100 Jahre Ausbruch des Ersten Weltkriegs, 75 Jahre Beginn des Zweiten Weltkriegs, 65 Jahre Gründung der Bundesrepublik Deutschland (BRD), 25 Jahre Mauerfall: Viele geschichtliche Ereignisse jähren sich 2014 in signifikanter Weise. 2014 wird somit zum Gedenkjahr. Über den Fall der Mauer und die BRD weiß man viel, über den Zweiten Weltkrieg ebenso. Doch was ist mit der Zeit davor? Was passierte anno 1914 in unserer Stadt, was hätte das P Stadtkulturmagazin damals zu berichten gehabt?
Von der Jahrhundertausstellung zum Ersten Weltkrieg
Das Jahr 1914 sollte eigentlich zum Darmstädter Kunstjahr werden. Die Stadt wollte sich als Stätte der Kultur und des modernen Bauwesens darstellen, wozu man Festwochen im Sommer geplant hatte. Im Mai gab es zudem eine Vernissage der „Jahrhundertausstellung deutscher Kunst 1650 bis 1800“ im Residenzschloss. Flankiert wurde das Kunstjahr von Aufführungen der „Meistersinger“ und von „Don Juan“. Im Juli fand dann das Kriegsfest der zehn vereinigten Darmstädter Kriegervereine statt (Kriegervereine waren Traditionsvereine ehemaliger Soldaten, die militärische Traditionen hochhielten). Kurz nach diesen Festivitäten vermeldete die Darmstädter Zeitung, das „amtliche Organ der Hessischen Landesregierung“: „Krieg auf dem Balkan“. Am 1. August 1914 folgte die deutsche Kriegserklärung gegenüber Russland und es begann der „Große Krieg“ (wie der Erste Weltkrieg im angelsächsischen Raum genannt wird). Auch in Darmstadt kam es zum sogenannten „Augusterlebnis“, als sich hunderte Kriegsfreiwillige zur Mobilmachung meldeten – unter anderem viele Oberschüler, die mit „Sonderprüfungen“ von der Schule freigestellt wurden. Bereits Mitte August wurde auf dem Darmstädter Truppenübungsplatz „Griesheimer Sand“ ein Gefangenenlager für französische Kriegsgefangene gebaut.
Schützengräben in Museen
Gegenüber vorherigen Kriegen machte sich der Erste Weltkrieg auch im alltäglichen Leben der einzelnen Nationen bemerkbar, denn es kam zu einer deutlichen Verschlechterung der Lebensqualität. Ludendorffs Konzept des „totalen Kriegs“ bekam die eigene Bevölkerung durch Handelsblockaden und dem Fehlen von Arbeitskräften in der Industrie zu spüren. Zum ersten Mal wurde von einer Heimatfront gesprochen, denn der militärische Erfolg war nicht mehr alleine vom kriegerischen Können und militärischer Ausrüstung abhängig, sondern auch von der Leidensfähigkeit der eigenen Bevölkerung. Um die Menschen in der Heimat am Geschehen an der Front teilhaben zulassen, baute man Schützengräben in Museen und in der Nähe des Hauptbahnhofs nach (das Medium Film steckte noch in den Kinderschuhen).
Am 30. April 1916 wurde die „Deutsche Kriegsausstellung“ im Darmstädter Schloss eröffnet, in der Waffen und Uniformen gezeigt wurden und die zu einem „vaterländischen Gefühl“ an der Heimatfront beitragen sollte. Die Fabriken stellten relativ schnell auf Kriegsproduktion um: Die Darmstädter Firma „Möbel Alter“ baute zunächst Einrichtungen für Lazarettzüge, später dann transportable Flugzeughallen. Und „Gandenberger-Goebel“ produzierte die bereits zur Kaiserzeit angemeldeten Motoren für Fokker-Maschinen. An der Technischen Hochschule etablierten sich die „Deutschen Sommer-Flugzeugwerke Darmstadt“.
