“ und dem gleichnamigen Verein zur „Förderung der Selbstmach-Kultur“, sieht die Lage bedenklich: „Das Team ist ziemlich geschrumpft und die Motivation wechselhaft. Wegen Corona funktioniert unser Veranstaltungskonzept auf knapp 30 Quadratmetern für größeres Besucheraufkommen nicht mehr und wir brauchen deshalb neue Ideen und Konzepte.“ Das Zucker habe aber Zuschüsse vom Kulturamt bekommen und der Vermieter die Mietzahlung für vier Monate gestundet. Außerdem sei die Teilnutzung durch den Leihladen „Heinerleih“ ein voller Erfolg. „Uns wird es geben, solange andere mit uns an die Idee des Zuckers glauben und uns unterstützen“, erklärt Neitzke abschließend.

 

Steinbruch Theater

Katrin Jaehnig, auch beim nach einer Crowdfunding-Kampagne wiedereröffneten Steinbruch Theater zuständig für Booking und Öffentlichkeitsarbeit, blickt sorgenvoll in die Zukunft: „Die Nerven liegen blank, da der Steinbruch eine klassische Tanz-Location ist und nur so auf Dauer tragbar sein wird.“ Man habe zwar im Sommer viele Gäste im Biergarten gehabt und es seien jetzt seit Anfang Oktober auch wieder 100 Gäste im Inneren zugelassen. Diese müssten aber vom Tisch aus sitzend dem DJ lauschen. Eine noch laufende Crowdfunding-Kampagne und vermehrte Konzertveranstaltungen brächten etwas Entlastung, aber das würde nicht lange reichen, befürchtet Jaehnig. Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die Nachricht: „Die weiteren Bestimmungen, welche nun von den Entscheidern veranlasst wurden, machen einen Weiterbetrieb im Moment nicht möglich.“

 

Jazzinstitut

Wolfram Knauer, langjähriger Leiter des international renommierten Jazzinstituts, sieht für seinen Bereich keine Gefahr: „Das Jazzinstitut als Informations-, Forschungs- und Dokumentationszentrum läuft; die Solidarität unter den Darmstädter Veranstaltern ist zumindest in unserem Bereich vorhanden.“ Was Unterstützung von Stadt, Land und Bund anginge, sehe er auch sehr viel Bewegung. Aber er schränkt ein: „Das größte Problem sind bürokratische Hürden, die es insbesondere den sogenannten ,Soloselbstständigen‘ ohne Fixkosten schwer machen, diverse Förderprogramme zu nutzen.“ Als Optimist hoffe er aber auf die Kreativität dieser Szene, Formate und Projekte zu entwickeln, mit denen Künstler*innen ihre Arbeit trotz Corona an ein Publikum bringen könnten.

 

Jagdhofkeller

Marianne Henry-Perret und Klaus Rohmig, die neben dem derzeit noch „einigermaßen laufenden“ Restaurant Belleville auch den großräumigen Jagdhofkeller für Veranstaltungen aller Art (Live-Musik, Comedy, Firmenfeiern, Hochzeiten) betreiben, sehen sich am absoluten Tiefpunkt: „Unser Status quo ist finanziell gegen null gehend. Programmatisch sind wir auf unterstem Level und personell bis auf eine Person alle freigestellt.“ Obwohl man in den letzten Monaten einige Gelder bekommen habe, drohen Kündigung, Insolvenz und Schließung: „Wenn alle von 2020 auf 2021 verschobenen Privat- und Firmen-Events auch ausfallen sollten, dann wird 2021 unser letztes Geschäftsjahr werden.“

 

Bessunger Knabenschule

Bernd Breitwieser, Geschäftsführer der 1983 in ein Kulturzentrum umgewandelten ehemaligen Knabenschule, ist relativ gelassen: „Uns geht’s vergleichsweise gut, Wir sind liquide und mussten keine Kurzarbeit beantragen.“ Die Mieteinnahmen durch die verschiedenen Nutzergruppen des soziokulturellen Zentrums sowie die Zuschüsse der Stadt gäben Planungssicherheit. „Mit dem derzeitigen Status quo kämen wir einigermaßen durch das Jahr 2021“, erklärt Breitwieser. Grundsätzlich hoffe er aber auch auf weit mehr Unterstützung und Entlastung in Form von Ausfallgagen und Existenzsicherung für Künstler*innen und die Kreativwirtschaft.

