Jeder hat so einen, jeder braucht so einen, jeder hasst so einen und jeder verdrängt den ein oder anderen…
…Ort, eine ganz bestimmte Stelle, hier in unserem vertrauten Darmstadt. Ja, auch Ihr, liebe Neuankömmlinge und Erstsemester, werdet ihnen irgendwann im Laufe der Zeit begegnen und feststellen, dass diese Orte zum persönlichen Mittelpunkt der Stadt werden. Manchmal können wir ihnen einfach nicht aus dem Weg gehen (wie gemein!). Und diese Orte lauern an fast jeder Ecke – zum Glück oder Unglück eines jeden (Neu-) Darmstädters. Mehr noch: Sie ziehen uns förmlich an oder geben uns einen Anlass, lieber einen kilometerlangen Bogen drum herum zu laufen. So sind sie, diese Orte, die romantische, dramatische oder sogar traumatische Erinnerungen hervorrufen können.
Wie aufregend der Spaziergang durch den Herrngarten und am Teich vorbei! Welch Herzklopfen und wie romantisch an einem schönen Tag im Herbst, damals im ersten Semester! Ach ja … Wenn ich heute mit dem Fahrrad durch den Park fahren muss, dann meistens direkt von der TU zur Landwehrstraße im Lance-Armstrong-Style … bloß nicht nach rechts zum Teich gucken! Und was war das denn für ein Kopfkino, als ich da im Prinz-Georgs-Garten wandelte?! Hm, von wegen romantisch: Wenn ich’s mir recht überlege, war alles schön durchkalkuliert, der wollte doch nur … aber nein, das kann doch nicht sein!
Oder die ewige Diskussion mit Kai-Uwe (1) auf dem Dach des Studentenwohnheims in der Pallaswiesenstraße in den dämmrigen Morgenstunden nach einer durchzechten und vor allem lange durchdiskutierten Nacht. Der Bass von der privaten Kellerparty wummerte bis hoch in den dritten Stock und direkt in meinen Magen (na ja, zugegeben, könnte auch am Alkohol gelegen haben), so dass sich der Gurke-Ginger-Ale-Wodka-Cocktail beinahe wieder verselbstständigte. Aber eigentlich war es eher Kai-Uwes Neuigkeit, die er mir aus heiterem Himmel eröffnete: Nämlich die, dass er eine Woche später nach China ziehen würde, um dort seine Diplomarbeit zu schreiben. Stundenlang hingen wir da oben auf dem Dach nahe der Brüstung (jawohl, es war zum Fortschmeißen). Ich konnte es nicht fassen und der hässliche Blick auf die öde Müllverbrennungsanlage machte die Situation auch nicht besser. War das auch Kalkül, an diesem Ort Schluss zu machen? Nicht schlecht, Kai-Uwe! In China fressen sie Hunde und mir war einfach nur hundeelend, vor allem bei dem Gedanken an den gammeligen Müll, der gerade auf der anderen Seite verbrannt wurde: „Darmstadt, Du kannst so hässlich sein!“, hätte Peter Fox’ Part im Hintergrund sein müssen …
Drama, baby!
Gefühlte sieben beknackte Brücken musst Du gehen und sieben laaaaaaaange Jahre überstehen … aber halt, zum Glück gibt es ja auch noch die mit schönen, sonnigen und positiven Erinnerungen behafteten Orte, wie zum Beispiel den Orangeriegarten und die herrlichen faulen Nachmittage mit Franz aus München (2). Das waren immer schöne Stunden, wenn er denn mal still sitzen konnte und nicht urplötzlich Hunger auf Weißwürschtel bekam. Am darauf folgenden Wochenende beendete ich diese Fernbeziehung, denn Franz wollte, dass ich mit nach München komme (beziehungsweise in dieses idyllische Örtchen im Allgäu), was mir aufgrund meiner zahlreichen und überwiegend positiven Erinnerungen an all die Orte in Darmstadt sehr schwer gefallen wäre. Na ja, und Franz war halt Franz und halt nicht der Hans! Da mir nichts Besseres oder Passenderes einfiel, machte ich auf dem Spielplatz am Schlossgraben Schluss, das war an einem verregneten Tag im November. Und da das eben alles nicht immer so leicht von der Hand geht, wünschte ich mir, die Eis-Friedel wäre noch in ihrem Häuschen am Eingang zur Tiefgarage gewesen, um den Kloß in meiner Kehle mit einer Kugel „Waldmeister-Straciatella-Himbeer-Zitrone-upsda-ist-ja-noch-ein-bisschen-Schoko“ zu verkleinern.
Ach, hätte Darmstadt doch eine Ringbahn, die ständig im und gegen den Uhrzeigersinn fahren würde und aus der man aussteigen könnte, wenn’s aus ist – oder in der man weiterfahren könnte, bis man sich wieder zusammengerauft hätte! Doch dann würden sich all diese romantisch-dramatisch-traumatischen Orte, die nun mal Teil unseres beschaulichen Lebens sind, erledigen, viel zu einfach und oberflächlich wäre das und so überhaupt nicht „Darmstadt“. Und abgesehen davon gibt es noch einige andere Orte für die Zwei- oder Einsamkeit, die entdeckt werden wollen. Wenn alles nix hilft: Treffpunkt Dachterrasse um sechs!
(1) Name von der Redaktion geändert, denn schließlich kennt nach einer Weile jeder fast jeden, könnte also etwas unangenehm für die beteiligte Person werden…
(2) Eigentlich kommt Franz aus einem idyllischen Örtchen im Allgäu (so ähnlich wie das im „Bergdoktor“ im Zweiten), doch weil er Angst hatte, er sei nicht „cool“ genug, verschob er seinen fiktiven Wohnort mal eben nach München (ob das eine gute Idee war???)