Bereits 1915 wurde sämtliche Rohstoffe Darmstadts erfasst. Hiesige Schüler sammelten einen hohen Wert an Gold zusammen, das Landesmuseum und die Pauluskirche verloren das Kupfer ihres Dachbelags. Durch Engpässe kam es zu langen Schlangen vor Bäckereien und Metzgereien, ab 1916 erhielt man Brot, Fleisch und Eier nur noch mit Lebensmittelkarten.
„Parsifal“ und „Datterich“ zur Ablenkung
Um von den Härten des Krieges abzulenken, hatte man nach kurzer Unterbrechung die kulturelle Arbeit wieder aufgenommen. Wagners „Parsifal“ wurde aufgeführt und Niebergalls „Datterich“ sowie „Der tolle Hund“ feierten Premiere am Hoftheater (heutiges Staatsarchiv). Der Theaterhistoriker Hermann Knispel hatte sich dafür eingesetzt, dass Niebergalls „Datterich“ in seiner Originalform gespielt wurde. Erster offizieller Datterich-Darsteller war Eduard Göbel [mehr zum großen 100-jährigen Jubiläum des Datterich in Jahr 2015 demnächst im P, Anm. d. Red.] Im Herbst 1916 fand außerdem eine Ausstellung hessischer Künstler in der Kunsthalle, im Sommer 1917 die Hessische Kunstausstellung auf der Mathildenhöhe statt. Trotz Ablenkung: Die Auswirkungen des Krieges ließen sich auch weitab von der Front nicht verdrängen. 1917 kam es zum ersten Fliegeralarm über Darmstadt, ein Jahr darauf gab es erstmals Tote durch Luftangriffe. Im Woogviertel starben vier Menschen nach Bombenabwürfen.
Hessen wird zur „freien sozialistischen Republik“ erklärt
Auch in Darmstadt kam es nach der Niederlage Deutschlands 1918 zu einem Aufstand von Soldaten, die mehrere Verwaltungsgebäude besetzten und die Kasernenvorräte plünderten. Zusammen mit den SPD-Politikern Delp und Knoblauch verkündeten die Soldatenräte die Absetzung des Großherzogs am 9. November 1918, der seine formale Abdankung jedoch ablehnte. Kurze Zeit später erklärte der unter Knoblauchs Vorsitz im Landtag zusammengetretene Arbeiter- und Soldatenrat Hessen zur „freien sozialistischen Republik“. Um die Menschen „zu revolutionieren“, wurde in Darmstadt die Zeitschrift „Das Tribunal. Hessische Radikale Blätter“ gegründet, die sich an Niebergall und Büchner orientierte und unter anderem auch Texte von Johannes R. Becher veröffentlichte.
Die weiteren Nachkriegsjahre verliefen ähnlich turbulent. 1920 wurde Darmstadt als Strafaktion für die Verletzung der Entmilitarisierungsvorschriften im Ruhrgebiet von der französischen Armee besetzt. Das kulturelle Leben pulsierte dennoch weiter: Im selben Jahr kam es zu einer großen Ausstellung der „Darmstädter Sezession“ auf der Mathildenhöhe.
Bei der Wahl des Hessischen Landtags am 27. November 1921 – Sitz des Landtags war damals übrigens das Ständehaus am Luisenplatz – verlor die SPD satte 12 Prozent der Stimmen. Mit 32,6 Prozent war sie aber weiterhin die mit Abstand stärkste Partei. Die rechtspopulistischen Parteien, die DNVP und der Bauernbund, erhielten 20 Prozent. Die Mehrheit von 58 Prozent der Wähler gab linken und liberalen Parteien ihre Stimme. Das sollte sich zehn Jahre später frappierend ändern: 37,1 Prozent stimmten für die NSDAP – der politische Rechtsruck war in Darmstadt noch stärker ausgeprägt als in der restlichen Weimarer Republik.