 

Oetinger Villa

Matin Nawabi, einer der umtriebigsten Veranstalter in der Oetinger Villa, die seit 1991 als Jugend- und Kulturzentrum gerade im Bereich Konzerte überregional ein hohes Ansehen genießt, sieht den Status quo relativ gelassen: „Finanziell ist die Lage im Laden stabil. Weil 99 Prozent des gesamten Betriebs der Oetinger Villa im Ehrenamt gestemmt werden, sind Fixkosten übersichtlich.“ Und diese würden durch den städtischen Betriebskostenzuschuss (normalerweise um 15 Prozent der gesamten Einnahmen) gedeckt. Es ist eher die mentale Ebene, die Nawabi zu schaffen macht: „Emotional ist es hingegen ein immenser Verlust, wenn sich die mit Herzblut und Leidenschaft geschmiedeten Pläne für das Jahr plötzlich in Nichts auflösen.“ Auf Veranstaltungen mit Hygienekonzepten wolle er persönlich aber verzichten: „Wer will denn schon Hardcore im Sitzen?“

 

Theater im Pädagog (TiP)

Klaus Lavies, der die Theaterleitung des TiP innehat, in dem aber auch Konzerte und DJ-Events wie „Topshake“ oder „Come to The Dance“ stattfinden, bemängelt vor allem die Hürden bei der Förderung: „Wir haben zwar die erste Corona-Hilfe bekommen, aber die zweite war von der Bundesregierung ein leeres Versprechen und viel zu eng an Regeln geknüpft.“ Auch viele Privatfeiern, die der Querfinanzierung dienen, seien abgesagt oder ins neue Jahr verschoben worden. Aber man halte trotzdem durch. „Schon unser Sommergarten war eine Antwort auf Corona. Auch wenn er finanziell nicht einträglich war, so haben wir schöne Veranstaltungen erleben dürfen, die auch den Künstlern gut getan haben.“

 

Uppercut Club

Elmar Compes, seit Jahrzehnten eine der schillerndsten Party-Figuren Darmstadts, der erst im Februar mit seinem Team das ehemalige „Cluster“ zum Uppercut Club umgestaltet hat, zeigt sich eher pessimistisch: „Seit dem ersten Lockdown droht uns Insolvenz. Unsere Stammgäste helfen uns, am Leben zu bleiben. So halten wir gerade so durch, legen aber trotzdem monatlich einiges drauf. Lange geht das natürlich nicht mehr.“ Geld aus einer Förderung habe man bekommen, dies sei aber „schon ewig“ aufgebraucht. Auch eine kurzzeitig erlaubte Außenbereich-Nutzung brachte nur wenig Entlastung, so Compes. Er sehe aber trotzdem das Bemühen der Stadt und hoffe nun auf Ausweich-Locations, die man nutzen dürfe. „Alles ergibt aber nur Sinn, wenn die Regeln ein wirtschaftliches Arbeiten zulassen. Nur zum Spaß kann jetzt keiner mehr weitermachen.“

 

Huckebein

René Nothnagel, Geschäftsführer des Tanzclubs auf zwei Etagen an der Heidelberger Straße, hadert mit der Situation: „Es ist in allen Bereichen sehr belastend. Wir wissen nicht, wie es bei einem neuen Lockdown weitergeht.“ Man beschäftige vor allem Minijobber, die bei Lockdown kein Kurzarbeitergeld bekommen. Da müsse die Politik dringend nachjustieren. Abgesehen von der Soforthilfe bekäme man nur Steine in den Weg gelegt, so Nothnagel. „Wir hatten die Idee eines Biergartens im Sommer. Aussage Bauamt: Genehmigung dauert bis zu drei Monate! In solchen Krisen wäre ein Schnellverfahren für bedürftige Betriebe doch wohl das Mindeste.“

 

Schlosskeller

Auch Jalal El Asri, seit mehr als 20 Jahren Geschäftsführer des studentischen Schlosskellers und ebenso verantwortlich für den Schlossgarten auf der Bastion, zeigt sich frustriert: „Wir sind seit dem 11. März geschlossen und mussten daher 70 Prozent der Mitarbeiter entlassen.“ Zwar durfte der Schlossgarten ab Juni öffnen und brachte so ein paar Einnahmen, doch habe er nun saisonbedingt zu. Außerdem stünden im Zuge der Sanierung des gesamten Schlosses auch langwierige Arbeiten im Schlosskeller an. Eine Öffnung also in weiter Ferne. El Asri erklärt ernüchtert: „Zwar werden wir vom AStA der TU finanziell unterstützt, aber deshalb haben wir keine Fördergelder bekommen und die Rücklagen reichen kein weiteres Jahr. Hoffentlich werden wir nicht Teil des Klubsterbens.“

 

Noch ausführlichere Statements

Ein PDF mit noch ausführlicheren Antworten aller befragten Kultur-Locations findet Ihr hier als Download (Stand: 23. Oktober 2020).